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Netflix’s Godless – Wonder Women in La Belle

Steppenroller, Tafelberge, Prärie – Das Genre “Western” ist fast so alt, wie das Kino selbst. Man könnte fast sagen, es ist so verdorrt, wie die Orte, an denen sie spielen. Und dazu eine Welt voller filmischer Klischees.

 

Es ist heutzutage nicht leicht, solch ein ausgeschöpftes Thema neu aufzulegen. Nach ihrer Hochblüte der 60er Jahre, in der sich noch jeder Junge zwischen 5 und 12 Jahren in die weiten Steppen Nordamerikas träumte, war das Maß voll. Die Idealisierung von amerikanischer Selbstverwirklichung und Freiheit wurde in Anbetracht der Realität des “Manifest Destiny”  in Frage gestellt. Die westliche Erschließung hatte Opfer, Krankheit und Vertreibung mit sich gebracht. Themen, die bis dahin kaum Eingang in diese glorifizierende Filmform gefunden hatten.

In den letzten 15 Jahren versuchten sich Autoren und Regisseure an Neuauslegungen des Westerns. Hervorheben kann man vor allem die Filme The Revenant (2015), Django Unchained (2013) und True Grit (2011), im Ansatz auch There Will Be Blood (2007) und zum Teil Brokeback Mountain (2005). Sie gehen über die Genregrenzen hinaus und bieten neue Sichtweisen auf härtere Zeiten nordamerikanischer Geschichte.

Mit der Mini-Serie Godless traut sich nun Netflix auf dieses Terrain und bildet ihren ersten eigenen Beitrag zum Thema. (Den Film The Ridiculous 6 mit Adam Sandler aus dem Jahr 2015 wäre jetzt mal als ernstzunehmender Vorreiter auszuschließen.) Zuerst als 3-Stunden-Kinoepos angelegt, wurde das Drehbuch von Scott Frank schließlich in sieben Teile á 40-80 Minuten umgewandelt. Für Frank ist Godless sein erstes Projekt, in dem er nicht nur als Autor, sondern auch als Regisseur und ausführender Produzent tätig ist. Bei der Produktion wird er von Steven Soderbergh unterstützt, mit dem er zuvor bei Out of Sight (1998) zusammen gearbeitet hat. Trotz seines berühmten Produktions-Partners sollte Frank als Nummer Eins nicht überschatten werden.

Es handelt sich bei Godless nun aber um keinen Neo-Western, der durch Tarantino-Skurrilität besticht oder heftige, körperliche Ansprüche, durch die sich Leonardo DiCaprio quälte. Der Plot ist im Grunde klassisch, aber dennoch kein moralapostolischer Diskurs, wie in vielen Western-Klassikern. In der Quintessenz bezieht er sich auf das Überleben in einer harten, unnachgiebigen Umgebung. Wer zögert, verliert.

“God? What God?(…) There ain’t no higher-up around here to watch over you and your young’ns. This here is the paradise of the locust, the lizard, the snake. It’s the land of the blade and the rifle. It’s godless country. And the sooner you accept your inevitable demise, the longer you’re all gonna live.”

Mentor vs. Protegé – Ein Zwist, der stets funktioniert

1884: Im Mittelpunkt steht die Fehde zwischen Bandenanführer Frank Griffin und seinem abtrünnigen Ziehsohn Roy Goode. Während sich Goode vom Ganovenleben abgewendet hat und seine alte Truppe bei ihren Raubüberfällen sabotiert, sinnt Griffin mit seinen 30 Männern Rache und nach dem Tod des verräterischen Protegés. Im Zuge ihrer Auseinandersetzung werden mehrere kleine Städte im Norden New Mexicos terrorisiert und teils dem Erdboden gleichgemacht. Nach einer ihrer Schießereien findet Goode schwerverletzt Unterschlupf bei der Außenseiterin Alice Fletcher, die mit ihrem Sohn und ihrer Paiute-Schwiegermutter auf einer Farm außerhalb vom kleinen Minendorf La Belle lebt. Das Städtchen wird seit einem schweren Minenunglück hauptsächlich von Frauen bewohnt, die sich nun durchschlagen und ihrer Situation anpassen müssen. In diesem rauen Western-Refugium kommt Goode einem normalen Leben näher, aber ist sich gleichzeitig bewusst, dass ihn seine Vergangenheit einholen wird.

Antiheld und Antagonist sind beide hervorragend besetzt. Jeff Daniels spielt den missionarischen Bandenanführer, der seine Mitmenschen emotional zu manipulieren weiß. Daniels versteht es perfekt, seine eigene Sympathie für diesen Zweck auszunutzen, sodass der Zuschauer es ihm abkauft, dass Frank Griffin 30 Mann um sich scharren konnte. Engländer Jack O’Connell passt von Natur aus zum Antihelden Roy Goode, beide sind geläuterte Bad Boys. Den inneren Zwiespalt als ehemaliger Krimineller, der nach Erlösung sucht, nimmt man ihm ohne Zweifel ab. Sein Pferdeflüsterer-Talent hingegen eher weniger. Beide haben kaum gemeinsame Szenen, aber die Basis der Beziehung wird durch Rückblenden aus Roys Kindheit und Jugend begründet. Der allzu erwartende Showdown meistern beide mit Bravur.

Michelle Dockery ist als zweifache Witwe Alice Fletcher mit einer harschen Hintergrundgeschichte überaus überzeugend und zeigt, dass sie den Umgang mit einer Flinte meisterlich beherrscht. Die Engländerin würde man nicht unbedingt in einem Western erwarten, aber der Zuschauer lässt schnell den Gedanken an Lady Mary Crawly los, sobald er Dockery mit Dreck im Gesicht beim Brunnengraben zusieht. Man könnte vermuten, dass ihre natürliche Schönheit szenisch in den Vordergrund gedrängt wird, aber sie wird gekonnt hinten an gestellt. So bleibt die Stärke und Unabhängigkeit dieser Figur besonders prägend. Durchaus positiv entwickelt sich die Beziehung zwischen Fletcher und Goode: Zuschauer rechnen heutzutage meist mit einer stürmischen Romanze zwischen weiblichen und männlichen Protagonisten, aber in Godless hat dies, wie im damaligen wilden Westen sicherlich auch, keine Priorität. Sicher ist Neugier und ein Wunsch nach Nähe zu spüren, aber Pferde, Brunnen und Überleben haben Vorrang.

Die weiteren, nennbaren Figuren befinden sich im Dorf La Belle: Scoot McNairy als überforderter Sheriff Bill McNue, der mehr mit eigenen persönlichen Problemen kämpft, anstatt sich um die Ladies aus La Belle zu kümmern. Es ist fast rührend mit anzusehen, wie McNairy seiner zurückgezogenen und unsicheren Figur das Selbstbewusstein zurückgibt. Unterstützt wird er vom Deputy Sheriff Whitey Winn, gespielt von einem weiteren Briten, Thomas Brodie-Sangster. Dieser folgt eher dem komödiantischen Ansatz, was der Figur Whitey aber auch naheliegt. Sein noch  immer jungenhaftes Aussehen wird beim Deputy Sheriff perfekt eingesetzt und er poliert dessen liebe, treudoofe Art vorbildlich auf.

Ein paar Wonder Women in La Belle

Doch die beste Unterstützung, und das nicht nur für ihn, findet Sheriff McNue in seiner Schwester, Mary Agnes “Maggie” McNue. Exzellent gespielt von Merrit Wever ist sie, wie man im Englischen sagt, “a force to be reckoned with”. Sie ist der Schlüssel für einen völlig neuen Zugang in das Western-Genre, was einem, besonders als Frau, wahre Freude bereitet. Als Witwe des ehemaligen Bürgermeisters übernimmt Maggie die leitende Verantwortung in La Belle. Sie löst sich von den männlich konnotierten und gesellschaftlichen Erwartungen, um in Hose, Hemd und Weste das zu machen, was gemacht werden muss. Dazu kümmert sie sich liebevoll um die Kinder ihres Bruders und steht einem liebeskranken Whitey zur Seite. Auch wenn sie zuerst von den Damen skeptisch beäugt wird, findet sie schließlich unerwartet Verbündete in ähnlich denkenden Frauen.

Ohne viel vorweg nehmen zu wollen, aber gegen Ende der Serie ist Maggie Mittelpunkt einer Szene, die dem Blockbuster Wonder Woman in den von der Leinwand übertragenden Emotionen in nichts nachsteht. Es handelt sich bei den Frauen aus La Belle nun nicht um göttliche Superkriegerinnen, aber in ihrer eigenen Art finden sie zu einer selbstbestimmten, kraftvollen Ermächtigung, ohne dabei übertrieben dargestellt zu sein. Patty Jenkins wäre stolz.

Simple Authentizität

Es wurde in New Mexico gedreht, was ungemein zur Atmosphäre und Authentizität der Serie beiträgt. Scott Frank legte viel Wert auf unverfälschte Kostüme und korrekte Ausstattung: Kein buntes Firlefanz, keine albernen Schießkolben. Die Frisuren sind einfach, die Bärte ungestutzt. Es wird nichts beschönigt.

Diese Simplizität unterstützt den allgemeinen Tonus der Serie. Für manch einen Zuschauer wäre die Serie möglicherweise zu ruhig. Frank stellt bewusst die Beziehungen der Figuren in den Vordergrund, die in den wunderschönen Landschaftsaufnahmen einen gelungenen Rahmen finden. Auch das allgemeine Kolorit ist zurückhaltend, in Teilen wirken Szenen sogar schwarzweiß. Es herrscht eine Kühle in Godless, die einen interessanten Widerspruch zur Hitze der Örtlichkeiten bildet und mehr im Dialog mit der Unbarmherzigkeit des damaligen Alltags steht.

Man versteht, dass Frank sein Projekt als dreistündiges Kino-Epos geplant hatte. Aber das Format einer Mini-Serie scheint der Handlung doch eher gerecht zu werden. Es bietet “ungeschnitten” allen Figuren die Möglichkeit sich zu entfalten und ihre Beweggründe zu vertiefen. Einige Drehbücher, Plots oder Ideen sind im Serienformat einfach richtig platziert. So kann auch Godless entspannt auf der Trendwelle mitreiten, denn im Kino wäre die Wahrscheinlichkeit doch hoch gewesen, dass der Film, vermutlich mit geringem Marketing-Budget, untergegangen wäre.

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