Geklaute Ideen, sexistische Sprüche, ungleiche Bezahlung – struktureller Sexismus in Agenturen ist kein Einzelfall. Was lässt sich dagegen tun?
Als sich die Junior-Copywriterin Pavlina Vlachopoulou bei der renommierten Werbeagentur Scholz & Friends für einen Job bewarb und abgelehnt wurde, hätte sie nicht gedacht, ihre Bewerbungsidee wenig später fast 1:1 als Kampagne „One Girl, One Cup“ umgesetzt zu sehen – ohne selbst daran beteiligt zu sein. Pavlina machte die Angelegenheit auf Instagram öffentlich; die Agentur gab ein Statement ab und sprach von einem „unglücklichen Zufall“, basierend auf einer „kreativen Doppelschöpfung“ zum gleichen Briefing; die eingestellte Kandidatin Martina Pellerey hatte laut einem LinkedIn-Post ihre Idee vor Pavlina Vlachopoulou eingereicht.
Der Creative Director Sebastian Stelzer hat sich darunter in einem Kommentar bei Pavlina entschuldigt und angekündigt, bei künftigen Bewerbungen keine Ideen für echte Kunden mehr entwickeln zu lassen. Doch ausgelöst durch den Vorfall mehrten sich Stimmen von Frauen aus der Agenturbranche auf Social-Media-Plattformen wie Twitter und Instagram, die sagten: Das, was Pavlina Vlachopoulou passiert ist, ist kein Einzelfall.
In Werbe- und anderen Agenturen werden demnach vor allem Frauen benachteiligt. Ihre Ideen haben weniger Gewicht als die von männlichen Kollegen; Frauen gelten als fleißiger und billiger, werden in Beförderungsrunden oft übergangen und bekommen unter dem Vorwand von Humor und kreativer Freiheit oft sexistische Sprüche zu hören – oder auch mal Dessous oder Peniskalender geschenkt. Eine Bekannte, die in einer Agentur gearbeitet hat, hat Sätze gehört wie „Die Mädels muss man halt ordentlich rannehmen und ausarbeiten, bevor sie mit 30 schwanger werden und dann war’s das.“
Aber woran liegt es, dass struktureller Sexismus ausgerechnet in der Agenturbranche so verbreitet ist – und was lässt sich dagegen tun?
Struktureller Sexismus im Job
Sexismus ist die Diskriminierung aufgrund von Geschlecht. Wenn jemand also basierend auf dem Geschlecht Beschränkungen oder Benachteiligungen – zum Beispiel ein geringeres Gehalt für die gleichen Aufgaben, weniger Beförderungen, kaum Unterstützung oder sogar Ausnutzung und Abwertung – erlebt, dann ist das Sexismus. Laut einer Untersuchung des Bundesfamilienministeriums ist Sexismus sogar „ein Massenphänomen“. Und struktureller Sexismus bedeutet: Die vorhandenen Strukturen im Umfeld bringen diese Benachteiligungen hervor und verstärken sie.
Das entsteht nicht einfach so im luftleeren Raum. „Struktureller Sexismus im Job ist das Spiegelbild der gesellschaftlichen Machtverhältnisse und der gewachsenen Strukturen, Normen und Werte“, erklärt die Psychologin Eva Haberkern, Expertin für Diversity und systemische Beraterin beim CAIDAO-Institut für Betriebsratsberatung. Wenn also Menschen in der gesamten Gesellschaft aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt oder eingeschränkt werden, dann zeigt sich das logischerweise auch im Arbeitsleben.
Sexismus in Agenturen
In Agenturen sind diese geschlechtsspezifischen Benachteiligungen unter anderem deshalb stärker ausgeprägt, weil dort häufig eine Mischung aus vermeintlich flachen Hierarchien („Hey, hab’ dich mal nicht so, wir sind doch alle eine Familie“) bei gleichzeitig ausgeprägter Hackordnung und intensiver Konkurrenz herrscht – und die Führungsriege oft aus Männern besteht.
„Eine Studie hat 2017 ergeben, dass Frauen – obwohl sie etwa die Hälfte der Beschäftigten in der Kreativbranche ausmachen – nur 21 Prozent der Führungspositionen besetzen“, sagt der Autor Nils Pickert von der Organisation Pinkstinks, die sich für Geschlechtergerechtigkeit und Vielfalt einsetzt, und erklärt weiter: „Sexismus hat immer dort besonders viel Raum, wo große Machtgefälle an der Tagesordnung sind.“
Außerdem seien Werbe- und PR-Agenturen auch von Selbstausbeutung, Überstunden und Brainstormings geprägt, in denen Ideen nicht nur vorgestellt werden, sondern regelrechte Selbstinszenierungen stattfinden. „Das sind die Zutaten für einen klassischen Boys Club“, sagt Nils Pickert. Und in dem landen diejenigen, die sich am lautesten gebärden, am weitesten vorn.
Sexismus hat immer dort besonders viel Raum, wo große Machtgefälle an der Tagesordnung sind.
Nils Pickert
Jetzt könnte man versucht sein, einzuwerfen, dass Frauen in solchen Meetings halt lauter brüllen und sich krasser selbst inszenieren müssten und schon wäre alles gut. Doch so einfach ist das nicht – denn damit bewegen sie sich außerhalb des ihnen zugestandenen Rahmens; sie fallen auf, ecken an und gelten als unbequem. In Agentur-Meetings wird laut Nils Pickert von Frauen weder erwartet noch toleriert, dass sie ihre Ideen beschreien und laut sind: „In solchen Boys Clubs haben Frauen, denen stereotyp Familienarbeit zugesprochen wird, nicht viel zu melden.“ Dazu komme die Angst davor, in Agenturen auf der Blacklist zu landen und keine Jobs mehr zu bekommen. Also halten viele Frauen lieber die Füße still. Und den Mund.
Schwach, emotional, bissig
Ein weiteres Problem bei einer männlichen Führungsebene in einem Umfeld, das stereotyp männliche Verhaltensweisen belohnt: Man bleibt unter sich.
„Sozialpsychologisch werden der eigenen Gruppe – in diesem Fall Männer – bessere Eigenschaften wie Stärke, analytisches Denken, Durchsetzungsfähigkeit zugeschrieben, während die andere Gruppe – also Frauen – als weniger geeignet, schwach, emotional oder bissig gelten“, erläutert Eva Haberkern. „In Branchen, in denen die Machtverhältnisse männerdominiert sind, sind die Strukturen an männliche Bedürfnisse angepasst.“
Ausufernde Arbeitszeiten, späte Meetings und irrwitzige Deadlines sind halt wesentlich weniger problematisch, wenn jemand anders zu Hause den Großteil der Care-Arbeit schultert. Und das soll im Grunde auch so bleiben.
„Um nichts von diesen Privilegien abgeben zu müssen, werden andere kleingehalten“, meint Eva Haberkern, „und bevorzugt die Männer befördert, die dem Beförderer selbst ähnlich sind.“ Dieses Prinzip als solches ist bekannt; in Deutschland gab es laut der Allbright-Stiftung im Jahr 2017 allein mehr Vorstandsmitglieder mit dem Namen Thomas oder Michael, als insgesamt Frauen in Vorständen.
All das macht Agenturen zu einem geeigneten Nährboden für strukturellen Sexismus und hat in der Branche zu einer Kultur geführt, die nicht nur männliche Selbstinszenierung begünstigt und fördert, sondern die sich auch kontinuierlich selbst reproduziert. Deshalb können sich Verantwortliche in Agenturen auch erlauben, kostenlos Ideen von Bewerber*innen für echte Aufträge zu verwenden, ohne Rücksprache zu halten oder von sich aus Credit zu geben; es ist ein Stück weit Teil des Selbstverständnisses der Branche.
Eine derart tief verwurzelte Kultur ist nicht so leicht zu ändern. Trotzdem gibt es ein paar mögliche Ansätze, die beim Umgang mit strukturellem Sexismus in Agenturen hilfreich sein können.
Verbündete suchen
„Da die Diskriminierung strukturell ist, erlebt eine betroffene Frau das Problem ganz sicher nicht als einzige“, sagt Eva Haberkern. Sie rät deshalb: Verbündete suchen und vernetzen. Das Gefühl, mit den gemachten Erfahrungen und Problemen nicht allein zu sein, entlastet und stärkt.
Solidarität und Transparenz sind auf allen Ebenen wichtig, denn gemeinsam lässt sich auch leichter ein Bewusstsein oder Aufmerksamkeit für Missstände und benachteiligende Strukturen schaffen – so, wie Pavlina Vlachopoulou es mit ihrem Instagram-Post getan hat.
Zudem ist es eine hervorragende Idee, auch Männer als Verbündete ins Boot zu holen und zu zeigen, dass es anders geht. Wie, das beschreibt Eva Haberkern mit einem einfachen, konkreten Beispiel: „Es gemeinsam zur Normalität machen, dass auch die Männer die Getränke für die Besprechung auf den Tisch stellen können und nicht die eine Frau im Raum.“
Auch wenn die Kultur in Agenturen strukturellen Sexismus begünstigt – es tut sich langsam was. „Die Branche ist im Wandel. Weder sind sexistische oder stereotype Werbung noch solche Arbeitsbedingungen cool“, sagt Nils Pickert. „Das setzt sich allmählich durch, muss aber noch mehr in die Köpfe der Verantwortlichen. So überzeugend wie möglich, so druckvoll wie nötig.“
Bei Scholz & Friends leitet übrigens seit 2018 Catherine Gaudry eine Abteilung für Gender, Diversity, Talent und Kultur. Denn kostenlose Smoothies und Yoga in der Mittagspause reichen eben noch lange nicht für ein gutes, kreatives und wertschätzendes Arbeitsklima.
Letztlich kann es nicht der Job von Frauen sein, den Großteil ihrer Arbeitszeit damit zu verbringen, gegen strukturellen Sexismus und die entsprechenden Beschränkungen und Benachteiligungen zu kämpfen. Das kostet so viel Ressourcen, Kraft und Energie – da kommen sie ja kaum noch richtig zum Arbeiten. Und davon profitiert noch gleich wer? Richtig, der Boys Club.