Susan Cain verfasste einen Bestseller über die Kraft der Introvertierten. Jetzt geht es ihr um mehr Stille und Sanftheit in Schulen und im Arbeitsumfeld.
Susan Cain: Ein Ted-Talk für die Ewigkeit
Ein Jahr übte die Anwältin Susan Cain, in der Öffentlichkeit zu sprechen, bevor sie 2012 in einem TED-Talk ein Plädoyer für Introvertierte hielt, das über acht Millionen Mal angesehen wurde. Ihre Rede begann sie mit einer Anekdote aus ihrer Kindheit. Überall nahm sie einen Koffer mit Büchern mit, weil es auch in Gesellschaft einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen war, zu lesen: „Das mag sich unsozial anhören“, räumte sie ein, um dann einen ebenso amüsanten wie fundierten Überblick über die Widrigkeiten zu geben, mit denen Introvertierte in einer Gesellschaft konfrontiert werden, in der jeder so laut wie möglich „Hier!“ schreit, und über die Potentiale, die darüber verloren gehen. „Quiet – The Power of Introverts in a World That Can’t Stop Talking“ („Still – Die Kraft der Introvertierten“) wurde ein Bestseller und in 35 Sprachen übersetzt. Bill Gates erklärte ihre Rede zu einer seiner Lieblings-TED-Talks.
Susan Cain: The power of introverts at TED
Cains Biografie wirkt nicht so, als müsse sie eine Lanze für Schüchterne brechen. Sie hat in Princeton und Harvard studiert und sieben Jahre lang als Wirtschaftsanwältin an der Wall Street gearbeitet. Später beriet sie Manager und Berufsanfänger und zeigte ihnen, wie sie sich in Verhandlungen am besten durchsetzen. Allerdings auf ihre Art und Weise: Durch Zuhören, durch Einfühlung und mit Hilfe von Kooperation. Ihr geht es darum, die beste Lösung für alle zu finden. Kooperationsbereitschaft statt Konkurrenzdenken sei eine der wesentlichen Eigenschaften von Introvertierten, sagt Cain. Eine Weitere sei, gerne allein zu sein, ja, die Einsamkeit sogar zu brauchen: „Solitude matters, and for some people it is the air that they breathe“.
„Introvertierte sind die besseren Führungskräfte“
Aber die 46-jährige will keine Sonderbehandlung für die Zarten und In-sich-Gekehrten, nur die gleichen Rechte. „Unsere westliche Gesellschaft hat den Mann der Tat immer mehr geschätzt, als den, der nachdenkt“, sagt sie. „Aber einige der wichtigsten und erfolgreichsten Führungskräfte waren introvertierte Menschen: Theodore Roosevelt, Mahatma Gandhi, alle die Informatiker, die unsere Kommunikation revolutioniert haben.“ Adam Grant, Professor an der Wharton School, dem Wirtschaftsdepartment der University of Pennsylvania, habe herausgefunden, dass Introvertierte oft die besseren Führungskräfte seien: Sie lassen Angestellten die Freiheit, eigene Ideen zu entwickeln. „Außerdem sind Introvertierte als Führungskräfte oft glaubwürdiger, weil deutlich wird, dass sie aus Überzeugung handeln und nicht, weil sie im Mittelpunkt stehen wollen“, betont Cain.
In ihrer neuen TED-Rede im April verkündete sie jetzt die „Quiet Revolution“. Darin fordert sie, vor allem Bildungs- und Arbeitsumfelder so zu gestalten, dass Introvertierte ihre Kraft entfalten können. „Schulen und Arbeitsplätze sind für Leute konzipiert, die viele Stimuli brauchen und gerne permanent unter Menschen sind“, so Cain. In Großraumbüros zum Beispiel könnten Introvertierte einfach nicht kreativ sein. Also hat sie sich mit Steelcase zusammengetan, einem Unternehmen für Büroarchitektur, um Konzepte zu entwickeln, wie introvertierte Menschen an ihrem Arbeitsplatz das nötige Ausmaß an Einsamkeit und Privatsphäre bekommen. Zusammen mit Mike Erwin, Professor an der Militärakademie West Point, arbeitet sie an einem Führungskräfteprogramm für Introvertierte. Ihr Herzensprojekt steht allerdings noch ganz am Anfang: Eine Kampagne, um leise Kinder zu fördern und ihnen den Raum zu geben, den sie für ihre Entwicklung brauchen.
Susan Cain ist das beste Beispiel dafür, dass man introvertierte Persönlichkeiten nicht unterschätzen sollte. Sie selber hat einen Satz von Mahatma Gandhi zu ihrem Lebensmotto erklärt: „In a gentle way, you can shake the world.“