Sara Arewa

„Wie soll man so gesund werden?“ – Ein Bericht aus der Psychiatrie

In der 49. Folge unseres Podcasts „Echt & Unzensiert“ spricht Ärztin und Aktivistin Sara Arewa über die wohl schwerste Zeit in ihrem Leben. 2022 und 2023 verbrachte sie aufgrund einer Psychose und einer anschließenden schweren Depression etwa acht Monate in geschlossenen psychiatrischen Stationen.

Im Gespräch berichtet Sara offen von ihrem Krankheitsverlauf und den zum Teil sehr schlechten Bedingungen, denen sie auf den verschiedenen Stationen ausgeliefert war.

Die ganze Podcastfolge hört ihr über einen Klick ins Titelbild oder eingebettet unten im Artikel und natürlich überall dort, wo es Podcasts gibt. Einen Ausschnitt aus dem Gespräch mit Sara lest ihr hier.

Liebe Sara, worum handelt es sich bei einer Psychose genau?

„Grob gesagt erleben Menschen in einer Psychose die Welt anders als andere – ihre Wahrnehmung verschiebt sich. Man wird schnell reizüberflutet und kann Dinge hören, sehen oder riechen, die nicht da sind. Gedanken fühlen sich so an, als kämen sie von außen. Oft sind die Gedanken beschleunigt, und es gibt sogenannte überwertige Ideen – man hat von sich selbst also eine übersteigerte Meinung. Das kann dazu führen, dass man denkt, man sei eine besondere Figur wie Jesus oder Buddha, die den Planeten retten soll.

Jede Psychose verläuft anders; es gibt kürzere und längere Phasen. Es ist ein sehr komplexes Krankheitsbild, das auf Dauer die Kognition und den Körper extrem belastet, weil das Gehirn ständig in einem Ausnahmezustand ist.“

Was hat deine Psychose ausgelöst?

„Bei mir kamen mehrere Faktoren zusammen, was, in Anführungszeichen, gut ist, da sich dadurch besser ableiten lässt, wie sich solche Situationen in Zukunft vermeiden lassen.

Mein Stresslevel war damals sehr hoch. Ich hatte gerade eine neue Stelle als Weiterbildungsassistentin angetreten und organisierte gleichzeitig eine Veranstaltung zu Diskriminierung und Rassismus im Gesundheitswesen mit der Berliner Justizverwaltung. Es war das erste Mal, dass ich mit einer Behörde zusammenarbeitete – und zum Schluss organisierte ich fast alles allein, weil ich beweisen wollte, was in mir steckt. Zur selben Zeit war dann noch meine Tochter krank und mein Mann angeschlagen.

Außerdem habe ich in den drei Wochen davor vielleicht einmal pro Woche einen Joint geraucht und ein-, zweimal MDMA konsumiert. Ich will aber betonen, dass es nicht unbedingt daran lag – viele Menschen bekommen eine Psychose, ohne je Drogen genommen zu haben. Meine Mutter hat auch Schizophrenie, was eine genetische Prädisposition darstellt. Man spricht dann von einer multifaktoriellen Genese.“

Wie hat sich deine Psychose entwickelt? Ging das von null auf hundert?

„Das kam schleichend. Mit der Zeit hatte ich immer mehr Energie, brauchte kaum Schlaf und hatte keinen Hunger mehr. Zu der Zeit machte ich auch eine Traumatherapie, was natürlich ein weiterer auslösender Faktor war.

Ich hatte damals schon die Vermutung, in einer manischen Phase zu sein, doch meine Therapeutin meinte zu mir, es sei die Energie, die freigesetzt werde, nachdem das Trauma verarbeitet wurde. Daraufhin dachte ich nur: ‚Cool, so fühlt es sich also an, sein Trauma zu überwinden.‘

Nachts saß ich am Computer und sprudelte nur so vor Ideen. Mein Mann merkte, dass etwas nicht stimmte, hoffte aber, dass nach der Veranstaltung alles wieder ruhiger werden würde. Mit der Zeit beschäftigte ich mich immer intensiver mit Themen wie Sozialisation, Rassismus, Diskriminierung und Kapitalismus. Im Zentrum stand für mich die Unterdrückung durch das Patriarchat, die mich schon im Studium beschäftigt hatte.”

Wann erreichte deine Psychose ihren Höhepunkt?

„Der Höhepunkt war dann die Veranstaltung. Am Ende hielt ich eine Rede und sprach von der Auflösung transgenerationalen Traumas. Am nächsten Morgen wachte ich auf und war überzeugt, dass Putin eine Atombombe werfen würde. Ich wollte sofort eine Demo organisieren, lief durchs Haus und versuchte, die Nachbar*innen zu mobilisieren. Mein Mann rief dann den Rettungsdienst.

Ich war in unserem Hof, zog mich aus und rief den Leuten zu, Fotos zu machen, um mediale Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich lief über die Straße und bestand darauf, zum Brandenburger Tor gebracht zu werden. Schließlich stimmten sie zu, aber stattdessen fuhren wir in die Klinik.“

Wie geht man als angehörige Person am besten mit einer Person um, die psychotische Symptome zeigt?

„Das ist extrem schwierig. Man muss erstmal realisieren, dass es eine Psychose ist, und sich dann fragen, ob Eigen- oder Fremdgefährdung vorliegt. Wenn keine Gefährdung besteht, kann man niemanden gegen seinen Willen einweisen.

Im besten Fall kann man versuchen, ein Gespräch zu führen und so ärztlichen Kontakt herbeizuführen. Aber oft fehlt den Betroffenen das Bewusstsein dafür. Mein Mann hätte mich beim ersten Mal vielleicht früher zur Behandlung bewegen können, aber beim ersten Mal verpasst man oft den richtigen Moment. Deshalb ist es wichtig, fürs nächste Mal gewappnet zu sein, Frühzeichen aufzuschreiben und gemeinsam zu besprechen, wie man dann vorgeht.“

Du wurdest dann stationär aufgenommen. Wie kamst du damit klar?

„Irgendwann war klar, dass ich geschlossen stationär bin und so schnell nicht mehr rauskomme. Als ich das realisiert habe, hatte ich einfach nur unglaubliche Angst. Ich wurde oft in eine Isozelle gebracht – ein Raum ohne Gefährdungsmöglichkeiten, wo man beobachtet werden kann.

Von den ersten Tagen weiß ich kaum noch etwas. Ich weiß nur von meinen Angehörigen, dass ich tagelang geschrien und gegen die Tür gekloppt und getreten habe, weil ich einfach nur raus wollte. Mein Mann, ist teilweise drei, vier Mal in die Klinik gefahren, um sicherzustellen, dass ich beginne meine Medikamente zu nehmen. Er war der Einzige, der mich in der Situation runterfahren konnte.“

Mit der Zeit wurdest du dann immer klarer?

„Genau. Am Anfang war es noch so, dass ich mittags im Raum stand und dachte: ‚Okay, ich weiß nicht, was ich vorher gemacht habe, aber es ist jetzt zwölf Uhr und ich habe Hunger. Ich frage mal, ob ich was zu essen bekomme.‘ Mit der Zeit wurden die Abstände, in denen ich mental anwesend war, immer länger.“

Wie ging es nach der Entlassung weiter?

„Ich war nicht komplett unpsychotisch, als ich entlassen wurde. Ich konnte es einfach nur supergut überspielen. Ich habe während der Psychose viele Medikamente bekommen, die schreckliche Nebenwirkungen hatten. Meine Freundinnen meinten zu mir, ich würde aussehen, wie eine alte Omi mit Parkinson. Ich war total versteift und verlangsamt.

Trotzdem hatte ich eine, in Anführungsstrichen, gute Zeit, weil ich während dieser psychotischen Phase sehr agitiert war und viele Ideen hatte. Das war für meine Tochter aber oft zu viel, weil ich nicht die gleiche Person war. Ich habe doppelt so schnell und viel geredet.

Irgendwann gab es dann aber plötzlich einen Switch: Von dem einen auf den anderen Tag hatte ich keinen Lebenswillen mehr und fragte mich, was ich hier überhaupt noch soll. Das passiert oft bei Menschen mit Psychose. Etwa 60 Prozent entwickeln eine Postpsychose-Depression.“

Wieso ist das so?

„Plakativ gesagt: Eine Psychose ist wie ein Drogentrip. Über zwei, drei Monate wurden bei mir alle Neurotransmitter gefeuert und der Speicher war leer. Dadurch entwickelte sich eine schwere Depression mit hoher Suizidalität. Ich hatte klassische Symptome wie frühmorgendliches Erwachen, Grübeln und Antriebslosigkeit. Nichts machte mir Freude.

Etwa drei Wochen nach meiner ersten Entlassung sagte mein Mann, dass es so nicht weitergehen könne, da ich morgens mit einem Messer an meinen Adern in der Küche stand. Ich musste zurück ins Krankenhaus. Glücklicherweise hatte ich den direkten Draht zu der Ärztin, die mich in der Psychose behandelt hatte, und sie sagte, ich solle vorbeikommen, um erst einmal für ein oder zwei Tage zu schauen, wie es weitergeht.“

Es stand schnell fest, dass du wieder für längere Zeit stationär aufgenommen werden musst. Wie hast du die Zeit in der Klinik erlebt?

„Es war total krass. Während der Psychose habe ich nicht wirklich wahrgenommen, wie trist dieser Ort war – während der Depression umso mehr. Und es ist nicht so, als wäre ich in einer Klinik mit schlechtem Ruf gewesen – im Gegenteil.

Es gab wirklich nichts, was für das Auge ansprechend gewesen ist. Die Mahlzeiten waren eine absolute Katastrophe. Das war wirklich kein Essen, mit dem man gesund wird. Während der Psychose und auch lange Zeit danach hatte ich nicht mal eine psychotherapeutische Ansprechperson. Es gab einfach keine.

Das muss man sich mal vorstellen: Wenn jemand wegen eines Hüftgelenksaustauschs im Krankenhaus ist und keine Physiotherapeutin erhält, weil die Physiotherapeutin der Station gekündigt hat, würde man normalerweise versuchen, eine andere Physiotherapeut*in von einer anderen Station zu organisieren. Bei mir ist das jedoch nicht geschehen, weil die Seele, die Psyche, nicht als ebenso wichtig angesehen wird wie der reine Körper.“

Was hat dir sonst noch zu schaffen gemacht?

„Ich habe in Mehrbettzimmern geschlafen, meist mit mindestens einer, oft zwei anderen Personen, die alle ihren eigenen Rhythmus hatten. Eine Patientin hat laut YouTube-Videos geschaut und gelacht, sodass ich nicht schlafen konnte. Schlaf war ohnehin ein riesiges Problem für mich.

Das therapeutische Angebot war ein Minimalangebot. Es gab Ergotherapie, wo man Mandalas malen, stricken oder Specksteine hauen konnte. Das war aber begrenzt, und nach fast acht Monaten wollte ich nicht mein 100. Mandala malen. Das Sportangebot bestand nur aus Tischtennis oder Basketball.

Ich hatte keine Motivation, etwas zu machen, da ich ohnehin schon so antriebslos war und nur im Bett liegen wollte. Die Tatsache, dass dieser Ort so war, wie er war, hat einfach nur dazu beigetragen, dass es mir schlechter ging.“

Warst du auch wieder in der Isozelle?

„Ich war wegen meiner hohen Suizidalität auch oft in der Isolation. Da hatte ich einfach nur ein Bett, das in die Ecke gestellt war. In dieser Ecke hat es immer nach Urin gerochen. Ein Matratzentausch hat es ein bisschen besser gemacht, aber es war trotzdem eklig.

Eine Patientin nebenan, mit der ich mir das Badezimmer teilte, wachte immer zwischen fünf und halb sechs auf, klopfte laut an die Tür und verlangte nach einem Cappuccino und Zigaretten. Sie rauchte dann eine Kippe nach der anderen in diesem Raum, und ich als Nichtraucherin bekam die Dämpfe ab. So bin ich morgens aufgewacht.

Das muss man sich mal überlegen: Du gibst jemanden in einen Ort, wo du dir wünscht, dass diese Person genesen kann – und dann ist die solchen Bedingungen ausgesetzt. Also wie soll man so gesund werden?“

Musstest du in der Klinik oft um deine Bedürfnisse kämpfen?

„Absolut. Ich finde es ist einfach ein krasses Unding, dass ich durch diese Zeit im Prinzip nur gekommen bin, weil ich so bin, wie ich bin und über medizinisches Vorwissen verfüge. Mein Status als Ärztin hat vielleicht auch dazu geführt, dass das Personal mir gegenüber an manchen Stellen bemühter war.

Ich habe viele andere Patient*innen gesehen, die nicht die gleichen Ressourcen hatten: keine Familie, kein medizinisches Vorwissen und nicht die Kraft, für sich einzustehen. Diese Menschen sind einfach komplett hinten runtergefallen.“

Du willst noch mehr über Saras Geschichte erfahren?

Mehr Einblicke gibt uns Sara in der 49. Folge unseres Podcasts „Echt & Unzensiert“. Sie spricht darüber, wie ihr Umfeld sie bei der Genesung unterstützt hat, wie sie den Weg zurück in den Alltag gefunden hat und welche positiven Seiten sie aus dieser Erfahrung mitgenommen hat.

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Außerdem erzählt Sara, wie sie als Ärztin heute mit Stigmatisierung umgeht und teilt wertvolle Tipps für Menschen, die mit ähnlichen mentalen Problemen konfrontiert sind. Reinhören lohnt sich! Die Folge findet ihr über diesem Absatz, mit einem Klick in den Header und überall dort, wo es Podcasts gibt.

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Bei „Echt & Unzensiert“ beleuchtet Host Tino Amaral gemeinsam mit Expert*innen und Betroffenen vermeintliche Tabuthemen, macht auf Missstände aufmerksam und gibt wichtige Denkanstöße, die deinen Blick auf die Welt für immer verändern werden. Auch einige Promis haben bei ihm schon private Einblicke gegeben und wichtige Erkenntnisse geteilt. Welches Thema würdest du gerne mal hören? Lass es uns bei Instagram wissen!

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