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Unglaublich

in den Weiten des WWW kursiert ein Memel: „bei Vergewaltigung geht es um Gewalt, nicht um Sex. wenn dich jemand mit einem spaten schlägt, nennst du das auch nicht gärtnern.“

 

In den Weiten des WWW kursiert ein Memel: „bei Vergewaltigung geht es um Gewalt, nicht um Sex. wenn dich jemand mit einem spaten schlägt, nennst du das auch nicht gärtnern.“ (oder auf Englisch: rape is about violence, not sex. If a person hits you with a spade you wouldn’t call it gardening.) sexuelle Gewalt ist auch noch heute Auslegungssache. und meistens nicht zugunsten von denjenigen, die sie erleben müssen. eigentlich findet sie auch gar nicht statt: „sei doch nicht so empfindlich, das ist doch nicht gleich eine Vergewaltigung“, kann die ein oder andere Person schon mal gehört haben. die Gewalt findet aber nicht immer in deren klischee-vergewaltigungsform statt, die man sich mit schrillem kreischen, fließendem Blut, dumpfen Schlägen und intensiven kämpfen ausmalt. Vergewaltigung und sexuelle Gewalt findet bekanntermaßen eher selten in nebeligen Gassen statt, sondern meist dort, wo sie am gründlichsten im Verborgenen gehalten werden kann: in unserem Alltag. Vergewaltigung kann auch nur so weit verbreitet sein – als Kriegs mittel, (innerfamiliärer) Herrschaftssicherung und macht Aneignung –, weil sich eine ganze Kultur an sexueller Gewalt um die Menschen zieht. eine Kultur der Gewalt sich selbst und anderen gegenüber. so reproduzieren wir munter Gewalt mit den kleinen und großen Dingen des täglichen Handelns. besonders heikel wird es beim Thema sex.

fragwürdige ideale der Sexualität

Meine Freundin Claire teilt mir bei unserem letzten Cappuccino entgeistert mit: ihre Freundin hat eine Freundin und die beschrieb ihr folgendes: „oft mache ich Sachen im Bett, die ich eigentlich gar nicht angenehm finde, bei denen ich mir echt blöd vorkomme, oder auch welche, die schmerzen. ich sage das dann auch gar nicht, das ist dann eben so und gehört irgendwie dazu…“ Claire findet das richtig komisch und mir erscheint ob dieser Erzählung ein ekelhaft-trauriger Slogan vorm inneren Auge: „hältst du noch hin oder fickst du schon?“ Claire beteuert, wenn es um sex geht, lässt sie nichts über sich ergehen. das sei doch nicht normal, schmerzen auszuhalten! ich beglückwünsche sie zu dieser von mir für gesund befundenen Ansicht, die gar nicht allzu viele Menschen vertreten können, glaube ich. der Druck ist überall, einem sexualitätsideal zu entsprechen, das diktiert, stets über sich und die eigenen Grenzen hinausgehen zu müssen. da sind Claire und ich uns einig.

Wir sollen uns inszenieren und auf Biegen und brechen dem entsprechen, was Poren-, film-, sex- und Musik Industrie Hand in Hand verkaufen: eine grenzenlose, hyper-aktive, zu allen extremen bereitwillige Sexualität, die keiner Zärtlichkeit bedarf und vor allem eines nicht braucht: Content (oft mit Einwilligung übersetzt, allerdings betont der deutsche begriff weniger die Wechselseitigkeit, auf die „Content“ zielt). dabei werden althergebrachte Tabus in einer relativ neuen Form institutionalisiert. wenn es um sex geht, müssen jegliche Praktiken mit festen begriffen versehen werden, es muss vorzeigbare Beispiele geben, wie was stattzufinden hat, wie man wen anspricht, wie die entsprechende Person auf diese ansprachen zu reagieren hat. da gibt es eben keinen Content, er wird tabuisiert, es geht nicht um individuelle sexuelle Strebungen, Regungen, Grenz Setzungen, aus Handlungen, auch mal Diskussionen, kämpfe, Erkundungen, nicht-mehr-wollen, aufhören, nachspüren. es geht um eine bestimmte Norm, die mehr oder weniger in der gleichen Art und Weise immer und immer wieder aufgezeigt wird und praktiziert werden soll. und zwar nicht erst von Menschen mit Eintritt in ein sogenanntes sexualfähiges Alter.

Gegenentwürfe? Fehlanzeige

Problematischer Weise fehlen an dieser Stelle Gegenentwürfe von Sexualität, die dieser Norm entgegengestellt werden können, weil sie sehr einschüchtert. wer möchte denn nicht begehrenswert sein, weil „gut im Bett“? was bedeutet das aber? faust-circlusion (eigene Begriffe für sexuelle Praktiken erfinden!), dominanz- und Erziehungsübungen sowie spiele mit Körper Flüssigkeiten sind nicht nur nicht jedermenschs Geschmack, sondern machen nur Spaß, wenn alle Spaß daran haben. da ist ein Draht zu sich selbst und den eigenen genussvorlieben sehr wichtig. und eine Offenheit den Schranken der anderen Personen gegenüber, die diese Vorlieben begrenzen. nur ist es gar nicht so einfach, diesen Draht bei den ganzen verschleierten Tabus und dem mit der Muttermilch eingesogenen sexuellen Druck aufzubauen.

Wenn meine Katze mit dem Schwanz wedelt, höre ich auf, sie zu streicheln, wedelt aber mein Kerl mit dem Schwanz, muss ich springen. muss ich? „ich muss mich immer auf seine Morgenlatte stürzen nach dem aufwachen und kann sie nicht einfach stehen lassen, aber er will dann eigentlich gar nicht“, beschwerte sich eine andere Freundin mal. irritiert suchte ich die Zweisamkeit in dem beschriebenen Akt und erinnerte mich erneut daran, wie schwierig es ist, nein zu sagen, wenn es doch immer ja heißen muss. denn eigentlich wollen wir vielleicht generell sex und auch mit der Person, die neben uns schläft. nur halt nicht so, sondern vielleicht anders. aber kann sie das akzeptieren? kann ich das vor mir selbst rechtfertigen? gibt es Platz für Gemeinsamkeiten und Differenzen in unserem sexuellen raum? können wir uns und unsere Grenzen wahrnehmen und respektieren, ohne als schlapp Schwanz oder langweiliges Mauer Blümchen zu gelten? während anderswo die Samenflüsse fließen, die Münder weit offen stehen und alle Augen stets lasziv dreinblicken und nichts als das übriglassen, weiß ich selbst nicht genau, wie mir eigentlich ist. dieses anderswo ist leider zu nah dran, es piekst in den Stirnfalten, wenn es darum geht: „wieso willst du denn schon wieder nicht? ich versuche doch alles…“ alles?

Gewalt kann still und leise sein

Wer entscheidet was wann und mit welcher Berechtigung? sicher fühle ich mich in meinen Wünschen gerechtfertigt, wenn sie von einer ganzen Industrie gedeckt werden, mit der ich mich identifiziert habe, ehe mir Schamhaare gewachsen sind. dabei blende ich jedoch einen grundlegenden, nun in mir lebenden Herrschaftsmechanismus aus: Gewalt. und nein, Gewalt ist nicht unbedingt ein Riesen Drama. sie findet auch als verschlucktes, unaussprechbares, undefinierbares und erst recht nicht so recht aussprechbares, „nichtexistierendes“ im selbst Bild statt, welches keinen Zugang zu den eigenen Bedürfnissen bekommen darf. in der februar-ausgabe der Frauenzeitschrift joy sind die ersten vier Punkte von den „zehn Dingen, die Frauen während eines Blowjobs denken“:

1. aua, mir tun die Knie weh.

2. aua, mir tut die Hand weh.

3. aua, mir tut der Kiefer weh.

und

4. nicht so tiiiiiief.

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