Foto: Alamy (Agenturbild

Ich werd dann mal alt

Warum ich den Satz “Du hast dich gar nicht verändert” nicht hören will

 

Es kam ein Freund zu Besuch, den ich 15 Jahre nicht gesehen hatte. Er begrüßte mich mit den Worten: „Du hast dich überhaupt nicht verändert.“
Sicherlich war das nett gemeint, es fühlte sich aber seltsam an. Ehrlich? Nach all dem Blut, dem Schweiß und den Tränen? Nachdem ich meine Kinder groß gezogen, sie in die Welt entlassen und Silberhochzeit gefeiert habe? Nach schlaflosen Nächten und beglückenden Sonnenaufgängen, nach Phasen von Depression und Angst und vielen Therapiestunden, nach tiefen spirituellen Einsichten und Bädern im Ganges? Und natürlich nicht zuletzt nach all den Büchern? All das sollte mich nicht verändert haben? O Mann!
Andererseits wäre es gelogen, zu sagen, dass ich nicht mit dem Altern hadere. Ich hasse es, dass mein Hals schrumpelig wird und mein Bauch Falten wirft. Ich bin anfällig geworden für die Versprechen der Verschönerungsindustrie, das wissen die bei Facebook und Instagram inzwischen auch und lassen mir entsprechend viele zukommen. Eine einigermaßen ansehnliche junge Frau zu sein bedeutet Macht und diese Macht schwinden zu fühlen bedeutet Schmerz. Kinder gehen zu lassen und einzusehen, dass ein Kater inzwischen drei Tage dauert, auch. An manchen Tagen bin ich voll Scham, als wäre der Alterungsprozess mein persönliches Versagen und nicht der natürliche Lauf der Dinge. Ich schmiere mir teure Cremes ins Gesicht, die Anti-Aging heißen. Als wäre das einzige wirklich wirkungsvolle Mittel gegen Aging nicht der Tod, von dessen Unvermeidlichkeit uns der Jugendkult abzulenken versucht.
Es ist schwer, sich der alles beherrschenden Vorstellung zu entziehen, dass der Wert einer Frau mit zunehmendem Alter sinkt. Viele von uns haben diese Vorstellung so tief verinnerlicht, dass wir uns selbst zur ärgsten Feindin werden, besessen von der Schmach der Falten und grauen Haare nicht spüren, dass da ein paar Dinge mit uns passieren, die ganz schön spannend sind.
Wäre es nicht toll, eine weise und starke alte Frau zu werden? Die gab es doch mal – und in manchen indigenen Kulturen gibt es sie noch immer. Unsere Kultur dagegen hat sie zu bösen Hexen degradiert.
Ich habe mir zwei Bilder an die Wand gepinnt, die mir zeigen, wo ich hin will: Kraft, die aus Verbundenheit (mit der Welt in ihrer Fülle) erwächst. Heitere Gelassenheit.
Ich glaube, ich bin auf einem ganz guten Weg. Durch Yoga, Meditation und viel Zeit in der Natur spüre ich eine Verbindung, die mir in meiner Jugend verborgen geblieben ist. Ich umarme jetzt tatsächlich gelegentlich Bäume, schrullige alte Frauen dürfen das. Schrullige alte Frauen dürfen überhaupt ziemlich viel.
Im Grunde geht es mir besser als mit 25. Ich habe gelernt (the hard way), dass rigoroses Entweder-Oder-Denken und hohe Ideale unglücklich machen und sich vieles nicht durch Nachdenken lösen lässt. Dass sich vieles überhaupt nicht lösen lässt (und das gar nicht so schlimm ist). Ich habe einen gut funktionierenden Bullshit-Detektor entwickelt. Es gibt vieles, was ich weiß (vor allem, dass es vieles gibt, dass ich nicht wissen muss). Ich lerne loslassen. Das tut oft weh und dann weine ich ein bisschen.
Ich habe eine Ahnung davon, dass dort wo jede Bemühung, noch für jung durchzugehen,
nutzlos ist und die Verkäuferinnen in den coolen Läden dich gnadenlos siezen, dort, wo keine Kinder mehr erzogen, Karriere gemacht, der Mann fürs Leben gesucht werden muss, eine große Freiweit winkt. Vielleicht mache ich einfach nur noch, was ich will.
(Was natürlich nicht heißt, dass ich den neuesten heißen Scheiß auf dem Markt rejuvinisierender Nahrungsergänzung, der auf meinem Bildschirm aufpoppt nicht vielleicht doch anklicken werde).

 Dieser Beitrag ist auf Happster- Der Glücksblog erschienen.

Anzeige