Oft stehen wir uns mit unserem Hang zum Perfektionismus selbst im Wege – dieser Artikel zeigt, wie dies zu lustigen Ergebnissen auf dem Haupt und dann doch zu unverhofft souveränen Erkenntnissen führen kann.
Bis Sonntagabend war ich noch fest entschlossen, die Woche ausgeschlafen, entspannt und chic mit meiner neuen Frisur zu beginnen: Nach über 5 Monaten hatte ich es am Freitagnachmittag davor endlich mal wieder zum Friseur geschafft.
Montag früh stellte sich die Situation allerdings etwas anders dar: wir hatten alle kaum geschlafen – das Kind hatte die Nacht bei uns verbracht und uns abwechselnd Kopf und Füße in den Rücken gerammt. Dann haben wir noch verschlafen und standen entsprechend unter Zeitdruck. Zudem beschloss Junior, dass er an dem Tag nicht in die Kita gehen will. Mein Mann musste los und ich
schaffte es schließlich, mit Engelszungen und unter Zuhilfenahme der 3 Säulen der Kindererziehung (Bestechung, Erpressung und (freundliche) Drohung :-) das Kind anzuziehen und zum Frühstückstisch zu bugsieren.
Nun stand ich schon völlig gestresst im Badezimmer, klatschnass von der Dusche und wusste: Nun muss alles glattlaufen, damit ich es noch gerade so rechtzeitig zu meinem ersten Termin zur Arbeit schaffen könnte. 15 Minuten für Abtrocknen, Anziehen, Haare machen und Schminken und das Kind in der Kita abgeben…. Im Eiltempo war ich abgetrocknet und angezogen (das Kind brüllte
parallel vom Frühstückstisch, ich solle doch endlich zu ihm kommen) und griff nach der neuen weißen Dose Schaumfestiger, die ich mir zu meiner neuen Frisur dazu geleistet hatte… schnell noch föhnen und Make-Up ins Gesicht. Beim Föhnen fiel mir auf, dass die Haare ordentlich verklebt aussahen – ein bisschen legte sich das noch, aber sehr zufrieden war ich nicht. Sie zum Zopf zusammennehmen, sah auch blöd aus… während mein Blutdruck weiter stieg, räumte ich die
Utensilien wieder in den Schrank und erschrak, als ich sah, dass es sich bei der vermeintlichen Schaumfestiger- Dose um meinen Duschschaum handelte. Die Dosen sahen auf der Rückseite beinahe identisch aus.
Das erklärte natürlich auch, warum meine Haare so gut rochen… Verdammt – kurzer Blick auf die Uhr: noch 7 min – und es blieb wirklich keine Zeit mehr, die Haare nochmal zu waschen und zu föhnen. Okay, tief durchgeatmet, die Haare einmal ordentlich durchgewuschelt und einen
Pseudo- „out-of-bed“- Look mit Haarspray fixiert. Schnell Lippenstift aufgetragen, letzter Blick in den Spiegel, Kind schnappen und ab zur Kita…
In der Kita sagte mein Sohn plötzlich: „Mama, ich habe es mir überlegt und will jetzt doch wieder nach Hause.“ – „Spatzi, das geht heute leider nicht – Mama muss nun auch ganz schnell zur Arbeit.“ Und prompt hatte ich einen traurigen kleinen Jungen im Arm. Gott sei Dank kam dann sein Kumpel um die Ecke und der Kleine wurde direkt wieder fröhlich. Ein letztes Küsschen und das Kind winkte mir noch fröhlich zum Abschied – Puh, wenigstens hatte ich dann nicht mehr das
Gefühl, die Rabenmutter des Jahres zu sein.
Schnell zurück zum Auto und dann bin ich wie eine Bekloppte durch die Stadt gerast (inkl. Sonntagsfahrer anhupen, schimpfen und übertrieben gestikulieren), um dann um Punkt 8.59 Uhr im Meetingraum anzukommen. Nach meinem Dafürhalten hätte mein Einmarsch von Fanfaren begleitet werden müssen – stattdessen wurde ich direkt begrüßt mit „Ach Nadine, hast Du an die Auswertung gedacht, über die wir letzte Woche gesprochen haben?“ .
Mein inneres Ich hat gebrüllt: „Nein, verdammt nochmal, aber die Präsentation ist vorbereitet und
ich wollte nicht schon wieder eine Wochenendschicht einlegen, um die beschissene Auswertung zu ergänzen, über die wir Freitagnachmittag gesprochen haben und die sowieso keine Aussagekraft hat. Außerdem bin ich gerade froh, es rechtzeitig zum Meeting geschafft zu haben, ohne mein Kind zu verstören oder einen Unfall zu bauen. Könnt Ihr das nicht mal zu schätzen wissen?“
Geantwortet habe ich das natürlich nicht, sondern nur gesagt: „Nein, die habe ich leider noch nicht geschafft – ich reiche sie dann nach.“ – Kurzes unzufriedenes Grunzen von dem Kollegen, aber kein weiterer Kommentar.
Ich habe dann still in mich hineingelächelt. Nein, der Kollege, dessen Frau sich zu Hause quasi im Alleingang um die Kinder und den Haushalt kümmert, wird das nicht verstehen. Die Besprechung der Präsentation war sicher auch nicht der richtige Rahmen, um ihm das nahe zu bringen. In der
klassischen Unternehmenswelt hat das Thema Vereinbarkeit häufig noch keinen
angemessenen Stellenwert.
Aber wir machen uns daran, dies zu ändern und uns dort das notwendige Gehör zu verschaffen. Spätestens, wenn die Unternehmenslenker keine qualifizierten Fachkräfte mehr bekommen, werden sie zuhören und anfangen, ihren Eltern Anerkennung und Unterstützung zukommen zu
lassen und für alle eine bessere Situation zu schaffen.
PS: Ich habe an dem Tag trotzdem einige Komplimente zu meiner neuen Frisur und zu meinem „unkonventionellen Look“ bekommen – so kenne man mich gar nicht, es stehe mir aber gut.
Es muss halt nicht alles immer perfekt sein.
Die Autorin ist Co-Gründerin von 2PAARSchultern, auf deren Website dieser Blogartikel erstmalig veröffentlicht wurde.