Warum wir unser Kaufverhalten radikal ändern müssen. Was das
mit Gerechtigkeit zu tun hat. Warum wir Frauen mal wieder mit gutem Beispiel vorangehen müssen. Bei einer Diskussion mit Bundesentwicklungsminister Gerd Müller ging es bei der Modemesse Panorama zur Sache.
Mit unserem Einkaufsverhalten stimmt etwas nicht
Wenn wir Lebensmittel kaufen, Eier, Fleisch und Geflügel, dann achten viele von uns doch penibel auf das Bio-Siegel. Artgerechte Tierhaltung und Tierschutz wird bei uns ganz groß geschrieben – und das ist richtig und gut so und da hat ein entscheidender gesellschaftlicher Wandel stattgefunden, der zu den großen menschlichen Errungenschaften unserer Generation zählt.
Merkwürdigerweise gelten aber bei uns – auch bei mir persönlich ist das leider weitgehend so gewesen – längst nicht dieselben Maßstäbe, wenn es um den Kauf unserer Kleidung geht. Beim Ei regt sich unser Gewissen, und wir denken automatisch an die armen Hühnchen in ihren Käfigen; beim Sommerkleid denken wir hauptsächlich an uns, wie es uns steht und ob wir es uns leisten können, und nicht an die junge Frau, die es in Indien genäht hat, für einen Hungerlohn. Da stimmt doch was nicht.
Das müssen wir ändern. Das können wir ändern! Lasst uns doch bitte gemeinsam den nächsten bedeutenden gesellschaftlichen Wandel vollziehen, einen, bei dem es um das Menschenrecht auf ein gutes Leben geht.
Lasst uns doch bitte eine Trendwende vorantreiben, die jede von uns und wir alle gemeinsam in unserem Alltag bewirken können, ganz einfach indem wir darüber sprechen, indem wir selbst entsprechend handeln: Wir müssen beim Kauf unserer Kleidung den Menschen gegenüber – und es sind natürlich hauptsächlich Frauen -, die sie für uns herstellen, dieselbe Empathie aufbringen wie für die Hühnchen. Krass formuliert, ich weiß, aber ich meine das genauso.
Wir tragen mit unserem nachlässigen Kaufverhalten die Verantwortung für das Wohlergehen von 65.000.000 Millionen Frauen und deren Familien, die nicht menschenwürdig leben können, weil es Hersteller gibt, die meinen, uns mit Billigwaren, die zu Lasten dieser Frauen angefertigt werden, zu willfährigen Helfern ihrer Profitgier zu degradieren.
Faire Mode: ein dickes Brett
Wir können wir dieses Umdenken beschleunigen? Das war das wichtige Thema bei einer Diskussion auf der Berliner Modemesse „Panorama“. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung,
hatte eine kleine Runde von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren an den Stand seines Ministeriums eingeladen – Chefredakteurinnen und Chefredakteure, PR-Agentinnen, Social Media-Spezialistinnen, Journalistinnen und Journalisten, Führungskräfte von Modeschulen – um uns über die neuesten Entwicklungen und die ersten Ergebnisse seiner Initiative „Textilbündnis“ zu informieren und um bei einem Working Lunch zu diskutieren, was wir gemeinsam tun können, um diesen so dringend nötigen Bewusstseinswandel durchzusetzen.
Der Minister leistet seinen Teil mit Nachdruck auf der Regierungsseite, indem er mit dem von ihm vor drei Jahren gegründeten „Textilbündnis“ (so
sperrig der Name, so sinnvoll die Aktion) immer mehr Unternehmen aus der Textil- und Bekleidungsindustrie und dem Handel, Standardorganisationen, Gewerkschaften, Verbände und Nichtregierungsorganisationen überzeugt, sich gemeinsam für die Rechte der Arbeiterinnen in der Textilindustrie auf menschenwürdige und umweltschonende Arbeitsbedingungen einzusetzen.
190 Unterzeichner, darunter auch einige aus den Herstellerländern in Asien und Afrika, haben Müller und sein Team seit der Gründung 2014 um sich versammeln und motivieren können, sich in einer Roadmap auf neue Standards zu einigen, konsequent an der Umsetzung zu arbeiten und – last but not least – die Waren entsprechend zu kennzeichnen, durch einen grünen Knopf zum Beispiel und ein einheitliches Gütesiegel.
Dem Minister ist selbstverständlich klar, dass da ein dickes Brett gebohrt werden muss. Die Lieferketten der Textilindustrie vom Rohstoff bis zur Verwertung sind verzweigt und unübersichtlich. „Darum können wir nicht auf einen Schlag sämtliche Produktionsschritte ökologisch, sozial und wirtschaftlich nachhaltiger gestalten und gleichzeitig die Einhaltung der Menschenrechte gewährleisten“, sagt er. „Aber wir sind auf einem guten Weg.“ Gleichzeitig appelliert er an unser Verantwortungsbewusstsein und daran, dass Konsumieren um jeden Preis eine Haltung von gestern ist: „Natürlich tragen wir die Verantwortung für die Menschen, die unsere Kleidung herstellen, und für die Entwicklung der Ländern, in denen sie leben. Uns steht es nicht zu, auf ihre Kosten von billigen Preise zu profitieren.“
Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller diskutiert auf der Panorama-Modemesse mit Barbara Meier, Daniel Härtnagel, Edna Dumas, Sabine Franzen-Oelmann, Anna Müller, Patricia Riekel, u.a. | Foto: Beate Wedekind #wwwedekind
Wie kommt faire Mode in den Mainstream?
Barbara Meier, eines der erfolgreichsten Topmodels von GNTM, berichtete von ihrem Besuch in Textilfabriken in Äthiopien und Bangladesch und wie ihr die Gespräche mit den jungen Frauen dort die Augen geöffnet haben. Seitdem setzt sie sich als Testimonial für faire Herstellung und fairen Handel von Mode ein.
Tatsächlich ist ja unter dem Stichwort „Fair Fashion“ und „Fair Trade“ in den
letzten Jahren schon viel bewegt worden, auch auf der Berlin Fashion Week und ihren Ablegern. Aber irgendwie sind es immer noch eher Slogans , die hauptsächlich von ohnehin umwelt- und verantwortungsbewusste Bürgerinnen und Bürger wahrgenommen werden – “Fair Fashion” muss endlich ein mainstream-tauglicher Trend werden.
Und das können nur wir als Kundinnen schaffen. Wir haben die Macht, die Dinge wirklich zu verändern. Es sind wir, die wir es uns zur Aufgabe machen müssen, die Botschaft hinauszutragen in unseren Alltag.
Unsere Kinder, unsere Jugendlichen und ihre Cliquen, sie alle müssen es hip und cool finden, an einer großen Veränderung teilzunehmen, ja, sie zu verantworten. Und weil es so ist, dass wir Frauen besonders gut für Aufklärung- und Überzeugungsarbeit geeignet sind, sollten wir Frauen einfach vorangehen – und dabei natürlich jeden erreichbaren Mann an unsere Seite holen.
Was man selbst tun kann
Reden ist gut, handeln ist besser. Und es ist ganz einfach: Bei jedem Kauf einer Klamotte in dem Laden nach einem Gütesiegel fragen und wenn die Marke keines hat, das Teil wirklich nicht kaufen. Insgesamt weniger kaufen, dafür aber hochwertige Sachen. Generell keine Billigware mehr kaufen, deren Hersteller wollen sowieso nicht, dass wir lange Freude daran haben. Im Gegenteil, wir sollen schnell was Neues kaufen.
„Fast Fashion“ ist einer der überflüssigsten Modetrends, die es je gab. Warum jedem Trend hinterher hecheln? Wie viel cooler und selbstbewusster ist es doch, seinen eigenen, unverwechselbaren Stil zu suchen und zu finden und unseren eigenen Rhythmus, wann wir unserer Garderobe etwas Neues hinzufügen wollen.
Es ist übrigens überhaupt nicht so, dass ich etwas gegen Mode habe. Ich liebe die Kreativität der Designerinnen und Designer, ich liebe gute Materialien, gute Machart, schöne Schnitte. Aber: Ich habe mich schon als Chefredakteurin von ELLE keinem Modediktat unterworfen und in den vergangenen Jahren, in denen ich über ein eher normales Einkommen verfüge, habe ich meinen Konsum an Kleidung noch weiter zurück geschraubt und bin seit Jahrzehnten meinen speziellen Hippie-Stil treu, lange bevor er wieder Mal Trend wurde.
Schreibt die Unternehmen an!
Um meinen kleinen Teil zur Bewusstseinsveränderung beizutragen, habe ich mir eine Extra-Aktion ausgedacht, die zwar ein bisschen zeitaufwendig ist, die aber jede von uns machen kann: Ich habe in meiner Kleiderkammer aufgeräumt und alle Etiketten mit den Namen auf der Liste der 190 Mitglieder des Textilbündnisses verglichen: acht habe ich in der Liste gefunden, zehn nicht! Ich habe die Teile mit meinem iPhone fotografiert, die E-Mail-Adressen und die Namen der Chefinnen bzw. Chefs gegoogelt und denen eine Mail geschickt mit freundlich aber bestimmt formulierten Fragen, unter welchen Bedingungen die von ihnen verkaufte Kleidung hergestellt wird. Und ich habe mich sehr gut dabei gefühlt.
Ihr könnt bei mir gern unter bw@thenewafrica.info oder als Kommentar unter diesem Text eine Mustermail anfordern, schick ich Euch gern. Und hier findet Ihr zum Nachschauen die Liste der Textilbündnis-Mitglieder.
Frauen für Frauen
Und dann habe ich aber gedacht: Lasst uns doch was Größeres zusammen machen: FRAUEN FÜR FRAUEN. Warum gehen wir nicht alle im Herbst, wenn die nächste trendige Ware aus Bangladesch, Indien, Pakistan etc. in den Läden angekommen ist, in denen die Marken verkauft werden, die immer noch UNFAIR produzieren, an einem bestimmten Samstag zu einer bestimmten Uhrzeit dorthin?
Ich meine nicht einfach nur wir hier in der Community von Edition F, sondern WIR, ZU TAUSENDEN. Wir mit unseren Freundinnen, unseren Schwestern, unseren Müttern, unseren Töchtern, unseren Kolleginnen und unseren Nachbarinnen. Ganz harmlos suchen wir uns ein entsprechendes Billigteil aus, gehen an die Kasse und KAUFEN NICHT, sondern pfeifen einmal spitz in ein Trillerpfeifchen und oder so. Das ist nur so eine erste Idee. Was haltet Ihr denn davon?
Leider ist mir das alles erst nach der Diskussion mit Minister Müller eingefallen, aber ich werde ihn demnächst fragen, ob er mitmacht. Wir sind jedenfalls nach der Diskussion mit dem Minister hoch motiviert auseinander gegangen, und haben auch bei Jörg Wichmann, dem Geschäftsführer der „Panorama” Fashion Fair hinterlegt, dass wir es alle eine gute Idee finden, wenn die „Berlin Fashion Week“ mit all ihren Ablegern und Veranstaltungen DIE Vorreiterin unter den großen Modemessen der Welt wird – sozusagen als die FIRST FAIR FASHION FAIR. Ist auch noch ein schönes Wortspiel: FASHION FAIR = FAIR FASHION.
Lasst uns doch nach den Sommerferien weiter reden und planen. Ich freu mich drauf.
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Hier eine sehr informative interaktive Seite über eine Textilarbeiterin in Indien und eine deutsche Modestudentin und wie sich beider Leben verändert hat,
seitdem sie voneinander wissen: www.vero-selvie.de
Hier mehr Informationen über die aktuelle Kennzeichnung von fair
hergestellter Kleidung: www.siegelklarheit.de
Hier mehr Informationen über die Ziele und Aktivitäten des
Textilbündnis: www.bmz.de
Und hier der Link zur #wwwedekind Gruppe WE_NOW WomenEmpowermentNow: https://www.facebook.com/groups/wenow.wwwedekind/
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