Wie bei allen Themen rund ums „richtige“ Kindererziehen ist auch das Thema Ehrgeiz ein heißes Eisen. Wie viel davon ist nötig, damit das Kind erfolgreich durchs Leben geht und wann wird es zu viel? Überlegungen für alle, die die richtige Balance finden wollen.
Auf der einen Seite wünschen sich wohl alle Eltern, dass ihre Kinder in der Schule und im späteren Leben Erfolg haben und sie wissen, dass dazu auch Anstrengung gehört.
Auf der anderen Seite haben wir große Angst, die Kleinen zu früh zu stark zu fordern, unter Druck zu setzen und sie damit möglicherweise sogar krank zu machen. Gerade wenn es in der Schule auf die Versetzung zugeht, fragen sich viele: Sind wir Rabeneltern, wenn wir unser Kind bei schönstem Frühlingswetter das Diktat für den nächsten Tag üben lassen – oder wenn wir genau das nicht tun?
Ehrgeiz in der Geschichte und Literatur
Unter Ehrgeiz versteht man das Streben nach Leistung, Wissen, Erfolg, Anerkennung, Einfluss oder auch Macht: alles Eigenschaften, die nicht immer unbedingt positiv besetzt waren und auch manchmal noch sind. Vom machtbesessenen Königsmörder Macbeth bis zur liebenswerten Streberin
Hermine aus Harry Potter finden sich in der Literatur alle möglichen Facetten.
Zu Zeiten Luthers galt Ehrgeiz gar als Sünde, denn statt seine eigene “Ehre” zu suchen, sollte der Mensch besser seinem Nächsten dienen. Erst seit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung mit ihrer Idee des Pursuit of Happiness ist der Ehrgeiz zu einer Eigenschaft geworden, die heute als Voraussetzung für Erfolg in allen möglichen Bereichen gilt. Im positiven Bereich
bewegen sich Ehrgeizige allerdings nur solange, wie die Ambition nicht auf
Kosten von Teamgeist, Ethik oder der eigenen Gesundheit geht oder in
unsympathische Verbissenheit ausartet. Mein persönliches Lieblings-Statement dazu stammt vom Zeit-Redakteur Harald Martenstein: “Ehrgeiz ist eines der letzten Tabus. Viele haben ihn. Niemand gibt es zu. […] Wenn Menschen nicht ehrgeizig wären, würden wir immer noch auf den Bäumen hocken und uns gegenseitig total relaxed lausen, so sieht nämlich die Wahrheit aus.”
Ein gesundes Maß zu halten ist auf jeden Fall wichtig – bei uns Erwachsenen und erst recht bei Kindern. Was können und sollten Eltern also tun, um dem Nachwuchs die nötige Strebsamkeit beizubringen, ohne zu viel Druck auszuüben? Der goldene Mittelweg: Das Kind soll von sich aus etwas leisten wollen. Ohne Ehrgeiz geht das nicht. Nur: Wie vermittelt man den?
Ehrgeiz bei Kleinkindern
Im Kindergartenalter wollen fast alle Kleinen ihre Sache ganz toll machen und sind auf ihre ersten Erfolge megastolz: „Mama, ich bin die beste Straßenkreidemalerin auf der ganzen Welt“, „Und ich – der schnellste
Müslimischer aller Zeiten“. Das bestätigen wir doch gern, auch wenn wir
natürlich wissen, dass es nicht gut ist, alles sofort zu loben. Kinder, die
immer gleich unsere volle Aufmerksamkeit bekommen und auch sonst alles, was sie gerade haben wollen, haben schließlich keinen Grund sich anzustrengen oder ein bisschen Ausdauer und Geduld aufzubringen.
Für diese Altersgruppe ist es relativ klar, dass wir Eltern zwar auch fördern, aber hauptsächlich bestärken sollen. Zu hohe Ansprüche können das Kind entmutigen und so die Entwicklung von Ehrgeiz verhindern. Stattdessen spornen kleine Erfolge und wachsende Selbstständigkeit an und ermutigen das Kind zum Weitermachen. Trotzdem: Bei Gesellschaftsspielen lassen wir den Nachwuchs im Kindergarten- und Vorschulalter gerne mal gewinnen und überhaupt dürfen sich die meisten Kinder heute erstmal ganz in Ruhe in ihrem individuellen Tempo entwickeln.
Ehrgeiz in der Schule
Geht es dann in Richtung Schule, können die Kids auf einmal nicht mehr ihren momentanen Interessen folgen, sondern müssen sich an Vorgaben halten. Jetzt wird von ihnen einiges verlangt und es reicht auch nicht mehr aus, sich nur zu bemühen. Plötzlich werden bestimmte Leistungen vorausgesetzt, zum Beispiel um in die nächste Klassenstufe aufzurücken. Mit dazu gehört auch ein guter
Umgang mit Misserfolgen. Kinder müssen einsehen, wenn die Buchstaben trotz aller Mühe noch nicht schön genug sind, die ersten Rechenaufgaben schlicht falsch und der Banknachbar vielleicht schon viel schneller lesen kann.
Außerdem teilen sich die meisten Klassen schnell in „die Streber“ und „die Coolen“ auf – dass letztere oft mehr Bewunderung von ihren Klassenkameraden bekommen als die Braven, Fleißigen, kennen wir alle aus unseren Schulzeiten. Sich anstrengen zu wollen, ist eben nicht besonders cool.
Eltern wollen verständlicherweise, dass ihr Nachwuchs gute Beurteilungen und Noten hat, Misserfolge wegstecken kann, aber immer eine Eins muss das Kind natürlich nicht schreiben. Klappt es nicht ganz so gut, engagieren Eltern entweder Nachhilfelehrer oder schlüpfen zu Hause mit mehr oder weniger Erfolg in die Rolle von Motivatoren, denn gerade wenn die Erfolgserlebnisse ausbleiben, haben die Kids keine Lust, sich von selbst zu bemühen. Eine gute Idee kann es sein, das Angenehme mit dem Notwendigen zu verbinden und zum Üben am Wochenende ein anderes Kind einzuladen. Vielleicht helfen sich die Kinder ganz gerne untereinander und pflegen nebenbei ihre Freundschaften, denn die sozialen Kontakte sollten über dem Üben auf keinen Fall vernachlässigt werden. Außerdem ganz wichtig: immer den individuellen Fortschritt des Kindes loben und es nicht vergleichen mit denen, die schon weiter sind.
Gesunden Ehrgeiz fördern
Schulpsychologen empfehlen, vor allem die intrinsische Motivation, also die Motivation aus sich selbst heraus, zu fördern: Kinder sollen lernen, weil sie sich für die Themen interessieren, nicht um der Noten willen oder um ihren Eltern zu gefallen. Einfacher gesagt als getan, denn für Mengenlehre oder schriftliches Subtrahieren begeistert sich nun mal kaum ein Kind.
Um so wichtiger sind gute Vorbilder: Wenn Papa oder Mama selbst mit Freude ihrem Beruf oder auch privaten Aufgaben nachgehen, vermitteln sie dem Kind ganz automatisch, dass es nicht nur darum geht, für irgendeine Tätigkeit ein Gehalt zu bekommen, sondern Arbeiten Spaß machen kann und gute Kollegen eine Bereicherung sind. Die Montagsmuffel unter uns können versuchen, den Kids mit gutem Beispiel voranzugehen und mit etwas mehr Elan in die Woche zu starten. Hat der Nachwuchs eine Klassenarbeit geschrieben, sollten wir nicht zuerst fragen “Und – wie ist es gelaufen?”, sondern uns lieber einfach nach dem Thema erkundigen. Auch mit kleinen Belohnungen dürfen Eltern durchaus mal arbeiten. Wichtiger als die Belohnung sollte aber immer sein, ein bestimmtes Ziel zu erreichen – denn nichts motiviert mehr zum Weitermachen als ein ganz individuelles Erfolgserlebnis.
Ziele setzen mit Hobbys wie Sport und Musik
Wenn das Kind neben der Schule eine Leidenschaft für irgend etwas entwickelt, sollten wir es darin auf jeden Fall bestärken, egal wie unwichtig oder sinnlos uns Erwachsenen diese Leidenschaft auch erscheinen mag. Freude an Leistung lässt sich besonders gut über Hobbys wecken, die das Kind sich selbst aussucht. Beim Sport oder Musikunterricht lernen Kinder, sich erreichbare Ziele zu setzen – und nicht sofort mit sich zufrieden zu sein. Die Anstrengung fällt auf einmal gar nicht mehr schwer, wenn einen die Sache so richtig begeistert.
Anfangs ist natürlich oft ein kleiner Schubs nötig, schließlich macht beispielsweise das Klavierspielen erst dann richtig Spaß, wenn das Kind auch regelmäßig übt und mit der Zeit anspruchsvollere Stücke spielen kann. Vor zu viel Ehrgeiz in solchen Bereichen müssen Eltern normalerweise keine Angst haben. Die meisten Kinder schätzen erstmal die Gemeinschaft im Sportverein, in der Musikschule oder beim Chor, finden neue Freunde und lernen, als Team etwas zu erreichen. Kaum etwas Wichtigeres kann man ihnen für später mitgeben. Und selbst echte, rund um die Uhr beschäftigte Wunderkinder, wie etwa die begnadete Komponistin, Pianistin und Geigerin Alma Deutscher, scheinen nichts zu vermissen: “Ich glaube nicht, dass ich irgendetwas verpasse. Ich mache ja all das, was ich wirklich mag.”
Dieser Text ist (leicht verändert) zuerst auf dem Blog https://blog.tausendkind.de/ erschienen. Wir freuen uns, das wir diesen Artikel auch hier veröffentlichen können.