Queer- und Gender-Studies sind aufgebrochen um Normen zu hinterfragen und (Geschlechter-) Grenzen aufzubrechen. Leider sorgen sie durch ihre komplexe Sprache oft für neue Barrieren. Ein kritischer Kommentar.
Kürzlich kaufte ich mir nach Längerem wieder einmal eine Zeitschrift, die sich als „Magazin für Pop, Politik und Feminismus“ bezeichnet. Eigentlich Themen, die mir selbst am Herzen liegen.
Top 5 Bio-Hacks
Ich schlug willkürlich eine Seite auf und stieß auf den Artikel: „Top 5 Bio-Hacks“. Und nein – der Kalauer sei erlaubt – hier geht es nicht um Kleingehacktes, sondern vielmehr… ja, um was eigentlich?
„Tamara Pertamina ist eine multidisziplinäre Künstlerin und ehemalige Sexarbeiterin aus Yogyakarta, die sich mit Geschlechtsidentität im präkolonialen Indonesien beschäftigt. Ihr Studio befindet sich im HONFabLab, dem ersten Makerspace seiner Art in Indonesien. Hier werden Kunst, Wissenschaft und Technologie in einen Dialog gebracht, um Fragen der sozialen Gerechtigkeit zu reflektieren.“
Aha. Ich verstehe nicht alles, aber Fragen der sozialen Gerechtigkeit interessieren mich durchaus. Außerdem will ich wissen, was es mit den „Bio-Hacks“ auf sich hat. Also lese ich weiter. Ein paar Zeilen später erfahre ich, was Ms. Pertaminas Arbeiten auszeichnet:
„Ihre jüngste Performance „The CRISPR Sperm Bank: Experience Trans-Species Possibilities“ (die Abkürzung steht für „Clustered Regularly Interspaced Short Palimdromic Repeats) wirft Fragen nach den politischen und ökonomischen Dimensionen wissenschaftlicher Spekulationen über mögliche transgene Zukünfte auf. Kann Queer Theory in diesem Kontext kreative Wege des Nachdenkens über Transbiologie aufzeigen? „Wenn mein ganzer Körper aus Plastik hergestellt werden kann, was ist dann organisch? Nur mein Herz“, so Tamara Pertamina im Interview mit hyperallergetic.com.“
Sorry… ich bin des Deutschen wie des Englischen mächtig, aber hier verstehe ich schlicht kaum ein Wort. Was, um Himmels Willen sind „transgene Zukünfte“? (Bis jetzt wusste ich nicht einmal, dass sich „Zukunft“ im Plural deklinieren lässt). Was sind „Clustered Regularly Interspaced Short Palimdromic Repeats“? Und, ok, es geht offensichtlich um die Verfremdung und Erweiterung des Körpers mithilfe von Genmanipulation oder plastischer Chirurgie (das „Plastik“ im Körper?). Was das alles mit „sozialer Gerechtigkeit“ zu tun hat, erschließt sich mir beim Lesen des Artikels schlicht nicht.
Sich über Fremdes lustig machen
Andere Welten. Jawohl, es ist immer leicht, sich über Fremdes lustig zu machen. Oft genug schlicht, weil man es nicht begreift. Das Magazin spiegelt offensichtlich einen akademischen Gender-Feminismus, zu dem ich, die ich nicht dessen ganz speziellen Sprach-Code beherrsche, schlicht keinen Zugang habe. Sorry, aber das ist Bullshit: Sprache, die trennt, die Barrieren schafft. Da helfen auch keine Gender*Sternchen…
Einige Seiten davor lese ich in einem Artikel zum Thema „Kinder kriegen oder kinderlos bleiben“:
„Heti [die Autorin des Buches, das in dem Beitrag besprochen wird] argumentiert stets als die Künstlerin, die ihre Freiheit und Einsamkeit schätzt und nicht nur, wie Eltern es tun, ein paar Leben, sondern potenziell Generationen überdauernde, Tausende Existenzen berührende Werke hervorbringt.“
Aha. Hier scheut das Magazin die klaren Worte nicht. Eltern, die „nur ein paar Leben“ produzieren vs. Künstlerinnen (und hier sind nur die kinderlosen gemeint), die Generationen überdauernde Werke schaffen. Die ewige Spaltung in die niedere Biologie und die höheren geistigen Sphären. Nur stehen sich hier zur Abwechslung einmal nicht das niedere, dem Gefühl und sinnlichem Empfinden unterworfene Weib und der rationale Mann gegenüber, sondern Eltern vs. kinderlose Kreative.
Spaltung statt Solidarität
Vielleicht kein Zufall, dass viele der Autor*innen gerade letzterer Kategorie angehören? Der Artikel mit dem sprechenden Titel „Abgrund Mutterschaft“ (so wird er auf dem Cover des Magazins beworben), zeigt, ebenso wie der Text zu den „Bio-Hacks“, jedenfalls, welcher Graben zwischen Menschen verläuft, die sich im Namen von Gender Forschung und Queer Theory mit „transgenen Zukünften“ befassen und Menschen, die einfach nur ihren Kindern die Nase abwischen, ihnen Roller fahren beibringen und sie in ein Leben als zufriedene, sozial kompetente Erwachsene begleiten wollen.
Betrachte ich mich selbst als Mutter sowie – meinem Selbstverständnis nach – als durchaus intellektuelle, akademisch gebildete Frau, so merke ich: Ich bin mit dieser Form des „Feminismus“ nicht gemeint. Jedenfalls mit meinen Bedürfnissen, wegen Teilzeitarbeit nicht an gläserne Decken zu stoßen oder trotz reduzierter Arbeitszeit eine vernünftige Altersversorgung zu bekommen. Wer sich gedanklich mit „Clustered Regularly Interspaced Short Palimdromic Repeats“ beschäftigt, kämpft eher nicht für mehr Kindergartenplätze und das Recht von Frauen (und Männern), zu entscheiden, wann arbeite ich z.B. weniger, um für meine alten Eltern oder meine Kinder da zu sein? Videoinstallationen und Performances mögen kontroverse Themen aufgreifen. De facto helfen sie Frauen, Homosexuellen, Trans* und Co aber wohl nur peripher dagegen, wegen ihrer sexuellen Orientierung, ihres Geschlechts oder der Kleidung, die sie tragen, diskriminiert, belästigt und bedroht zu werden.
Queer- und Gender-Studies sind aufgebrochen um Normen zu hinterfragen und (Geschlechter-) Grenzen aufzubrechen. Leider, so kommt es mir jedenfalls nach dem Blättern in diesem Magazin vor, haben sie neue Barrieren errichtet: Eine Sprache, die allein durch ihre Komplexität, durch hunderte, nur einem geschulten Publikum erschließbare, Querverweise und Bezüge ausschließend wirkt. Und eine Haltung, die im Namen von Minderheiten die Probleme ganzer Bevölkerungsschichten ignoriert, bzw. herunterspielt. Nein zu „Blackfacing“ und „Heteronormativität“, aber „Alltagssorgen“ wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind „nicht ihr Thema“.
Der Artikel zur (Anti-) Mutterschaft fasst das klar zusammen:
„Hetis Beobachtungen, warum es für Frauen heute immer noch fast unmöglich ist, beides zu haben [Kind und berufliche Erfüllung], sind so scharfsinnig wie wütend, lassen die Leser*innen aber doch ein wenig desillusioniert, fast unbefriedigt zurück, da der Status quo klug beschrieben, aber nicht an ihm gerüttelt wird.“
Tja, allein dafür lohnte sich für mich die Lektüre der Zeitschrift. Ich persönlich, als Frau und Mutter, fühle mich von einem Feminismus nicht repräsentiert, der über die „Unterdrückung von gebärfähigen Menschen“ (Bonmot aus einem weiteren Artikel) schwadroniert, aber sich letztlich nicht für Eltern interessiert, die „nur“ die eigenen Kinder produzieren und ins Leben begleiten.
Nein danke, diesen Prophet*innen glaube ich nicht!
Und ihr? Steht ihr dieser Form des Feminismus ebenfalls skeptisch gegenüber oder könnt ihr ihm durchaus etwas abgewinnen? Oder ist euch die Empörung über „toxische Männlichkeit“ sowie der Kampf für „Safer Spaces“ und eine „körperpositive Haltung“ schlicht egal? Ich freue mich über eure Kommentare.
Der Artikel erschien zuerst auf meinem Blog. Ich freue mich, ihn auch hier mit euch teilen zu können!