Brigitte Witzer coacht im Top-Management und hat die Erfahrung gemacht: Frauen lieben Inhalte, vernachlässigen dabei aber die Strategie für den Aufstieg.
Mit Fleiß vor bis zur Glasdecke
Wirtschaft wurde von Männern für Männer gemacht. Kein Wunder also, dass Frauen entweder keine Lust auf Top-Jobs haben oder die Männer die Schotten dicht machen. Aber was steckt dahinter?
„Ich kann viel arbeiten, ja, aber ich will unbedingt weiter inhaltlich arbeiten!“ so die Geschäftsführerin einer großen deutschen Agentur im Coaching auf meine Frage, warum sie den Vorstandsjob nicht machen wolle, der ihr gerade angeboten worden war. Wie ist eine solche Aussage zu verstehen? Nach meiner Erfahrung haben Frauen vielfach ihre Karriere mit Freude und Spaß, vor allem aber mit Fleiß vorangetrieben und sind so oft früh in verantwortliche Positionen im mittleren Management gekommen. Doch dann: Ende der Fahnenstange. Wie könnte es denn überhaupt weitergehen? Früher wurde diese Situation „die gläserne Decke“ genannt. Frauen konnten nach oben schauen und die Top-Jobs sehen, aber der Zugang schien nicht möglich. Mittlerweile haben verschiedene Autorinnen dieses alte Bild über Bord geworfen. So die amerikanische Professorin Alice Eagley, die über Frauenkarrieren geforscht und dazu ein Buch geschrieben hat, in dem sie einen „Weg durchs Labyrinth“ beschreibt, oder Sheryl Sandberg, die in „Lean In“ eindrucksvoll erklärt, dass Karriere eben keine Leiter ist, sondern ein Dschungelcamp.
Und sofort wird klar: Fleiß ist einfach kein Erfolgsfaktor, um durch die gläserne Decke zu stoßen.
Strategie schlägt Inhalte
Aber es ist ja nicht nur Fleiß allein. Nach meiner Erfahrung wollen Frauen immer wieder auch für Inhalte einstehen; Frauen lieben es, an konkreten Themen zu arbeiten, das Notwendige voranzutreiben und sich mit den Realitäten auseinanderzusetzen – unternehmerischer Alltag eben.
Dieses Einstehen für konkrete Herausforderungen halte auch ich für dringend nötig und es fehlt aus meiner Sicht in dieser Wirtschaft: wohin ich auch schaue, erlebe ich Poker um Macht, um Einfluss, Status-Rangeleien und einen endlos regen Wettbewerb um Geld, Ansehen und Anerkennung – und zwar vor allem von Männern, aber auch von Frauen, die sich den Männern angepasst haben.
Diese Manager und Managerinnen sind fast alle ausgebuffte Strategen, das heißt sie wissen definitiv, wie sie ihr Ziel erreichen. Der Weg dorthin gerät aus dem Blick, und damit alle möglichen fantasievollen Entwicklungsprozesse, die sich auf dem Weg erst öffnen. Der gute alte Meilenstein? Ad acta gelegt. Verbindliches Thema? Überbewertet. Strategie schlägt den Inhalt.
Wer arbeitet also für was?
Antwort 1: Machtbewusste Männer arbeiten strategisch und delegieren die konkreten Aufgaben an inhaltsgetriebene Frauen, ohne besonders auf deren spezifischen Potenziale zu achten.
Fazit 1: Männer gestalten die Show, fleißige Bühnenarbeiterinnen sind die Frauen.
Antwort 2: Fleißige Frauen treiben Inhalte voran und bedienen damit ihre eigenen hohen Ansprüche, ohne auch nur einen Gedanken an Strategie zu verschwenden.
Fazit 2: Frauen haben Strategie nicht auf der Rechnung und steigen schnell, ja, entnervt aus dem Dschungelcamp aus.
Ohne Inhalte geht es nicht – und nicht ohne Strategie
Während Frauen sich in den Unternehmen (und nicht nur dort) als Firefighter profilieren, gern hart am Thema arbeiten und so mit den unternehmerischen Inhalten identifiziert sind, fehlt ihnen die strategische Ausrichtung auf eine persönliche Vision im Sinne ihrer eigenen Potenziale ebenso wie die Ausrichtung auf eine unternehmerische Vision. Beides aber wäre nötig, um unsere Wirtschaft grundlegend zu erneuern und sie aus der Sackgasse einer reinen „Geldmaschine“ zurückzuholen. Meine Hoffnung: Unternehmen nicht nur als ein Ziel für Hedgefonds-Manager und damit für Kapitalspielchen, sondern als Ort, an dem wir große Teile unseres Lebens sinnvoll verbringen, vitale Energie freisetzen können für die Neugestaltung von Arbeit und Beschäftigung, für eigene Innovation und mit einen klaren Blick für unternehmerisches Risiko.
Prof. Dr. Brigitte Witzer, Beraterin und Coach fürs Top-Management, bietet auf dem re:work-Forum in Hamburg einen Workshop zum Thema „Top-Positionen allein machen nicht glücklich“ an. Über die Konferenz hat Susann Hoffmann schon an dieser Stelle mit Emotion-Chefin Anke Rippert gesprochen.