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Den richtigen Zeitpunkt finden

Wann ist die richtige Zeit für Kinder? Jetzt? Nächstes Jahr? In drei Jahren? In zehn? Woher soll man wissen, wann der richtige Zeitpunkt ist, wer sagt es einem?

 

Wir erinnern uns, mit jungen Jahren hatten wir schon mal ein ganz ähnliches Problem, nur ging es damals um Jungs! Mit vierzehn Jahren ungefähr fing ich an meine Mutter verzweifelt zu löchern: „Woher weiß ich, welcher der Richtige ist?“ „Sieht er vielleicht besonders gut aus? Ist es der, der mich am meisten zum Lachen bringt? Oder derjenige, der mich am meisten begehrt? Möglicherweise ist es auch einfach der, den alle anderen am tollsten finden?“
Meine Mutter hat mir damals, wie wahrscheinlich schon ihre Mutter ihr, versprochen, wenn der richtige vor mir steht, werde ich es merken! Und es stimmte. In dem Moment, in dem ich das erste Mal mit ihm alleine war, wusch, da war mir klar, das ist er!

Inzwischen sind wir über 30 und seit diesem magischen Alter geistert ein Thema durch die Gespräche mit allen Frauen, die noch nicht freiwillig oder unfreiwillig Mutter geworden sind: „Woher weiß ich, wann der richtige Zeitpunkt für Kinder gekommen ist?“ Und alle Frauen, die aus dem einen oder anderen Grund schon Mutter sind und manchmal auch nicht so genau wissen, wie es eigentlich dazu gekommen ist, antworten mit der Weisheit der Mutter, ganz in Anlehnung an die Weisheit ihrer Mütter: „Du wirst es merken, wenn der richtige Moment gekommen ist!“ Ganz so, wie damals mit dem Richtigen, das hat ja auch geklappt.

Nun ist das Problem, dass ich dem Richtigen in meinem Leben schon mindestens sechs Mal begegnet bin. Manchmal hat es sich ziemlich schnell heraus gestellt, dass der Richtige vielleicht nicht so ganz wirklich der richtig Richtige war, manchmal hat es etwas länger gedauert. Mit Kindern ist das etwas schwierig, denn wenn der vermeintlich richtige Moment dann doch nicht der richtig richtige Moment war, ist nichts mit zurück geben und in zwei drei Jahren, beim nächsten richtigen Moment nochmal probieren. Bissle mehr als so ein diffuses Gefühl braucht es vielleicht doch. Denn ehrlich gesagt finde ich, es gibt nichts bedrückenderes, als Eltern, die ihren Kindern im Stillen vorwerfen, ihnen ihre Träume vom großartigen Leben kaputt gemacht zu haben.

Mit hat damals mit 23, als ich zum ersten Mal einen ernsthaften Kinderwunsch verspürt habe, eine kluge Frau gesagt, man sollte für die Kinder bereit sein. Alles andere ist unfair!

Mich hat das damals sehr beeindruckt, da ich dieses Bereitsein als sehr viel stärker empfunden habe, als diesen konkreten, vielleicht aber auch diffusen Wunsch, ein Kind zu bekommen. Bereit sein, dass hieß für mich: Habe ich meine wichtigsten Träume erfüllt? Habe ich mir die Hörner abgestoßen? Habe ich wild, intensiv und laut gelebt? Bin ich bereit, all das für einen anderen Menschen zurück zu stellen, möglicherweise sogar aufzugeben? Bin ich bereit für eine komplette Umwälzung meines Lebens, egal wohin sie führen wird? Bringe ich diese Offenheit mit? Bin ich an einem Punkt an dem ich spüre, mein bisheriges Leben hat mir sehr viel Spaß gebracht, aber nun bin ich bereit für etwas neues?

Denn obwohl mit Kindern viel bis alles möglich ist, ist eine Sache ganz und gar und mit vollkommener Sicherheit absolut unmöglich, und zwar sein altes Leben, so wie es war, weiter zu leben. Es kann nicht klappen. Denn es kommt ein neuer Mensch, der nicht Teil des alten Lebens war. Er kann es gar nicht sein und er will es auch nicht. Dieser kleine Mensch will nicht Teil der Vergangenheit sein, weil er die Zukunft ist! Ich glaube, die kleinen Würmer tragen dieses Wissen von Anbeginn in sich und auch das Wissen, dass wir Alten uns mit solchen Umbrüchen schwer tun, dass wir bereits Angst vor Veränderungen haben, dass wir im Erreichten verharren wollen. Aber dieses Denken bringt uns nicht voran, so kann keine Zukunft entstehen und deswegen krempeln unsere Kinder mit dem Moment ihrer Geburt unser Leben von unterst zu oberst und andersherum. Notfalls mit Geschrei und Gebrüll und allen Waffen, die ihnen zur Verfügung stehen.

Und noch was machen unsere Kinder, sie krempeln auch uns komplett um. Dass Innerste wird nach außen geholt. All unser Schein, unsere Masken, unsere Rollen, die wir zu spielen gelernt haben, wie wir uns geben, weil wir uns so für liebenswerter, erfolgreicher, besser halten… Das wollen unsere Kinder nicht sehen. Sie holen das kleine verletzte, verängstigte, verunsicherte Kind, das tief in uns schlummert hervor. Sie holen das Schlechteste von uns hervor, sie befördern alles zu Tage, mit dem wir uns nicht auseinandersetzen wollen und sicher und dauerhaft tief in unserer Seele vergraben zu haben glauben. Wenn wir sie lassen, führen sie uns auf uns selbst zurück. Damit wir besser werden können.

Warum tun sie das? Ich denke auch das hat mit der Überzeugung zu tun, dass sie die Zukunft sind. Sie wollen eine stabile Zukunft. Sie wollen, dass die alten Verletzungen und Demütigungen, die krank machenden Strukturen und Beziehungsmuster gelöst werden. Denn auf diesen wackeligen, tönernen Füßen kann man keine stabile Zukunft aufbauen. Sie zeigen uns auf, was in unserem Leben, unseren Beziehungen, unserer Gesellschaft falsch läuft, damit wir es heilen. Damit wir ein Umfeld schaffen, in dem sie sich gesund und stabil entwickeln können, damit sie die Zukunft gestalten können und nicht die Vergangenheit aufarbeiten müssen, weil wir dafür zu schwach, zu faul oder zu blind waren.

Dazu müssen wir bereit sein. Sind wir es, kann nichts schief gehen. Danke an alle, die mir dabei helfen, diesen Weg zu gehen. Danke an meine Kinder, dass sie mir immer wieder nicht den richtigen, aber zumindest den falschen Weg aufzeigen, damit ich ihn korrigieren kann. Ohne euch, wäre ich ein schlechterer Mensch! 

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