Eine Soldatin hatte einen Kollegen wegen sexueller Belästigung angezeigt, doch das Verfahren wurde nun eingestellt, weil die Staatsanwältin nicht erkennen konnte, dass er die Frau beleidigen wollte.
Die Verteidigungsministerin schaltet sich ein
Sogar Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat sich mittlerweile zur Wort gemeldet, denn es geht auch um das Image der Bundeswehr: Eine Soldatin hatte 2015 einen Kameraden angezeigt, von dem sie sich körperlich bedrängt fühlte und auch verbal belästigt worden sein soll. Die Staatsanwaltschaft – und dort war für den Fall eine Frau zuständig – hat das Verfahren eingestellt, da eine Verurteilung nicht zu erwarten gewesen wäre, heißt es in einer Mitteilung der Staatsanwaltschaft.
„Bei dem von Ihnen beschriebenen ,Imponiergehabe‘ des Beschuldigten (Posen, Muskelspiel, Aufforderung zum Sex, Griff an das Gesäß) ist jedoch nach allgemeinem (vorwiegend männlichem) Verständnis davon auszugehen, dass der Beschuldigte sein ,Interesse‘ an Ihnen damit kundtun und nicht, dass er Sie beleidigen wollte“, so zitiert von der Leyen die Begründung zur Einstellung gegenüber der Soldatin. Die Ministerin fühlte sich von dem Vorfall zu einem offenen Brief bewegt, um ihre Haltung klar zu machen. Eine sexuelle Belästigung zur Anzeige zur bringen, sei aus ihrer Sicht „der richtige Weg“. Sie veröffentlichte die Stellungnahme am Dienstag auf der Website des Verteidigungsministeriums. Das Ministerium habe nun die Ansprechstelle „Diskriminierung und Gewalt in der Bundeswehr“ eingerichtet.
Wann fängt Belästigung an?
Von der Leyen merkt mit Recht an, dass die Beurteilung, dass körperliche und verbale Übergriffigkeit als „Interessenbekundung“ gemeint seien, „aus der Zeit gefallen“ seien. Denn wenn die Definition von sexueller Belästigung sich allein am „männlichen Verständnis“ orientieren würde, wären Frauen Freiwild: „Ich habe der Frau doch nur an die Brust gefasst, weil ich ihren Vortrag so toll fand und ich gern mein Interesse an einem gemeinsamen Abendessen bekräftigen wollte.“
Die Debatte um Gleichberechtigung und Respekt sowie das Wissen darüber, dass sexuelle Übergriffe komplett unangemessen und schädlich sind, ist zum Glück(!) in Deutschland mittlerweile so weit, dass man jeden Mann in die Verantwortung nehmen muss, zu wissen, welches Verhalten gegenüber einer Frau nicht in Ordnung ist. Erwachsene, halbwegs intelligente Männer müssen erkennen und entscheiden können, wann sie eine Frau bedrängen, belästigen oder wann ein Flirt völlig okay ist. Wenn sie ihr eigenes Verhalten nicht reflektieren und in Kauf nehmen, dass eine Frau sich unwohl, bedroht und nicht respektiert fühlt, müssen sie mit den Konsequenzen umgehen können. Wenn jedoch akzeptiert bleibt – in diesem Fall unterstützt von der antiquierten Haltung einer Staatsanwaltschaft – dass Männer diese Verantwortung nicht wahrnehmen müssen und ihr respektloses Verhalten mit Unwissenheit und einer vermeintlich anderen Absicht („Interessenbekundung“) rechtfertigen können, treten wir in Sachen sexualisierter Gewalt und Selbstbestimmung von Frauen auf der Stelle.
Männer wissen, was sie tun
Ein Mann, der tatsächlich einen Griff an den Po oder Anzüglichkeiten mit einem Kompliment gleichsetzt, hat offenbar tatsächlich nicht sein Gehirn benutzt. Er stellt sich selbst als dumm dar – und mit diesem Verhalten sein ganzes Geschlecht. Daher sollte jeder Mann, der Kompliment und Belästigung unterscheiden kann, eingreifen, wenn er Belästigung mitbekommt, und sich klar positionieren. Denn bei der Frage, wie wir als Gesellschaft sexuelle Übergriffe gegenüber Frauen zurückdrängen, kommt den Männer eine Schlüsselrolle zu: Sie müssen für ihr eigenes Verhalten Verantwortung übernehmen. Mit ihrer Haltung zeigen sie, in welcher Gesellschaft sie leben wollen.
Dass Frauen sich wehren, auch über Anzeigen, kann nur der nächste Schritt sein. Immerhin ist es mit der Reform des Sexualstrafrechts nun ein Stück weit einfacher geworden, sich über den Rechtsweg zu wehren. Seit letztem Jahr gilt der Grundsatz „Nein heißt Nein“ und das weit verbreitete „Grapschen“ ist nun ein Straftatbestand. Der eindeutig bessere Weg für uns als Gesellschaft ist jedoch, dass die Notwendigkeit einen sexuellen Übergriff anzuzeigen, immer seltener besteht, weil wir endlich mehr Respekt voreinander entwickeln und die Grenzen der anderen versuchen einzuschätzen. Das ist nicht zu viel verlangt – und bedeutet ganz sicher nicht das Ende von Unbefangenheit und Spaß. Im Gegenteil – ganz besonders für Frauen.
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