Fahnen, Hymnen, Deutschland-Trikots. Wie viel Fankult ist ok? Ist das gefährlich? Die Gesellschaft streitet sich – wie immer zur WM.
Flaggen-Patriotismus?
Hängt bei dir im Büro eine Flagge? Deutschland-Trikot schon gewaschen? Wirst du heute Abend die Hymne mitsingen? Ja? Ohje, du solltest dir Gedanken machen, du bist gefährdet. Und vor allem: gefährlich!
Dieser Meinung sind zumindest zahlreiche Politiker, Sozialwissenschaftler und Journalisten. Vor wenigen Tagen twitterte Oliver Höfinghoff, Fraktionsvorsitzender der Berliner Piraten: „Wedelt halt mit euren Fahnen und Wimpeln. Aber versucht wenigstens, niemand zu verletzen. Und erzählt nicht, das sei kein Nationalismus!“ In der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung „der Freitag“ steht, dass die Weltmeisterschaft im „Kern nationalistisch“ sei und die Ausländerfeindlichkeit nachweislich fördere. Und Joel Keilhauer von der Grünen Jugend Bayern behauptet: “Es gibt keinen gemäßigten Patriotismus.“
Kollektive Euphorie
Seit 2006, seit dem Sommermärchen, schien man sich wieder bedenkenlos und selbstverständlich mit der Nationalmannschaft freuen zu können. So wie die Spanier es tun. Oder die Italiener. Oder die Engländer. Vier Wochen lang kollektive Euphorie, damals, ganz ohne Scham. Ein freundliches, friedliches Land präsentierte sich der Welt, der hässliche Deutsche offenbar gestorben. Endlich – denkste. Alle Jahre wieder wird gewarnt: Aus schwarz-rot-gold wird ganz schnell braun.
Wer mal ein Spiel auf der Fanmeile verfolgt, wer die Kinder auf dem Fußballplatz beobachtet, wer einfach nur durch die Straßen läuft, merkt: diese Logik greift nicht. Denn Schwarz-rot-gold bleibt schwarz-rot-gold. Und braun bleibt braun. Dass das so nebeneinander stehen kann, wollen die Warner nicht wahrhaben. Als würde es keinen Unterschied geben zwischen einem Neonazi mit Reichsadler auf der Brust und rechten Arm im Anschlag und einem zwölfjährigen Mädchen mit Farben auf der Wange.
Fließende Grenzen, lautet das Gegenargument. Die viel beschworenen fließenden Grenzen. Ich behaupte: Den Spinnern (wenn Gauck das sagen darf!) zeigt man die Grenzen am besten auf, wenn man ihnen klarmacht: die deutsche Flagge gehört nicht euch.
Ein unnötiger Krampf
Die mahnenden Politiker wollen den Fans etwas einreden, von dem die nicht mal ahnen: giftiger Nationalismus. So entsteht ein unnötiger Krampf. Und der nimmt bisweilen groteske Züge an. Zur WM 2010 hisste Ibrahim Bassal, ein Deutscher mit libanesischen Wurzeln, vor seinem Geschäft in der Neuköllner Sonnenallee eine gigantische Deutschland-Flagge. Am Abend jubelten dort rund 100 Menschen, fast allesamt mit Migrationshintergrund, für die Nationalelf. Am Morgen war die Fahne zerstört – von linken Autonomen. Wochenlang tobte ein Streit und der Ladenbesitzer sagte irgendwann, fast resignierend: „Ist das nicht eine verkehrte Welt? Deutsche Autonome zerstören Türken und Arabern die schwarz-rot-goldenen WM-Fahnen.“
Sogar Studien sollen beweisen, dass der Party-Patriotismus alles andere als harmlos sei. Eine Berliner Sozialpsychologin befragte Fans worum es ihnen beim Public Viewing überhaupt geht. Nicht nur um Party, manchmal auch um die Gemeinschaft, so die Antwort. Aufschrei! Hysterie! Gemeinschaft! Und das soll jetzt automatisch böse sein? Wenn es um die deutsche Geschichte geht, ist Alarm grundsätzlich besser als Naivität und Sorglosigkeit. Doch Differenzierung muss möglich sein. Ein positives Gemeinschaft-Gefühl existiert doch auch in einer Schulklasse oder Theatergruppe. Die Antifa verurteilt zu viel Wir. Dabei präsentiert sie sich selbst als ein großes Wir.
Wenn man während eines Spiels „Scheiß Portugiesen“ ruft, ist das vielleicht niveaulos aber zu 99 Prozent nicht rechts gesinnt. Und das eine Prozent? Nazis nutzen das Public Viewing als Plattform, heißt es. Nein, sie gehen in der Masse gnadenlos unter.