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New Work: „Es ist egal, ob jemand im Meeting-Raum sitzt oder bei seinen pflegebedürftigen Eltern zuhause“

Markus Köhler, der Personalchef von Microsoft Deutschland, erklärt im Interview den Ansatz seines Unternehmens, familienfreundliche Arbeitsbedingungen für alle Mitarbeiter*innen zu schaffen.

Neue Ansätze von Unternehmensseite

„Je früher Väter Verantwortung übernehmen, desto mehr tun sie das auch im späteren Leben eines Kindes. Das ist wissenschaftlich belegt“, das sagte die geschäftsführende Bundesfamilienministerin Katarina Barley im vergangenen Jahr im Interview mit EDITION F. Sie können sich „etwas Vergleichbares wie den Mutterschutz auch für Väter vorstellen“, so die SPD-Politikerin. Denn Fakt ist: Trotz der „modernen Väter“, die im medialen Diskurs um Familie omnipräsent sind, nimmt nur ein Teil der Väter bislang nach der Geburt eines Kindes Elternzeit, im letzten abgeschlossenen Bezugszeitraum für das Elterngeld waren es 35 Prozent der Väter gegenüber 95 Prozent der Mütter. Die Gründe dafür sind vielfältig: traditionelle Geschlechterrollen, wenig finanzieller Spielraum von Familien, starre Unternehmenskulturen.

Der gesellschaftliche Diskurs und neue familienpolitische Ideen sind das eine, es werden jedoch auch immer mehr Unternehmen tätig, wenn es um die bessere Ermöglichung von ausreichend Zeit mit der Familie neben der Erwerbsarbeit geht. Flexibles und mobiles Arbeiten sind davon nur zwei Aspekte, die Microsoft sich schon seit einigen Jahren auf die Fahnen geschrieben hat, neben der Vertrauensarbeitszeit gibt es in dem internationalen Unternehmen mittlerweile auch den Vertrauensarbeitsort. Im Januar kamen drei weitere Neuerungen dazu, die das Leben der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ganzheitlich in den Blick nehmen und private Aspekte mit einbeziehen: Vaterschafts- und Adoptivelternurlaub, eine „Geburtsprämie für Mütter“, „Family Caregiver Leave“.

Wir haben mit Markus Köhler, HR-Chef von Microsoft Deutschland, über die neuen „Family Leave Benefits“ gesprochen.


Markus Köhler ist seit 2015 Personalchef bei Microsoft Deutschland. (Bild: Microsoft)

In Deutschland sind die familienpolitischen Leistungen schon relativ gut. Woher kam der Impuls, als Unternehmen weitere Leistungen anzubieten?

„Es ist richtig, dass wir in Deutschland da schon sehr privilegiert sind im internationalen Vergleich. Bei Microsoft konzipieren wir unsere Benefits aber in einem weltweiten Kontext für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die neuen ,Family Leave Benefits‘ für Eltern und Angestellte, die Angehörige pflegen, bieten wir also auch in Deutschland an. Wichtig war uns, dass es über die ,Elternphase‘ hinausgeht: Unsere Mitarbeiter können von nun an für kranke Familienangehörige vier Wochen bezahlte Auszeit pro Kalenderjahr beantragen und das kann jedes Jahr wiederholt werden.“

Sie schaffen nun auch ein neuartiges Angebot für Väter, gab es da Diskussionen innerhalb des Unternehmens? Haben Väter an Sie herangetragen, dass es etwas wie den Vaterschaftsurlaub bräuchte?

„Ich würde nicht sagen, dass es an uns herangetragen wurde. Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass die Väter die Elternzeit für sich nutzen. Dadurch, dass wir in einem Vertrauensumfeld arbeiten und wir darauf achten, dass die Väter auch wieder nach der Elternzeit in ihre Jobs zurückkehren können, ist es für uns wichtig, die Väter zu unterstützen, aber das Modell bezieht sich auch nicht nur auf Väter. Unser Vaterschafts- und Adoptivelternurlaub ist ein sechswöchiger Sonderurlaub bei voller Bezahlung, der innerhalb von zwölf Monaten nach Geburt oder Adoption beantragt werden kann. Das Modell bezieht sich auf alle Partnerschaften, also auch auf lesbische Paare und andere Konstellationen.“

Ein weiterer neuer Benefit ist die so genannte „Geburtsprämie“ für Frauen…

„Ich bezeichne das lieber als Erstausstattungsprämie. Der Mutterschutz bei voller Bezahlung hört ja nach 14 Wochen auf, wir stocken das auf um weitere sechs Wochen, weil das Elterngeld mit maximal 1800 Euro niedriger ist als das Nettogehalt. Als Firma zahlen wir die Differenz bis zum aktuellen Nettogehalt der Mitarbeiterin. Wir wollen die finanziellen Belastungen von Eltern abfedern, damit sie die erste Zeit wirklich genießen können.“

Wie machen Vätern bei Microsoft Gebrauch von der Elternzeit? Übertreffen ihre Mitarbeiter die Durchschnittswerte in Deutschland?

„Ich habe dazu keine Statistik, aber es sind wirklich einige, auch in ganz unterschiedlichen Funktionen. Ein Kollege bei mir im Team war gerade neun Monate in Elternzeit. Das Wichtige ist, dass man es rechtzeitig kommuniziert, so dass sich beide Seiten drauf einstellen können und man gute Übergangslösungen schafft. Weil es wird ja in dem Moment erst schwierig, wenn jemand für länger weg ist, sechs oder zwölf Monate, und es dafür keinen Ersatz gibt. Erst ohne Ersatz wird es eine Belastung fürs Team.“

Haben Sie den Eindruck, man muss Männern da Mut zusprechen, diese Zeit auch wirklich zu nehmen und keine Angst vor dem Karriereknick zu haben?

„Ich würde es mal so ausdrücken: Für Väter ist es noch nicht so selbstverständlich wie für Frauen. Aber die Unternehmenskultur bei uns ist eine Vertrauenskultur und Vertrauen ist immer beidseitig. Wir haben tolle Beispiele, wo es absolut fantastisch funktioniert hat, dass Väter mehrere Monate herausgegangen und dann wieder zurückgekommen sind. Das spricht sich natürlich herum – im positiven Sinne. Ich weiß nicht, ob Männer Mut brauchen. Es ist ja auch eine sehr persönliche Geschichte, wie ein Paar das machen will. Aber meine Erfahrung ist, dass eine Elternzeit keinen Karriereknick bedeutet und Väter immer mehr Interesse daran zeigen.“

Bei Microsoft arbeiten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seit einiger Zeit, wann sie wollen, und von wo aus sie wollen. Wie ist die Rückmeldung aus den Teams? Macht es das sehr viel einfacher, Familie und Beruf zu vereinbaren?

„Ja, es ist ein absoluter Differenzierungsfaktor für uns. Dieses Modell kann man je nach Lebensphase gut für sich nutzen, nicht nur Väter und Mütter. Es gibt Kolleginnen, die bis ein Uhr mittags im Büro sind, dann ihre Kinder abholen und den Nachmittag mit ihnen verbringen und dann erst abends wieder online sind. Wir messen unsere Mitarbeiter nicht nach Zeit, sondern Effektivität und Produktivität. Das Schöne ist, dass es wirklich flexibel genutzt werden kann. Wenn ich heute zu einem Meeting einlade, buche ich sowohl einen Raum als verschicke eine Skype-Einladung. Es interessiert mich nicht, ob jemand neben mir sitzt oder vielleicht gerade bei seinen Eltern, die er pflegt, zuhause ist. Das ist nicht ausschlaggebend. Das Ergebnis ist entscheidend.“

„Es interessiert mich nicht, ob jemand im Meeting neben mir sitzt oder vielleicht gerade bei seinen Eltern, die er pflegt, zuhause ist.“

Woran liegt es, dass so wenige andere Unternehmen es ähnlich handhaben?

„Erstmal ist die Kultur wahnsinnig wichtig. Es geht ein Stück weit auch um das Loslassen. Das ist auch kein Prozess, der bei uns über Nacht stattgefunden hat. Wir leben das bei Microsoft schon seit vielen vielen Jahren. Das Büro, das wir jetzt haben, in dem sehr flexibel und an unterschiedlichen Orten gearbeitet werden kann, ist nur eine Fortführung dessen, was wir schon seit Längerem machen. Wichtig ist, dass man sich überlegt, was könnten die ersten kleinen Schritte für ein Unternehmen sein, wenn man in diese Richtung gehen will.“

Gibt es Mitarbeiter, die jeden Tag ins Büro kommen wollen?

„Ja, klar. Die habe ich sogar bei mir im Team. Ich vergleiche das gern mit dem Programm Excel: Viele kennen es und arbeiten damit, aber die meisten von uns nutzen nur fünf bis zehn Prozent von dem, was das Programm kann. Wir bieten maximale Flexibilität und jeder kann sich das davon heraussuchen, was für ihn am besten passt. Und es gibt bei uns auch Kolleginnen und Kollegen die sagen, sie wollen eine striktere Teilung zwischen Beruf- und Privatleben, die kommen jeden Tag ins Büro und machen auch abends den Rechner nicht mehr an. Das ist auch völlig in Ordnung. Das sind mittlerweile aber tatsächlich die Allerwenigsten.“

„Es gibt bei uns auch Kolleginnen und Kollegen die sagen, sie wollen eine striktere Teilung zwischen Beruf- und Privatleben, die kommen jeden Tag ins Büro.“

Konnten Sie feststellen, ob sich die neuen Konzepte auf die Nachfrage von Teilzeit und Vollzeit auswirken? Ist es für Menschen mit Familie einfacher, eine volle Stelle zu haben, wenn sie flexibel arbeiten können?

„Das würde ich in jedem Fall unterstreichen. Ich habe zum Beispiel eine Mutter bei mir im Team, die ein vier Jahre altes und ein zwölf Monate altes Kind hat und ganz klar sagt: ,Ich möchte diese Entwicklungsphase meines Kindes nicht verpassen.‘ Strenggenommen müsste sie in vielen Unternehmen jetzt Teilzeit arbeiten, nur vormittags. Aber bei uns kann sie eben auch noch Dinge abends fertigstellen und so eine Vollzeitstelle haben. Das wäre nicht möglich, wenn man sagt: Alles muss bis fünf Uhr nachmittags fertig sein.“

Glauben Sie denn, dass das Zukunftsmodell weiterhin ist, 40 Stunden zu arbeiten?

„Wenn wir überlegen, wie Artificial Intelligence uns weiter unterstützen kann, ist es gut möglich, dass es weniger wird. Das ist aber nicht die Frage, die wir uns stellen. Wir fragen uns: Wie ist das Ergebnis? Welchen Einfluss kann ich nehmen? Denn wir haben bei unseren Mitarbeitern gesehen, dass sie mitbestimmen wollen, wie sie ihre Arbeit gestalten.“

Hat sich die veränderte Unternehmenskultur darauf ausgewirkt, mehr und bessere Bewerbungen zu bekommen?

„Die Kultur spielt eine riesengroße Rolle, gerade bei den Millenials. Im so genannten ,War for Talents‘ ist unser Work-Life-Flow-Modell für Bewerber ein wichtiger Faktor. Es interessiert aber nicht nur potenzielle Mitarbeiter. Seit der Eröffnung des neuen Büros hatten wir deutlich über 50.000 Besucher am neuen Standort und waren zum Beispiel bei der ,Langen Nacht der Architektur‘ mit dabei. Das Interesse daran, wie man anders arbeiten kann, wie man kollaborativ arbeiten kann, ist ungebrochen. Und ich finde es sehr motivierend, dass andere herkommen, um zu lernen.“

Eine Abschlussfrage habe ich noch: Wenn wir in einem Jahr noch mal telefonieren, gab es dann einen Babyboom bei Microsoft?

(Lacht) „Nein, das ist auch nicht das Ziel. Ich glaube schon, dass es ein Signal an Eltern, dass wir auch diese Phase im Leben sehr wichtig finden. Und wir werden alle älter. Familie und Gesundheit sind ein hohes Gut. Jeder, der in eine Situation kommt, in der er Unterstützung braucht, bekommt sie bei uns von der ganzen Mannschaft.“

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