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Mit Freude ins Wochenende

Wenn die Geschichte stimmt, dann haben die Sterne schon falscher gelegen. Am 4. März 1394 erblickte in Porto ein gewisser Heinrich die Welt, Sohn des portugiesischen Königs Johann I. und seiner Angetrauten.

 

Wenn die Geschichte stimmt, dann haben die Sterne schon falscher gelegen. Am 4. März 1394 erblickte in Porto ein gewisser Heinrich die Welt, Sohn des portugiesischen Königs Johann I. und seiner Angetrauten. Flugs stellte der Hofastrologe dem Kleinen ein Horoskop zusammen, in dem es hieß, der Blaublüter werde dereinst große und edle Eroberungen tätigen und Unbekanntes entdecken. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts war es dem Prinzen dann tatsächlich gegeben, weite Abschnitte der afrikanischen Küstenlinie zu entdecken und zu kartographieren, er trug fortan den stolzen Namen Heinrich der Seefahrer.

Nicht einmal zwei Zehntelsekunden dauert es, bis Googles Suchmaschine auf die Eingabe des Worts “Horoskop” mehr als zehneinhalb Millionen Treffer ausspuckt. Bing, das Google-Äquivalent von Microsoft, schafft fast elf Millionen Hits. Hofastronomen hätten ein schweres Auskommen bei der Auswahl, die Internetsurfern zur Verfügung steht, doch damit nicht genug: Jede noch so unbedeutende Postille erachtet es heute als nötig, den vermeintlichen Einfluss von Stern- und Planetenkonstellationen aufs monatliche, wöchentliche oder gar tägliche Leben ihrer Nutzer herunter zu brechen. Vom großen, mehrere Seiten füllenden Jahreshoroskop ganz zu schweigen. Dabei bedeutet das aus dem Griechischen stammende Wort so viel wie “stündliche Beobachtung”. Vermutlich gibt es ihn ja irgendwo tatsächlich, den astrologischen Service, der einem sagt, was in den kommenden 60 Minuten so passieren wird. 

Launisch ins Wochenende

Falls ja: Ich habe nicht danach gesucht, sicher hätte das Horoskop von einer derartigen Zeitverschwendung abgeraten, stattdessen habe ich mir ein paar auf mich zugeschnittene Horoskope für Freitag, den 26. April 2019, durchgelesen. Wollen mal sehen, wie kongruent die sind. Die B.Z., Westberlins Boulevardblatt alter – naja – Schule, sagt mir einen launischen Morgen voraus, Lustlosigkeit und launische Mitmenschen, deren Gefühle ich “einbeziehen” soll. Aber wohin “einbeziehen”? Das wissen die B.Z.-Sterndeuter auch nicht, mal sehen, was Bild meint. Dort muss man für ein topaktuelles Tageshoroskop seinen Namen und das Geburtsdatum eingeben, na schön, und wer wie ich das Glück hat, am 3. Mai 1975 geboren zu sein, dem verspricht der Himmel eine Überraschung für den Abend. Möglicherweise steht das Wochenende spontan vor der Tür? Den Abend selbst möge ich in Gesellschaft verbringen, heißt es da, und meine Gefühle soll ich “aussprechen”, Moment jetzt, einbeziehen oder aussprechen? 

Etwas ratloser Blick in den Kurier – angeblich bin ich heute “unwiderstehlich” charmant (kann ich jetzt vormittags nicht behaupten), meine Stimmung ist angeblich optimistisch, das liegt vermutlich an der Überraschung mit dem Wochenende, und da passt die Aufforderung des Horoskops, ich möge mir etwas Ruhe gönnen. Bingo, genau das hatte ich vor. Wochenende halt. 

Von der Horoskoplawine verschüttet

Könnte man den ganzen Tag so weitermachen, würde man sicher das gesamte Orakelspektrum für sich abgedeckt bekommen. Es ist interessant, sich diese Vielfalt einmal anzusehen ? für das eine Revolverblatt gehört das Horoskop in die Abteilung ?Service?, das nächste führt es unter ?Lifestyle?, und beim dritten braucht man die Suchfunktion der Homepage, um es zu finden. Neulich bin ich mit der Fernbedienung unseres Fernsehers durcheinandergekommen, ich bin dort gelandet, wo man sonst nie hinkommt, zu den Kanälen jenseits Speicherplatz 20 – statt Nulldrei habe ich versehentlich Dreinull gedrückt und statt beim RBB lande ich bei Astro-TV. Das ist eine komplette Welt für sich. 

Jetzt, um halb elf am Vormittag, sitzt da eine Frau mit Dreifachkinn, sie heißt oder nennt sich Hilli Hotan, dann kommt nach 16 Minuten endlich ein Anruf, und zwar von Renate, die ist 71 und Witwe. Hilli sagt, nächsten Sommer “gibt’s da automäßig was Neues, was Silbernes”, und Renate wird etwa 100 Jahre alt werden. Ich habe genug gesehen, ich gehe meine Gefühle einbeziehen oder aussprechen, und danach werde ich versuchen, der Horoskoplawine, die uns überall verschütten kann in diesen Zeiten, zu entkommen. 

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