Mode hat am Arbeitsplatz nichts zu suchen. Ein großer Fehler. Warum verstehen wir nicht, dass schöne Kleidung im Job die Karriere fördert?
90er Mode statt Stil?
Es ist noch nicht so lange her, ein paar Monate vielleicht, als ich meine Freundin Sara in einem kleinen Kaffee treffe, genau einen Tag bevor sie ihren beruflich Neustart wagt – in einer der führenden internationalen Unternehmensberatung. In den letzten Jahren lebte und arbeitete Sara in Paris in der Marketingabteilung einer französischen Modemarke. Eine andere Welt. Soviel ist sicher. Sara ist der Inbegriff der „Vogue-Expertin“: raffinierte Accessoires, wagemutige Einkaufserrungenschaften, hoch-qualitative Materialien und Marken. Die zierliche blonde Frau liebt Mode und fürchtet nun, mit dieser Beziehung brechen zu müssen: Denn passt ihre Fashion-Leidenschaft zur männlich-dominierten und vor allem analytisch-nüchternen Beraterbranche?
Wie Sara stellen sich viele Frauen diese Frage. Seriöses Auftreten dominiert. Das Können ist zentral. Das Gespür für Mode eher irreführend im Job. Doch versperren Muster, Farben und spitze High-Heels tatsächlich den Weg nach oben? Die Vermutung liegt nahe: Schon vor dem Start im neuen Unternehmen treten die meisten Bewerber mit klassischem Lebenslauf und Bewerbungsfoto eine Reise in die Welt Büro-Tristesse an: Passbild, gestärktes Kostüm, weiße Bluse. Konservatischen und klassischen, aber wenig Punkte, um gegebenenfalls anzuecken. Die zukünftigen Kollegen laufen ja ähnlich rum.
Hosenanzüge gehen so oder anders
Aber: Immer wieder beweisen Frauen in Top-Positionen, dass es auch anders geht, dass ein Gespür für Mode auch helfen kann. Und auch Hosenanzüge gehen so oder so. J. Crew-Präsidentin Jenna Lyons beherrscht den Mix von Mustern und edlen Materialien perfekt. Ihr Look ist nicht nur businesstauglich, sondern sogar businessfördernd. Mit ihrem kreativen Styling machte sie das einst eher vestaubt anmutende Einzelhandelsunternehmen zu einer weltweiten Kultmarke. Anita Tillmann, Geschäftsführerin der Berliner Modemesse Premium oder Journelle-Macherin Jessica Weiß zeigen auch in Deutschland, dass Mode und Business eine erfolgversprechende Kombination sein kann: Sie werden ernst genommen und sehen dabei gut aus. Doch nicht nur in der Modeindustrie sieht man gut gekleidete Frauen. LearnVest-Gründerin Alexa von Tobel kommuniziert mit ihrer Kleidung Autorität und gleichzeitig Spaß und Weiblichkeit. Gleiches gilt für Christine Lagarde, geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds oder die First Lady der USA, Michelle Obama.
Logisch, die Branche ist mitentscheidend für den Rahmen, in dem Mode möglich wird. Steife, weiße Blusen aus den 80ern sind aber sicherlich kein Muss in der Beratung. Doch was hält uns ab, mutiger mit Mode umzugehen?
Schöne Kleidung und Intelligenz
Warum ist es gerade in Deutschland so schwer gut angezogen zu sein, aber dennoch als Experte ernstgenommen zu werden? Müssen Frauen bescheidener auftreten? Stehen sie unter besonderer Beobachtung? Experten gehen davon aus: So erklärte beispielsweise Führungskräftecoach Christopher Rauen in einem Artikel in der Wirtschaftswoche (7.6.13), dass Frauen für Beförderungen mehr leisten müssen als Männer und zugleich bescheidener auftreten sollten. Ihre Entscheidungen und das Verhalten weiblicher Führungskräfte würden unter besonderer Beobachtung stehen. Da überrascht es nicht, dass wir mit etwas Auffälligem unbehaglich im Meeting sitzen – Understatement gilt als Tugend und wirkt vermeindlich negativen Rückschlüssen auf die Intelligenz entgegen.
In meinem Freundeskreis beobachte ich schon länger dieses Phänomen: Mein Freund, Manager bei einem sehr konservativen Unternehmen, kombiniert gerne bunte Jacketts zum weißen Hemd oder das gemusterte Seideneinstecktuch zum dunkelblauem Anzug und den darauf farblich-abgestimmten Socken. Seiner Meinung nach ist das modische Hervorstechen im Meeting eher eine Chance, als ein potentielles Ausschlusskriterium: „Nur so bleibe ich und das von mir Gesagte unter den ganzen Anzugsträgern in Erinnerung.“ Dabei stört es ihn keineswegs, dass er gerne mal als „Der-mit-den-orangenen-Socken“ assoziiert wird. „Wer unersetzbar sein will, muss vor allem anders sein“, wusste schon Coco Chanel.
Mode als Heiliger Gral?
Dass ein gutes Stilbewusstsein am Arbeitsplatz von den eigenen Qualifikationen ablenkt ist eine Regel, die wir uns entweder selbst auferlegen oder die von der Gesellschaft als allgemeingültig vermittelt wird. Wer Karriere machen will, muss verstehen, dass die Chance eher gering ist im grauen Kostüm, still und heimlich vor dem Schreibtisch entdeckt zu werden und dass die pünktliche Ablieferung von akkurater Arbeit nicht ausreicht.
Dabei ist die Mode natürlich nicht der Heilige Gral, sondern eher ein Werkzeug, dass geschickt eingesetzt, die Karriere fördern kann, aber auch Angriffsfläche bietet, die wir Frauen sehr gerne mit unserem Sinn für Bescheidenheit vermeiden.
Und Sara? Sie erzählte mir, dass ihr der neue Job Spaß macht und dass sie ihre Liebesbeziehung zur Mode nicht beenden musste. Sie bleibt ihrem Stil treu und kombiniert ihre neon-grüne Chloé-Schluppenbluse gerne mit der etwas konservativeren Nadelstreifenhose. „Natürlich falle ich auf“, sagt sie „Aber im E-Mail-Verteiler bin ich als Neue noch nicht vergessen worden.“