Der Sohn unseres Community-Autors beginnt gerade zu entdecken, dass er ein Junge ist. Und der Vater fragt sich: Wie kann ich dazu beitragen, dass er dabei ein positives Bild von sich entwickelt?
Lego, Katzengeschichten, Kitafreunde
Mein lieber Sohn,
mit deinen zweieinhalb Jahren interessieren dich gerade Lego, Katzengeschichten und deine Kitafreunde. Du verstehst mit jedem Tag mehr von deiner Welt und lässt keine Gelegenheit aus, uns deine Bedürfnisse mitzuteilen und für sie einzutreten. Das ist meistens erfrischend; gelegentlich auch ziemlich nervig.
Als dein Papa frage ich mich, wie es für dich sein wird, wenn du zehn, 18 oder 25 bist? Welchen Weg wirst du gehen, um herauszufinden, wer du bist? Wer wird dich dabei begleiten? Welche Kumpel wirst du dir suchen? Wirst du Zugang zu deinen Gefühlen haben? Wirst du dich trauen, jemandem zu sagen, dass du ihn oder sie toll findest? Wer wird es zu dir sagen?
Du hast die Chance, anders zu werden
Ich frage mich das alles, weil du die Chance hast, anders als viele Jungs und Männer vor dir zu werden. Gerade wird in vielen Ländern unter der Überschrift #Metoo debattiert, wie weit verbreitet es noch immer ist, dass Männer auf Frauen herabschauen, sie belästigen und misshandeln. Männer pfeifen Frauen hinterher, die gerade joggen oder tanzen. Frauen werden berührt, obwohl sie es nicht wollen. Frauen werden oft von Männern, wenn diese mächtiger sind, genötigt, Dinge über sich ergehen zu lassen, die sich nicht wollen.
Das alles passiert nicht, weil Männer eben so sind. Das passiert auch nicht, weil es schon immer so war. Männer und Jungs schauen immer wieder auf Frauen und Mädchen herab, weil sie selber etwas verlernt haben. Sie spüren sich selbst nicht mehr. Sie wissen nicht, wie sie mit ihrer Sehnsucht und Angst umgehen sollen. Zu oft spüren sie diese gar nicht, obwohl sie da sind. Sie wissen nicht, wer sie sind. Indem sie Frauen abwerten, übertönen sie ihre Unsicherheit. Wenn sie könnten, würden sie weinen und fragen, ob sie in den Arm genommen werden könnten.
Runtermachen in der Gruppe
Leider geht es vielen, wenn auch nicht allen Männern, so. Kommen mehrere Männer oder Jungs zusammen, dann ist mindestens einer dabei, der loslegt. Dann werden Frauen heimlich oder offen beguckt, belacht und belästigt. Die anderen halten dann oft die Klappe oder machen gar mit. Und wenn keine Frauen da sind, dann wird gerne mal ein andere Mann oder Junge als schwul bezeichnet. Dem passiert dann das gleiche wie den Frauen.
Es ist nun an uns und an mir, dass deine Chance auf eine selbstbestimmtes Dasein erhalten bleibt. Darin schließe ich ganz bewusst auch ein, dass du ein Junge bist und irgendwann ein Mann wirst. Was das heißt, musst du für dich herausfinden. Und ich hoffe, dass es mehr sein wird als der Wunsch, nur keine Frau zu sein. Falls du lieber eine Frau werden möchtest, dann geht das natürlich auch.
Junge? Mädchen? Die Umwelt prägt
Dir ist bereits aufgefallen, dass du einen Penis hast. Wir nennen den auch so. Du weißt auch schon, dass Frauen und Mädchen eine Vagina haben. Was es aber heißt, ein Junge oder ein Mädchen zu sein, erschließt du dir aus deiner Umwelt. Auch jetzt schon! Zu Hause machen alle alles, mit der Ausnahme, dass ich die Nägel in Wand schlage. Wir schauen Bücher an, spielen mit Bausteinen, gehen gleich viel arbeiten, kuscheln und bringen dich ins Bett. Sowohl deine Mama als auch dein Papa sind manchmal stark, fröhlich, ängstlich oder traurig. In der Kita gibt es Erzieherinnen und immerhin auch einen Erzieher. Bei den Großeltern wird es schon klassischer: Die Opas fahren die Autos, die Omas fahren mit. Immerhin arbeiten beide Omas. Im Zweifel schenken sie aber lieber blaue T-Shirts und Bagger.
Du liebst Rollenspiele im Moment. Mal bist du der heilige Martin, dann die Feuerwehrfrau Aynur (im Wimmelbuch „Was machen die da“ zu finden), dann wieder eine Wildkatze, ein Bauarbeiter oder gar die Mama. Ich bin gespannt, wer in Zukunft noch dazukommen wird. Mich begeistert es, wie du so vielen Menschen und Figuren etwas abgewinnen kannst, einfach weil sie sind, wie sie sind.
Für deine Zukunft wünsche ich dir, dass du für dich herausfindest, wer du bist. Wenn dir jemand sagt, als Junge macht man dieses oder jenes, hör nicht darauf. Egal wer es ist. Wenn du wütend bist oder Angst hast, dann zeige es. Wenn du jemanden trösten willst, dann mache es. Wenn jemand ausgelacht wird, dann stell dich an ihre oder seine Seite. Und wenn dir danach ist, dann sag ganz laut: Stop, ich glaube mein Schwein pfeift!
Dein Papa
Mehr bei EDITION F
Ich spiele nicht gern mit meinem Sohn – bin ich eine schlechte Mutter? Weiterlesen
Wo sind all die „modernen Väter“? Hilferuf eines einsamen Vaters in Elternzeit. Weiterlesen
Warum wir auch über die Erziehung unserer Söhne reden müssen. Weiterlesen