Sie ist Gründerin, Aushängeschild der Startup-Szene und erst Mitte 20: Lea-Sophie. Ein Gespräch über’s Gründen, den Boom von Sexspielzeug und die Zukunft.
1.000 Mitarbeiter mit Mitte 20
Lea-Sophie Cramer strahlt. Eigentlich tut sie das immer. Die 26-Jährige spricht entspannt über ein Business, das viele noch immer in der Schmuddelecke verorten. Gemeinsam mit Sebastian Pollok hat Lea-Sophie Cramer 2012 Amorelie gegründet, ein Online-Sex-Shop, der Sexspielzeug in den Mainstream holen will und es nicht zuletzt mit Branchenprimus Beate Uhse aufnimmt. Die Berlinerin arbeitete davor unter anderem für Groupon und leitete als Vice President International etwa 1.000 Mitarbeiter in Asien. Mit 24 Jahren. Ihr schneller Erfolg hat sie mittlerweile zu so etwas wie dem Inbegriff des weiblichen Gründers gemacht. Wir haben mit ihr über die Zeit bei Groupon, ihren Posten im Verwaltungsrat von Conrad, ihr Unternehmen Amorelie und ihre Zukunft gesprochen.
Lea, bei Groupon warst du Vice President International – mit Anfang 20. Was ist dran am sagenumwobenen Anruf von Oliver Samwer und wieso wollte er genau dich für die Position?
„Dieser Anruf von Oli war gar kein Anruf. Wir haben uns damals zu einem persönlichen Gespräch in München getroffen und er hat mir von den Möglichkeiten bei Rocket Internet erzählt. In den darauffolgenden drei Wochen, die ich mir als Bedenkzeit genommen hatte, wurde mir bewusst, dass ich es nicht unversucht lassen kann. Die Möglichkeiten waren zu groß und klangen zu verrückt – ich hatte das Gefühl einer „once in a lifetime“-Chance. Was er in mir gesehen hat, musst du ihn schon selbst fragen.“
Kannst du deine Zeit bei Groupon runterbrechen in drei Dinge, die du gelernt hast?
„Zum einen weiß ich jetzt, wie wichtig die operative Umsetzung neben der guten Idee ist. Es ist langfristig vor allem das WIE, was über Erfolg oder Misserfolg entscheidet. Starkes Priorisieren gehörte ebenfalls dazu – gerade im Management oder als Gründer hat man 100 Bälle in der Luft, meistens sind es aber nur neun, die wirklich essentiell sind. Der Fokus auf die richtigen Dinge ist unglaublich wichtig. Und schließlich habe ich den ganzen Bereich Verkauf dort auf jeden Fall wesentlich besser schätzen gelernt. Mit einem riesigen Vertriebsapparat muss auch jeder Manager verkaufen können, also selbst Sales und Deals machen. Gegen den Vertrieb haben jedoch viele erst mal eine gewisse Abneigung. Tatsächlich stehen wir aber in gewisser Weise ja immer für etwas: für Amorelie, für unsere Mission, für sich selbst als Person. Man muss also immer andere Leute überzeugen – von Ideen, Menschen und Missionen auf allen Ebenen.“
Sind die Geschäftsbeziehungen im asiatischen Markt denn ganz anders als in Europa?
„Ja, oftmals ist Seniorität ein noch wichtigerer Bestandteil als hierzulande. Zudem werden Verlässlichkeit und langfristige Partnerschaften hochgehalten. Generell kann man Asien aber nicht verallgemeinern – China, Japan und Singapur stehen beispielsweise für komplett unterschiedliche Volkswirtschaften und auch Arten von Geschäftsbeziehungen.“
Mittlerweile sehen Medien dich als Paradebeispiel für weibliche Gründer. Wie fühlst du dich in dieser Rolle?
„Es ist keine Rolle, die ich aktiv gesucht habe. Anfangs fand ich es fast schon ein bisschen beleidigend, immer auf mein „Frau sein“ reduziert zu werden. Ich spreche auch gern über IT, Finanzierungsrunden, KPI-Entwicklung, Einkauf oder sonstige Themen, die alle (egal ob weibliche oder männliche) Gründer beschäftigen und interessieren. Aber ich verstehe mehr und mehr, dass es keinesfalls einer Beleidigung entspricht, sondern es einfach noch immens an weiblichen Vorbildern im Führungskräftebereich mangelt. Daher mag ich meine Rolle inzwischen sehr gerne und möchte mich dort noch mehr engagieren – ich erkenne, dass es etwas bewirkt und andere Menschen ermutigt.“
Du trägst auch unsere Initiative #Ansage mit. Wenn du dir das Thema Gleichberechtigung ansiehst. Wie ist deine Erfahrung? Was muss sich noch tun?
„Ich hatte in meinem Leben bisher sehr viel Glück und Unterstützung, vor allen Dingen von Männern: meinem ehemaliger Chef bei BCG, Oliver Samwer und andere Wegbegleiter wie Kollegen, Investoren und Freunden. Somit habe ich mich immer schon gleichberechtigt gefühlt, mit dem Gedanken die Welt stehe mir offen und ich kann erreichen, was ich möchte. Trotzdem sehe ich, dass ich in einer privilegierten Situation bin und wir noch nicht bei einem Ideal einer gleichberechtigten Gesellschaft angekommen sind. Jedoch sollte Gleichberechtigung nicht Gleichsein bedeuten. Ich finde es toll, wenn ein Mann mir die Tür aufhält oder schwere Taschen die Treppen hochträgt – es ist einfach sehr charmant, aber natürlich könnte ich das auch selbst machen. Somit kann ich mich mit Radikalfeminismus nicht identifizieren, der die Beseitigung von Geschlechterunterschieden fordert. Wir sind unterschiedlich und das ist traumhaft – aber wir brauchen Chancengleichheit überall, egal ob in der Arbeit oder der Familie. Ich finde es nicht gut, dass die Putzkraft immer noch zu oft PutzFRAU ist, oder, dass es nicht mehr männliche Stewards und Sekretäre gibt und gleichzeitig die Frauen in den Führungsetagen fehlen. Ich habe während meiner Berufslaufbahn selbst oft mit dem Attribut „pushy“ zu tun gehabt, weil ich zielstrebig war und eben auch genauso viel wie die Alpha-Männer erreichen wollte. Das ist schade, denn viele früher „typisch männliche“ Eigenschaften werden bei Frauen immer noch oft negativ konnotiert. Ich wünsche mir mehr Zurückhaltung und Wohlwollen gegenüber jungen Mädchen und Frauen, ohne die schnelle Zuschreibung von klassischen Stereotypen, sodass sie sich entwickeln können und neue Rollenbilder erschaffen. Mein Mitgründer und ich sind ja ein geschlechtergemischtes Gründerteam und sehen, dass es sehr viel Spaß macht und auch viele Vorteile hat unterschiedliche Blickwinkel als auch die individuellen Stärken gut einbringen zu können.“
Du sitzt neuerdings auch im Verwaltungsrat von Conrad? Wie kam es dazu und stapeln sich die Anfragen für Aufsichtsratpositionen schon?
„Es gibt sogar einige Anfragen, aber ich habe mich vor allen Dingen Amorelie verschrieben und konzentriere mich vorrangig darauf. Somit überlege ich mir gut, welche Mandate ich noch annehmen kann und welche nicht. Momentan bin ich sehr glücklich einen so werteorientierten, zukunftsweisenden Konzern wie Conrad Electronics unterstützen zu dürfen.“
Du hast gemeinsam mit Sebastian Pollok gegründet. Wie kam es dazu? Sebastian war ja zuvor bereits recht aktiv in der Startup- und Investoren-Szene. Habt ihr nach eurem Kennenlernen bei BCG immer Kontakt gehalten?
„Genau so ist es. Sebastian und ich kannten uns von BCG und haben uns dann durch gemeinsame Bekannte in Berlin wiedergetroffen. Ein Wink des Schicksals, denn unsere Zusammenarbeit wird mit der Zeit immer noch besser – wir kennen uns gut, vertrauen uns blind und ergänzen uns prima.“
Ich habe einmal gelesen, die Idee zu Amorelie war reines Kalkül: Der Markt war da, das Produkt nicht. Ist das so richtig?
„Reines Kalkül klingt sehr negativ. Es waren einige Faktoren, die zusammengespielt haben. Ich habe den Hype um „Shades of Grey“ mit Erstaunen verfolgt und wusste von Groupon, dass wir damals Designvibratoren sehr gut verkauft hatten. Dasselbe haben wir bei Fab.com beobachtet und so kam uns die Idee zu Amorelie. Natürlich haben wir uns dann den Markt angeguckt, analysiert, mit Investoren und Partnern gesprochen und genau überlegt, ob die Idee wirklich umsetzbar ist. Zum Glück standen die Zeichen auf Grün.“
Du hast einmal gesagt, „Shades of Grey“ hätte Sex enttabuisiert. Glaubst du, der Markt für Sexspielzeug von Amorelie profitiert davon? Wer sind eure Kunden?
„Ich glaube nicht, dass die Themen Sex und Erotik bisher enttabuisiert sind. Auch nicht durch „Shades of Grey“. Aber Einflüsse wie der Erotikliteraturboom 2012, „Sex and the City“, Sex thematisierende Youtube-Kanäle oder neue Serienformate wie „Paula kommt“ sind alles Faktoren, die den Markt mehr in den Mainstream rücken und uns helfen, das Thema so zu behandeln, wie wir denken, dass es behandelt werden sollte. Unsere Kunden sind zu 60 Prozent Frauen und 40 Prozent Männer, die für ihre Paarbeziehung oder ihr Singledasein Produkte suchen, die ihr Liebesleben bereichern. Amorelie-Kunden sind körperbewusst, gebildet und neugierig, häufig im Alter ab 25 Jahren aufwärts. Es ist toll zu sehen, dass unsere Produktgruppe wirklich den Massenmarkt erreicht, so wie wir uns das erhofft hatten.“
Wie beobachtet ihr Konkurrenten wie Beate Uhse, die euch sogar mittlerweile nacheifern?
„Es freut uns, dass sie gemerkt haben, dass ihre Angebote nicht mehr zeitgemäß sind und uns unterstützen, diesen neuen Love- und Lifestylemarkt zu entwickeln. Ansonsten verbringen wir nicht zu viel Zeit mit ihnen. Wir sind auf uns selbst fokussiert und sehen uns als Vorreiter. Was auch heißt, dass wir uns nirgends etwas abgucken können, sondern immer unserem Kundenfeedback, Mitarbeiterideen, etc. folgen. Das dauert in der Konzeptions- und Entwicklungsphase zwar etwas länger, aber macht auch den entscheidenden Unterschied aus.“
Wo wollt ihr mit Amorelie hin? Denkt ihr bereits an Internationalisierung?
„Auf jeden Fall. Was wir in Deutschland geschafft haben, möchten wir auch international weiter auf- und ausbauen. Wir können uns das europäische Ausland, aber auch darüber hinaus Expansionen in andere Länder vorstellen.“
Ihr habt zunächst eine Finanzierungsrunde mit Paua Ventures, Otto Capital und mehreren Business Angels gemacht. Wie seid ihr bei der Suche vorgegangen?
„Wir haben sehr viel über unser Netzwerk recherchiert und mit wem es Sinn macht zu sprechen. Wir haben eine „no asshole policy“, somit war uns auch das bei der Suche von Investoren wichtig. Zudem haben wir genau geschaut, was wir durch welchen Investor noch an zusätzlicher Unterstützung und Wissen bekommen können, indem diese bei anderen guten Firmen investiert haben, in Ländern unterwegs sind, die für uns relevant sind oder weitere Erfahrungen gemacht haben, die uns helfen könnten.“
Ihr habt als neuen Investor Seven Ventures (Venture-Arm von ProSiebenSat1) dabei. Ist der Zugang zu TV-Media entscheidend für das Wachstum von Amorelie?
„Mit Amorelie haben wir eine Marke aufgebaut und TV-Media hilft uns jetzt enorm, die Bekanntheit unserer Marke noch schneller und effizienter zu steigern. Somit ist TV für uns ein wichtiger Kanal.“
Was würdest du jungen Gründern raten?
„Sich immer wieder neu zu fokussieren. Selbst wenn man seine Zehn-Punkte-Prioliste hat, sollte man sich zwingen, daraus drei Punkte zu machen. Wir setzen uns sicherlich alle zwei bis drei Monate zusammen und hinterfragen unsere Strategie, unsere Ideen und Projekte. Oftmals haben sich Dinge verändert, die dann auch wieder unsere Strategie beeinflussen. Diese Flexibilität ist gerade am Anfang essentiell. Zudem würde ich dazu raten einen starken Mitgründer/In zu suchen. Zwei Köpfe sind schlauer als einer, man hat immer einen Resonanzboden. Schwierige Zeiten durchlebt man leichter und es macht wesentlich mehr Spaß.“
Lea in 10 Jahren?
„Wenn ich das wüsste… Ich träume definitiv nicht vom schnellen Exit um mich mit dem Geld irgendwo in die Sonne zu legen. Ich liebe es zu arbeiten und möchte weiter Dinge aufbauen oder umbauen dürfen. Alles Weitere wird sich zeigen.“