Foto: Kerstin Hase

Dilek Gürsoy: „Die meisten Menschen haben Stress, weil sie lieber alles alleine machen wollen“

Dilek Gürsoy ist die erste Frau in Europa, die ein Kunstherz implantiert hat. Die Herzchirurgin macht Frauen Mut, sich in Männerdomänen zu wagen.

Frauen neigen dazu, in eine Dankbarkeitsfalle zu tappen

Fleiß, Können und Leidenschaft – diese Trias vereint mit einer großen Portion Glück zeichnet die Lebensgeschichte von Dr. med. Dilek Gürsoy aus. Die Tochter einer türkischen Gastarbeiterfamilie ist die erste Frau in Europa, die einem Patienten ein Kunstherz implantierte. Seit 2016 arbeitet sie im Bremer Krankenhaus Links der Weser als Oberärztin in der Herzchirurgie. In unserem Gespräch macht sie anderen Frauen Mut, sich in Männerdomänen zu wagen und sich selbst für gute Leistungen zu loben.

Frau Gürsoy, was sind Ihre Stärken?

„Ich bin ehrlich, verlässlich, fleißig und – sehr wichtig – Optimistin.“

Wer ist Ihr persönliches Rolemodel und warum?

„Meine Mutter und Muhammad Ali. Meine Mutter ist eine starke Persönlichkeit, die als junge Frau, die nicht lesen und schreiben konnte, in eine fremdes Land kam und unter schwierigen familiären Umständen ihr Leben im Alleingang für ihre Kinder gerockt hat. Heute arbeitet sie noch mit 66 Jahren am Fließband und das sogar mit Leidenschaft. Und Muhammad Ali, weil er sich nicht von seinem Weg hat abringen lassen und hinter seiner großen Schnauze viel Disziplin und Willensstärke steckte. Das verschaffte ihm großen Erfolg und vor allem enormen Respekt.“

Ich unterstütze meine Mitarbeiter*innen und Kolleg*innen in schwierigen Situationen, indem…?

„…ich sie mit meiner Liebe zum Beruf anstecke und ihnen vermittle, dass es nicht schlimm ist, Fehler zu machen. Fehler gehören zum Leben dazu, damit wir daraus lernen und sie kein zweites Mal machen.“

Eine Kollegin denkt: „Ich verdiene den Erfolg gar nicht“, „Ich bin gar nicht gut genug“, „Das schaffe ich nie“, „Andere sind um Welten besser als ich…“ – Was raten Sie ihr?

„Ehrlich? Ich kann’s nicht mehr hören. Ich rate, sich ein gesundes Selbstbewusstsein anzueignen, ohne dabei überheblich zu werden. Sie sollte demütig und gelassen sein, aber bei Bedarf auch mal ordentlich auf den Tisch hauen können und sagen: Hey, ich bin auch noch da!“

Ein No-Go im Umgang mit Mitarbeiter*innen  ist für mich…?

„…sie nicht wertzuschätzen. Denn nur dann, wenn meine Mitarbeiter*innen merken, dass sie wertgeschätzt werden als Mensch und in dem, was sie tun, geben sie ihr Bestes. Das war bei mir nicht anders.“

Feedback ist für mich…?

„…mit das Wichtigste. Dumm sterben sollen nur die, die sich nichts sagen lassen. Wir sind verpflichtet, respektvoll miteinander umzugehen. Das bedeutet ehrlich miteinander zu sein und seine Meinung sagen zu können. Und das geht nur, wenn wir uns auf Augenhöhe austauschen.“

Über ihre Erfolge sollten Frauen…?

„…verdammt nochmal reden. Und es ist absolut okay, wenn Frauen auf einem Podest stehen und sagen: Ich bin gut. Denn ich weiß aus Erfahrung, dass es niemand macht, wenn man es nicht selbst tut – und man(n) erst recht nicht.“

Her mit dem Geld: Ihr Ratschlag an andere Frauen für Gehaltsverhandlungen?

„Verkauft euch aus Respekt zu euch selbst, eurer Arbeit und dem, was ihr könnt, nicht unter Wert! Sagt Nein, wenn euch etwas nicht passt! Wir Frauen neigen ja dazu, in eine Dankbarkeitsfalle zu tappen. Aus Erfahrung habe ich gelernt: Vermittelt eurem Gegenüber ruhig, dass sie (die Geldgeber*innen) dankbar sein können, eine wie dich bekommen zu haben!“

Verbündete und Mentor*innen finde ich, indem…?

„…ich neugierig und wissbegierig bleibe und einfach auffalle. Es nervt nicht und ist auch nicht peinlich, wenn man sich informieren möchte – ob das nun bei der Geschäftsführung, Politiker*innen oder Präsident*innen ist, an die man sich so nicht herantrauen würde.“

In Konfliktsituationen bin ich…?

„…besonnen, ruhig und höre erstmal zu. Wenn möglich, schlafe ich eine Nacht drüber, hole mir, falls nötig, Rat bei Mentor*innen. Meine Devise: Immer schön cool bleiben.“

Pannen sind…?

„…menschlich. Wirklich, sie gehören zum Leben dazu. Wir dürfen uns auf keinen Fall beirren lassen und müssen weitermachen.“

Wie gehen Sie mit Stress um?

„Ich gönne mir in regelmäßigen Abständen Ruhe und teile die Arbeit gerne mit anderen Kolleg*innen. Die meisten Menschen haben Stress, weil sie lieber alles alleine machen wollen. Das ist ein Fehler. Eigentlich ist es ganz einfach: Ich gebe der nächsten Generation meine Erfahrungen weiter und kann mich dann in Stresssituationen auf sie verlassen.“

Nein sagen sollten Frauen zu…?

„Geringer Wertschätzung. Ganz egal in welchem Beruf. Frau muss sich ihrer Fähigkeiten bewusst sein und darf sich niemals unterbuttern lassen. Von nichts und niemandem!“

Sie merken, dass Sie unglücklich sind in Ihrem Job. Was tun Sie?

„Man kann und muss über Probleme zunächst reden und versuchen, sie vernünftig anzugehen. Aber auf keinen Fall sollte man zu viel Zeit damit verschwenden. Wenn jemand am längeren Hebel sitzt und uns, aus welchen Gründen auch immer, nicht wohl gesonnen ist, sollten wir unsere Nerven schonen und uns etwas suchen, wo wir uns wohl fühlen. Mein Geheimtipp: aufs Bauchgefühl hören.“

Anderen Chef*innen würde ich gerne sagen,…

„…Geben Sie der nächsten Generation rechtzeitig die Chance, besser zu werden als Sie selbst! Es gibt für mich nichts Befriedigenderes, als jemanden in seiner oder ihrer Arbeit, Art und Weise zu fördern, walten zu lassen und den Horizont zu öffnen. Wer die Fähigkeit besitzt, anderen etwas zu gönnen, ist mit sich selbst im Reinen.“

Frau Gürsoy, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Das Gespräch führte Carina Kontio, Redakteurin bei Handelsblatt. Mehr Interviews zu Diversity, Management und Leadership findet ihr im Handelsblatt-Special „Shift“. Carina hat außerdem eine Karriere-Kolumne bei Audible, die ihr euch jeden Donnerstag anhören könnt.

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