Eine Entscheidung gegen unser Bauchgefühl ist wie ein schlecht sitzendes Korsett: Wir können es anpassen, aber das Pieksen will nicht so recht aufhören. Warum unsere Intuition viel mehr Aufmerksamkeit verdient hat.
Wie erklärt man manche Entscheidungen?
Warum ich nach dem ersten Bachelor keinen Master, sondern einen weiteren Bachelor gemacht hätte, werde ich oft gefragt. Beim Beantworten dieser Frage komme ich manchmal ins Straucheln. Ich hatte zwar sehr gute Gründe dafür (Credits, das Lernen von kommunikationswissenschaftlichem Grundwissen, Interesse am Fach und so weiter), aber was mich am Ende zu der Entscheidung geführt hat, war reines Bauchgefühl. Doch wie erklärt man das?
Viel leichter fällt es, mein Reiseziel Panama mit „Bauchgefühl” zu erklären. Warum ich ausgerechnet dort hingereist bin, obwohl ich kaum etwas über das Land wusste, bevor ich den Flug gebucht habe? Ich zucke dann mit den Schultern, rede irgendetwas von „Ich wollte sowieso mal nach Mittelamerika” und rücke dann mit meinem Bauchgefühl heraus. Auf der anderen Seite meist verständnisvolles Nicken.
Bauch oder Kopf?
Eine Faustregel beim Treffen von Entscheidungen ist, auf das Gefühl zu achten, das unmittelbar auftritt, wenn man an eine der Alternativen denkt. Um es anders zu formulieren: Wenn du eine Münze wirfst, dann hoffst du normalerweise schon vorher auf eines der Ergebnisse. Diese Hoffnung ist dein bester Berater. Achte mal darauf!
Selbst wenn es auf den ersten Blick die scheinbar unklügere Alternative ist, so weiß unser Bauchgefühl trotzdem ziemlich gut, was zu uns passt und womit wir uns wohlfühlen werden. Und sollte das Wohlfühlen nicht sowieso eines der obersten Ziele sein?
Klar, man kann sich auch dazu überwinden, ein weiteres Studium draufzusatteln, auch wenn man in dem Moment gerade keine Lust darauf hat. Aber ist es nicht besser, ergiebiger, erfüllender, eine solche Entscheidung dann zu treffen, wenn man mit dem Herzen dabei ist? Wir ziehen doch so viel mehr aus unseren Lebensaufgaben, wenn sie sich passend, richtig, gut anfühlen. Wie sollten wir uns je wohlfühlen, wenn das, wofür wir uns aus purer Vernunft entschieden haben, wie ein schlecht sitzendes Korsett piekst und unangenehme Druckstellen hinterlässt? Wir können es zurechtziehen und anpassen, aber das Pieksen, das hört nie wirklich auf.
Was hat Bauchgefühl mit Reue zu tun?
Ich habe viel aus Dingen gelernt, die ich bereue. Ich bereue nicht viel – natürlich bedaure ich einige Sachen, aber oft rufe ich mir dann ins Gedächtnis, dass es eben in diesem Moment okay so war. Entscheidungen haben mir Erfahrungen gebracht und mich an den Punkt kommen lassen, an dem ich jetzt bin. Hätte ich Fehler nicht begangen, wären sie sicherlich später in mein Leben getreten – eben weil ich noch nicht gelernt habe, dass es Fehler sind. Ich finde, dass dieses Mindset unfassbar wichtig ist, um sich dafür vor sich selbst zu rechtfertigen, Bauchentscheidungen zu treffen, denn ich weiß, dass diese Rechtfertigung schwerfällt, wenn wir nach Effizienz, Karriere und höheren Zielen streben.
Manche Entscheidungen sind vor anderen Menschen schwieriger zu erklären. Warum ziehe ich in Stadt A, wenn Stadt B mir doch bessere Berufschancen bietet? Vielleicht ist die Stadt schöner, vielleicht lebt dort jemand, den ich mag oder vielleicht ist es ganz einfach ein unbestimmtes Gefühl, das mich in eine Richtung drängt. Dieses Gefühl sollten wir nicht ignorieren.
Ist Bauchgefühl fehlbar?
Ich bin kein reiner Gefühlsmensch – das sind wohl die wenigsten von uns. Ein bisschen Vernunft bei Entscheidungen hat noch niemandem geschadet und ist auch unbedingt anzuraten. Wir sind nicht unfehlbar – wieso sollte es also unser Bauchgefühl sein? Natürlich lassen wir uns manchmal von Aspekten leiten, die nicht unbedingt förderlich sind. Ich kenne jemanden, der XY studiert und der hat ein ganz tolles Leben – also verbinde ich diese Erfahrung damit und lasse mich davon leiten – auch wenn es gerade total unsinnig wäre, eine Entscheidung in diese Richtung zu treffen. Es ist eine tolle Sache, sich von Gefühlen leiten zu lassen. Aber wichtige Entscheidungsprozesse müssen auch einen kleinen Funken Vernunft vertragen können. Vernunft ist nicht der Spielverderber, sondern der wohlmeinende Berater.
Über allem steht dennoch die Intuition. Und ich möchte, dass wir mehr auf sie vertrauen. Dass wir ihr eine Stimme geben, sie ernst nehmen und uns von ihr leiten lassen. Das hat sie verdient.
Dieser Text erschien zuerst auf Linas Blog notes to herself. Wir freuen uns, dass sie ihn auch hier veröffentlicht.
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