Muss Gemüse schön sein? Nein, finden Lea Brumsack und Tanja Krakowski, Gründerinnen von Culinary Misfits. Ein Gespräch über unsere Wegwerfgesellschaft.
Gemüse mit Charakter
Möhrchen mit drei Beinen, ein Kohlrabiherz, eine riesige Zuccini oder eine längst vergessene Gemüsesorte sind weder im Biomarkt noch in der Gemüseauslage des Supermarkts zu finden.
Rund ein Drittel der deutschen Ernte wird jährlich weggeschmissen, als Viehfutter oder Feuermittel verwendet, einfach nur, weil sie nicht dem gewünschten Schönheitsideal entspricht. Warum? Das haben sich Lea Brumsack und Tanja Krakowski auch gefragt und gemeinsam Culinary Misfits gegründet, ein Ladenlokal für die „hässlichen Entlein“ und Gemüse mit Charakter.
Wir haben mit Lea über den Ursprung der Idee, unsere Wegwerfgesellschaft und kreative Arbeit gesprochen.
Lea, ihr seid beide eigentlich Designerinnen, wie entstand die Liebe zu den Misfits?
„Eigentlich stammt die Idee aus dem Food Aktivismus, Stichpunkte sind dabei Artenvielfalt, Lebensmittelverschwendung und gesunde Ernährung. Und genau mit diesem Aktivismus fing es für uns auch an. Wir waren viel auf Märkten unterwegs und hatten einen Stand in der Markthalle 9 in Berlin, um den Leuten zu zeigen, dass einwandfreies Obst und Gemüse einfach nur durch Form und Ästhetik aussortiert wird. Bereits direkt am Anfang haben wir viele Cateringanfragen bekommen und diese dann auch dank unserem Design-Hintergrund kreativ umsetzen können: Mit interaktiven Misfits-Essen, Fingerfood nach Farben der Saison und so weiter. Seit 2013 haben wir auch ein kleines Misfits Ladenlokal und bieten regelmässig Workshops in unserer Gemüsewerkstatt an.“
Was genau verbirgt sich hinter den Misfits und eurem Slogan „Esst die ganze Ernte“?
„Laut den Biobauern aus dem Berliner Umland, mit denen wir zusammenarbeiten, sind etwa zehn bis 50 Prozent der Ernte Misfits. Es können aber auch mal 90 Prozent sein! Wir hatten da zum Beispiel schon mal Zucchinis, die von einem Hagelschlag überrascht worden sind. Die sehen dann ein wenig angenagt oder verwundet aus und sind damit für den Handel nicht mehr verwertbar. Geschmacklich macht so ein Hagelschlag natürlich nichts aus, man sollte das Gemüse einfach nur schnell verarbeiten. Und so gibt es etliche Beispiele, die durch Wetterbedingungen entstehen oder durch Überschuss, weil einfach zu viel produziert wurde oder aber einfach eine Ernte auch mal größer war. Wir sagen also: Esst auch das verformte Gemüse und auch das, was nicht mehr bekannt ist und langsam von der Bildfläche verschwindet, weil es durch typische Gemüsesorten ersetzt wurde, die aber eben nicht regional sind.“
Was machen die Bauern denn normalerweise mit den Resten der Ernte?
„Bei den Kleinen kann man sagen, die verwerten das selber, geben es an Nachbarn, Bekannte, Verwandte oder machen ein großes Fest mit Suppe. Bei den großen Gärtnereien und Produktionen wird das Gemüse verfeuert, verfüttert an Tiere oder untergepflügt.“
Spiegelt dieses Verhalten für dich auch unsere „Wegwerfgesellschaft“, in der wir leben?
„Klar, es ist rein wirtschaftlich gesehen einfacher, einen Teil der Ernte wegzuschmeissen und nur die Kerzengeraden Möhrchen zu verwenden, als auszusortieren und zu sagen, wie werde ich die jetzt los oder wie mache ich das dem Abnehmer verständlich? Natürlich steckt auch hier das Streben nach immer höher, weiter und perfekter mit drin, das in unserer Gesellschaft gerade herrscht. Aber mit dem Streben nach Perfektion rückt natürlich das eigentlich wichtige, die ganze Ernte, in den Hintergrund.“
Ihr wart ja in Deutschland mit eurem Ladenlokal echte Vorreiter, warum meinst du hat das vorher noch niemand gemacht?
„Wir haben uns einfach daran gewöhnt, dass Gemüse immer gleichbleibend aussieht. Und vor uns gab es natürlich auch die kleinen Bioläden, die Wochenmärkten und Hofläden, wo auch nicht aussortiert wird. Und wir merken für uns auch, dass man sich im Biobereich mit so einem Konzept ganz anderen Herausforderungen stellen muss, was jetzt Regelmässigkeit und Auswahl angeht und auch bei der Rechtfertigung des Preises. Wir zahlen den Bauern für ihre Arbeit natürlich etwas. Außerdem brauchen wir für dieses Gemüse eine eigene Infrastruktur, die mehr Zeit in Anspruch nimmt, wie auch in der Küche, da ist es eben auch aufwendiger eine Möhre mit drei Beinen zu putzen als eine Kerzengerade.“
Wie können wir uns denn eure Infrastruktur vorstellen, wie sucht ihr die Bauern aus?
„Früher sind wir tatsächlich noch selbst zum Feld gefahren und haben die Misfits geerntet, das wurde dann aber zeitlich einfach zu aufwendig. Heute fangen wir die Bauern, mit denen wir gerne abrieten möchten, auf den Märkten ab und machen aus, wann und wo wir das Gemüse abholen können. Wichtig dabei ist es, Partner zu finden, die uns regelmässig etwas liefern können und das gleiche Verständnis von Misfits haben wie wir: Qualitativ gute Ware, die einfach nur optisch nicht den Ansprüchen des Handels genügt.“
Kommen bei euch denn ausschließlich Misfits in die Töpfe oder wie macht ihr das jetzt im Winter?
„Jetzt geht es noch, es kommen noch Pastinaken oder Kohl, alles was fest und groß gewachsen ist, steht gerade auf der Menütafel. Aber klar, das ist einschränkend und heute hatten wir zum Beispiel eine Suppe mit Fenchel und Orange mit dabei, wobei der Fenchel dann auch aus Italien kam, weil es eben zwischen Februar und Mai einfach nicht anders geht. Aber natürlich haben bei uns auch nicht alle Möhren drei Beine, sondern gerade hatten wir zum Beispiel eine Ladung, die war einfach sehr groß und von der Färbung ein wenig anders.“
Wird denn in der Biolandwirtschaft allgemein eher mehr oder weniger aussortiert?
„In der Regel ist es so: Wenn man in den Biosupermarkt geht, möchte man für den Preis auch was ordentliches haben. Man kann also sagen, dass in der Biolandwirtschaft nicht weniger aussortiert wird als in der traditionellen, wenn, dann eher mehr. Der Kunde ist eher noch wählerischer als im konventionellen Bereich. Was eigentlich komisch ist, da man ja denken würde, dass gerade hier eine andere Aufgeklärtheit und Offenheit vermutet wird, aber tatsächlich hält es sich total die Waage.“
Ihr habt ein Landencafé, eine Gemüsewerkstatt und macht auch noch Caterings, wenn ihr euch die Zukunft backen könntet, was wäre eure Idealvorstellung wie es mit euren Misfits weitergeht?
„Da wir beide Designerinnen sind, wollen wir vermehrt gestalterisch und konzeptionell arbeiten und beraten. Wir haben zum Beispiel für die Berlinale die Dekogläser auf den Tischen des kulinarischen Kinos gemacht oder wir haben einen Teil zum Expofilm beigesteuert, der im deutschen Pavillon laufen wird.“
Also eher weg vom Ladengeschäft, hin zum kreativen Arbeiten?
„Genau, wir haben immer gesagt, das Ladengeschäft ist ein Pilotprojekt, wir wollten eigentlich nur ein bis zwei Jahre machen und jetzt läuft es bereits länger und wird auch noch weiter laufen. Aber wir merken, dass immer mehr Menschen auch ähnliche Ideen haben und ähnliche Restaurants, nah an unserem Konzept gründen. Was total toll ist und wir uns gewünscht haben. Wir haben also unsere Mission so zu sagen erfüllt und können schauen, was wir noch machen können – und das wäre dann eher im Beraterischen Bereich für Firmen.“