Einige Jahre war Jannike Stöhr Personalerin in einem großen deutschen Konzern. Der Job war nicht schlecht, doch ihr fehlte etwas. Ein Jahr lang testete die 29-jährige, welcher Beruf am besten zu ihr passt. Vielleicht Kindergärtnerin? Oder doch Politikerin? Wir haben uns mit der Autorin über ihr Traumjob-Experiment unterhalten.
„Ich hatte über Jahre das Gefühl, nicht dort hinzugehören, wo ich war.“
Wie kommt man auf die Idee, ein Jahr lang dreißig verschiedene Jobs zu testen, wenn man eigentlich bereits einen guten und sicheren Job hat? Jannike ist nicht einmal dreißig und hatte im Grunde all das, was für viele der Idee eines glücklichen Lebens entspricht.
Für sie selbst hat sich dieses Leben aber nicht richtig angefühlt. Als ihr Vater im vergangenen Jahr starb, wurde ihr etwas klar: Sie möchte nicht, dass ihr Leben einfach so an ihr vorüberzieht. Sie kündigte ihren Job als Personalerin, ihren Vertrag im Fitnessstudio und den Leasing- Vertrag und startete das Projekt
„Traumjob“. Wir haben mit ihr gesprochen.
Nach welchen Kriterien hast du die Wahl deiner Jobs getroffen? Waren auch ein paar deiner Kindheits-Traumberufe darunter?
„Vor dem Projekt habe ich mit einer Freundin ein Brainstorming gemacht und bin auf dreizehn Jobs gekommen, die ich gern testen würde. Dabei haben wir überlegt, was ich als Kind werden wollte, was andere Menschen mir empfohlen haben und welche Jobs ich jetzt einfach interessant finde. Mit der Zeit bin ich dann etwas freier geworden und habe viele unterschiedliche Angebote für Praktika bekommen.“
Wie sehr hat dein eigenes Interesse und dein Wunsch nach Neuorientierung bei der Auswahl der Jobs eine Rolle gespielt?
„In der ersten Hälfte habe ich mich stark an meinen eigenen Interessen orientiert und habe dann aber festgestellt, dass ich mir mit dieser Auswahl selbst viele Möglichkeiten nehme. Jemand sagte mal zu mir, dass mein Projekt wie ein Sechser im Lotto sei. Und zur Hälfte meines Projektes hat nahezu jeder, den ich um ein Praktikum gebeten habe, zugesagt. In der zweiten Hälfte habe ich daher ganz unterschiedliche und abgefahrene Jobs getestet, die nicht unbedingt meinen Interessen entsprachen. Auch oder gerade in diesen Jobs konnte ich so viel für mich persönlich mitnehmen, dass ich die Entscheidung nie bereut habe.“
Kannst du beschreiben, warum du in deinem vorherigen Job unzufrieden warst?
„Das kann ich gar nicht so genau beantworten. Ich hatte über Jahre das Gefühl, nicht dort hinzugehören, wo ich war. Ich habe viele Experimente gemacht, um zum Beispiel einen Ausgleich im Privaten zu finden, habe Hobbys, Ehrenämter und Sportarten getestet, ein Dankbarkeitstagebuch geführt, mich gesund ernährt, einen Garten angelegt und bin den Jakobsweg gepilgert. Aber das Gefühl wurde dadurch bloß immer stärker. Deswegen habe ich mich entschieden, Abstand zu meinem alten Leben zu bekommen und einmal etwas ganz Neues in anderer Umgebung kennenzulernen.“
„Erzieherin: Ein Kind nach dem anderen entlasse ich nach draußen zum Spielen. Als ich fast fertig bin, fällt mir der nasse Fleck auf meinem Oberschenkel auf. Aha. Offensichtlich hat mich eines der Kinder angepinkelt, während es auf meinem Schoß saß (…).“
In welchem der Jobs hast du am meisten dazugelernt?
„Im Job des Pathologen. Das war eine sehr prägende Erfahrung. Zum einen war es eine große Überwindung für mich, das Praktikum überhaupt zu beginnen, da ich so viele Vorurteile und Ängste hatte. Der Job war dann aber tatsächlich ganz anders, als ich ihn mir vorgestellt habe. Die ganzen Organe zu sehen, war sehr beeindruckend, überhaupt, zu sehen, wie wichtig Gesundheit ist. Das hat mich sehr zum Nachdenken angeregt. Außerdem habe ich gelernt, dass man belohnt wird, wenn man seine Komfortzone verlässt. Das hat mir dann auch bei der Job-Auswahl in der zweiten Hälfte geholfen, freier zu werden.“
In welcher der Städte hast du dich am wohlsten gefühlt und warum?
„In Hamburg, Berlin und Wien. In Hamburg und Berlin habe ich Freunde und Verwandte und ich kenne mich dort einigermaßen aus. Das war immer eine nette Abwechslung, denn sonst war ja immer alles neu. Und Wien habe ich schätzen gelernt, weil es dort unglaublich viele offene, herzliche und hilfsbereite Menschen gibt, die sehr vernetzt sind. In Wien als Hauptstadt passiert viel, dennoch ist es nicht zu groß. Ich bin immer wieder gern dort, hauptsächlich wegen der Menschen, die ich dort kennengelernt habe.“
„Politikerin: ‚Den Job brauchst du gar nicht erst zu testen!’ Bei keinem der anderen Jobs schlägt mir im Vorfeld so viel Missbilligung entgegen, wenn ich sagte, was ich testen will. Selbst die Headhunter hatten mehr Fans.“
Am Ende eines jeden Job-Beitrags erklärst du, für wen der Job etwas sein könnte und wer besser die Finger davon lassen sollte. Hast du während des Experiments selbst eine Liste mit deinen persönlichen Vor- und Nachteilen geführt?
„Nein, ich habe keine Liste geführt. Am Anfang habe ich noch viel abgewogen und über Vor- und Nachteile nachgedacht, aber ich musste zu viele Entscheidungen innerhalb kurzer Zeit treffen, sodass ich gar nicht die Kapazität hatte, weiter so vorzugehen. Deswegen habe ich dann ab einem gewissen Punkt nur noch aus dem Bauch heraus entschieden und mir auch vorgenommen, bei der Jobauswahl genauso vorzugehen.“
Woher hast du während dieser Zeit die Energie genommen, dich immer wieder auf neue Orte, Menschen und völlig neue Tätigkeiten einzulassen?
„In meinem Projekt hatte ich das erste Mal das Gefühl, dass ich das Richtige tue und genau dort hingehöre, wo ich war. Das hat mir Kraft gegeben. Ich habe festgestellt, dass Menschen, die leidenschaftlich ihren Tätigkeiten nachgehen, über sehr viel Energie verfügen. Und auch bei mir war es so, ich habe geliebt, was ich tat, und deswegen hatte ich auch viel Energie. Zwischendurch tat es zusätzlich auch immer gut, Freunde und Familie zu treffen. Die Zeit konnte ich ganz anders genießen als zuvor.“
Warst du mit der Zeit weniger aufgeregt, wenn du wieder einen neuen „ersten Tag” hattest?
„Ja. Je mehr Jobs ich getestet habe, desto weniger aufgeregt war ich. Dafür hat die Vorfreude vor neuen Jobs immer mehr zugenommen.“
„Pathologin: ‚Hier liegt nicht der Mensch, sondern nur dessen Körper, sein Leichnam. Das sage ich mir immer wieder’, rät mir Herr Dr. Schneider, um mir den Umgang mit dem, was sich vor mir auf dem Tisch abspielt, zu erleichtern. Als ich den Sektionssaal wieder verlasse, fühle ich mich tief erschüttert.“
Bist du noch mit Menschen aus dem Experiment in Kontakt? Sind Freundschaften daraus entstanden?
„Ich bin noch mit einigen Menschen in Kontakt und einige von ihnen würde ich mittlerweile auch als meine Freunde bezeichnen. Das ist einer der schönsten Aspekte meines Projektes.“
Wie wird es jetzt weiter gehen? Kannst du dir vorstellen, weiter als Autorin zu arbeiten?
„Definitiv. Zurzeit bin ich gerade in der Verlängerung meines Jobs 29 als Politikerin, und arbeite für ein paar Monate in dem Büro eines Europa-Abgeordneten. Langfristig möchte ich gern schreiben und habe mich dafür unter anderem an einer Journalistenschule beworben.“
Jannike Stör: „Das Traumjob-Experiment – 30 Jobs in einem Jahr“, Eichborn Verlag in der Bastei Lübbe AG, Februar 2016, 269 Seiten, 16 Euro.
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