Vier Berliner Kinos, 200 Filme an sieben Tagen, ein 48-Stunden-Filmprojekt, eine Ausstellung, Konzerte, Partys und vieles mehr: Das Lichtspielklub Kurzfilmfestival “British Shorts” findet vom 12. bis zum 18.01.2017 zum zehnten Mal in Folge statt. Grund genug, sich einmal mit den Verantwortlichen zu unterhalten und Revue passieren zu lassen.
Erst einmal möchte ich euch zum zehnjährigen Jubiläum gratulieren! Mein denkwürdigster “British Shorts”-Moment war das Q & A zu „Over & Over“ im Acudkino vor zwei Jahren. Ich hatte einen aufregenden Abend mit der Crew und durfte Jack Bond, den „most irresponsible man on God’s earth“ kennenlernen. Welches Ereignis ist euch in besonderer Erinnerung geblieben?
Andrea: Das ist eine schwere Frage. Zehn Jahre sind eine lange Zeit. Spontan erinnere ich mich aber an einen großartigen Ausflug mit dem Festival im Mai 2009 nach Budapest: Das Wetter war grandios und wir haben im Badehaus Szimpla Open Air-Screenings durchgeführt. Immer schön sind auch die “British Shorts”-Summer Screenings im Freiluftkino INSEL im Cassiopeia. Das ist eine Zusammenstellung unserer Lieblingsfilme und ein Querschnitt aus dem jeweiligen Festivalprogramm des Jahres. Mit über 400 Besuchern ist das Open Air unterm Sternenhimmel ein tolles Erlebnis, insbesondere weil man die Reaktionen des Publikums direkt mitbekommt.
Julia: Ich rede gerne mit den FilmemacherInnen und freue mich jedes Mal, wenn sie strahlend aus dem Screening ihres Films kommen. Mein Favorit bei den von mir geführten Q & As war das Interview im Anschluss an die Robert Morgan-Retrospektive. Morgans Filme sind einzigartig.
Vor zwei Jahren habe ich mich mal in das Midnight Movies-Screening geschlichen. Es war ein hartes Screening, das den Leuten viel abverlangt hat, weshalb sie im Anschluss mit Wodka für lau belohnt wurden. Ich habe selten so viele direkte Reaktionen während einer Vorführung erlebt. Die eine Hälfte schrie vor Ekel und die andere lachte als Übersprungshandlung über Erstere. Ein Traum!
Im Laufe der Jahre habt ihr Hunderte, wenn nicht Tausende Kurzfilme gesichtet und präsentiert. Im Rahmen mehrerer Screenings stellt ihr dieses Jahr die Gewinner der Jury und Audience Awards 2012 – 2017 vor. Welches waren eure Highlights in den vergangenen Jahren und warum?
Oliver: Da gab es so viele! „Pouters“ (Jury Award 2014), „A Morning Stroll“ (Audience Award 2012), „Gelato Go Home“, „The Voorman Problem“ (mit Martin Freeman!) sind nur ein paar meiner Highlights.
Julia: Ich bin ein sehr großer Fan von Rachel Tunnards „Emotional Fusebox“ (Gewinner des Audience Awards 2015) mit Jodie Witthaker und Edward Hogg, den die Regisseurin übrigens zu ihrem Langfilm-Debüt weiterentwickelte, welches 2016 in Großbritannien ins Kino kam. An diesem Film liebe ich die witzigen und großzügigen weiblichen Hauptrollen: Großmutter, Mutter und Tochter bilden ein urkomisches Trio. Ein nur im ersten Augenblick leichtherziger Film, der in allen Details großen Spaß macht – was fürs Herz und zum Lachen!
Andrea: Ein filmisches Highlight war für mich auf jeden Fall die animierte Dokumentation „Abuelas“ (British Shorts 2013). Der Film über die Gräueltaten während der argentinischen Diktatur ist eine Mischung aus Animation und Real-Film und hat mich thematisch tief berührt. Und er hat technisch eine spannende und neuartige Erzählweise für dieses ernste und traurige Thema gefunden. Gut im Gedächtnis geblieben ist mir auch das teil-animierte Drama „Momster“ (British Shorts 2010) von Steven Spencer, in dem es um ein kleines Mädchen geht, das von seinem Vater geschlagen wird und sich einen großen helfenden Freund imaginiert. Oder aber Judy Dench in der wunderbaren Komödie über Onlinedating „Friend Request Pending“ von Chris Foggin aus dem Festival 2012. Ein wirklicher Publikumsliebling bei der damaligen Festivaleröffnung im HBC!
Angefangen habt ihr 2007 mit ein paar Filmen an zwei Tagen im General Public und im Moviemento, mittlerweile dauert das Festival knapp eine Woche und findet neben dem Festivalzentrum im Sputnik Kino auch im Acudkino, im City Kino Wedding und im Kino Zukunft statt. Was hat sich sonst noch verändert?
Jürgen: Das Festival ist jedes Jahr ein bisschen größer geworden. Das ist eigentlich schon die größte Veränderung. Wir planen und organisieren es immer noch genauso wie am Anfang. Das Festival ist von Anfang bis Ende DIY und die Leute, die das Programm kuratieren, sind auch diejenigen, die Karten abreißen oder nach der Vorstellung den Müll aufräumen. Aber natürlich probieren wir auch immer wieder etwas Neues, zum Beispiel mit neuen Programmen wie einer Stand-up-Comedy-Show, mit Ausstellungen oder mit neuen Spielorten. Was sich über die Jahre außerdem verändert hat, ist das Feedback aus Großbritannien und Irland. Wenn wir Leute fragen, ob sie ihren Film einreichen möchten, haben sie oft schon von unserem Festival gehört. Und da sie anscheinend viel Gutes gehört haben, kommen auch immer mehr FilmemacherInnen nach Berlin, um ihren Film persönlich vorzustellen.
Abgesehen von Medienpartnerschaften und Kooperationen mit anderen Berliner Kinos arbeitet ihr komplett unabhängig und verzichtet auf die Unterstützung von Sponsoren. Habt ihr schon mal überlegt, eine Crowdfunding-Kampagne zu starten, um mehr finanzielle Mittel zu generieren?
Jürgen: Wir verzichten bewusst darauf, das Festival von Sponsoren abhängig zu machen. Wir machen lieber, was wir wollen, und müssen dafür niemandem Rechenschaft ablegen. Klar, wir haben kein großes Budget, auch weil wir im Gegensatz zu den meisten Festivals keine Einreichgebühr von den FilmemacherInnen verlangen. Aber solange genügend Zuschauer kommen, funktioniert es. Der einzige Nachteil ist tatsächlich, dass wir FilmemacherInnen, die aus Großbritannien oder Irland anreisen, nicht einladen können. Das ist schade. Zum Glück profitieren wir davon, dass wir in einer beliebten Stadt wohnen und die FilmemacherInnen ihren Festivalbesuch immer gerne mit einem Berlintrip verbinden. Über Crowdfunding haben wir auch schon mal gesprochen, die Idee aber wieder verworfen. Für uns ist das zu betreuungsintensiv. Wir machen das Festival zum Spaß und haben tagsüber andere Jobs. Da bleibt einfach keine Zeit, sich um eine solche Kampagne zu kümmern.
Euer Rahmenprogramm besteht wie jedes Jahr aus Partys, Konzerten, einer Retrospektive, dem beliebten Open Screening, einem zweitägigen Workshop und einer Ausstellung. Welchen Stellenwert nimmt das Rahmenprogramm in der Planung ein und in welchem Bezug steht es zu den Filmen, die ihr im Rahmen des Festivals zeigt?
Jürgen: Unsere Grundidee war immer, genau das Festival zu machen, das wir uns als Festivalbesucher wünschen würden. Dazu gehört auf jeden Fall, dass der Besuch für die Leute nicht vorbei sein muss, wenn sie aus der Vorstellung kommen. Im Anschluss an die Screenings können sie sich zum Beispiel noch in der Bar mit den Filmemachern unterhalten oder ein Konzert besuchen. Sie können sich die Ausstellung ansehen, beim Open Screening selbst Filme zeigen oder im Rahmen des Workshops aktiv werden und Filme drehen. Das Rahmenprogramm ist uns also enorm wichtig.
Soziale Fragestellungen, kulturelle Differenzen und die Genderproblematik haben einen festen Platz im Festivalprogramm. Im Rahmen der Documentary-Specials laufen dieses Jahr fünf Filme, die sich mit dem Thema Flucht auseinandersetzen. Das Workshop-Wochenende, zu dem sich FilmemacherInnen kostenlos anmelden können, steht unter dem Motto „Crossing Borders“. Ist es euch wichtig, Filme ins Programm aufzunehmen, die von aktuellen gesellschaftlichen und politischen Ereignissen beeinflusst sind?
Jürgen: Das Thema eines Films ist nie das bestimmende Kriterium, ihn ins Programm zu nehmen. Letztlich muss es zuallererst ein sehr guter Film sein. Trotzdem kann man schon sagen, dass uns einige wie die von dir genannten Themen sehr wichtig sind. Das geht unseren Filmemachern offenbar genauso, da sie sich in den letzten zwei bis drei Jahren viel stärker mit dem Thema Flucht beschäftigt und entsprechend mehr Filme zu diesem Thema eingereicht haben.
Der diesjährige Workshop ist in gewisser Weise eine Reaktion auf die Brexit-Entscheidung. Wir haben John Digance, einen der beiden tollen englischen Workshop-Dozenten, beim London Film Festival getroffen und er war – wie wir auch – bestürzt angesichts des Ergebnisses der Abstimmung und den Folgen wie zum Beispiel dem neuen Alltagsrassismus in Großbritannien. Andrea hat ihm dann vorgeschlagen, sich im Rahmen des Workshops mit diesen Problemen zu beschäftigen.
Auf welche Filme oder Screenings freut ihr euch besonders? Habt ihr schon einen geheimen Favoriten?
Julia: Das bleibt erst mal mein Geheimnis, aber den einen Favoriten gibt es nicht. Die Mischung macht’s, und weil wir im Großen und Ganzen auf Themenscreenings verzichten, wird diese Mischung ziemlich gut.
Oliver: Das Screening am Freitag 20 Uhr und die diesjährige Retrospektive mit frühen Kurzfilmen von aktuellen britischen Regie-Stars!
Andrea: Dieses Jahr haben wir viele Filme mit politischer Aussage, wie etwa die beiden Dramen von Daniel Mulloy „Home“ und „Atis“, in denen es um Flucht, Vertreibung, sexuelle Ausbeutung und Armut geht. Aber auch zig tolle Comedy Filme wie „The Chop“ oder Animationen wie „The Wisdom of Pessimism“ sind lohnenswert. Einen einzigen Favoriten habe ich auch nicht. Ich bin gespannt auf den 48-Stunden-Workshop zum Thema „Crossing Borders“, auf die Fotoausstellung des Ex-Lkw-Fahrers Peter Mitchell und auf die vielen netten Gespräche mit Gästen und FilmemacherInnen in der “Britih Shorts”-Bar im Sputnik Kino.
Vielen Dank für das Interview! Wir sehen uns dann zur Festivaleröffnung am 12.01.2017 im Acudkino!
Hier geht es zum Festivalprogramm: www.britishshorts.de
Dieses Interview ist zuerst auf Notizen am Rande erschienen.