Unsere Community-Autorin Tatjana warnt: Wer die Personalsuche an Programme delegiert, gibt zu viel persönliche Verantwortung ab.
Zwischen Nullen und Einsen:
Algorithmen sind aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Sie berechnen, was wir kaufen oder suchen, sie finden den idealen Mitarbeiter, die passende Mitarbeiterin. Xerox zum Beispiel überließ einem Rechner die Auswahl und Einstellung von Callcenter-Mitarbeitern. Das Programm deckte alles ab: vom Onlinefragebogen, der auf die gesuchten Eigenschaften testet, bis zum Matching des passenden Kandidaten. Bewerber mit mehr als zwei Accounts in sozialen Netzwerken wurden ausgesiebt, sie werden mit Jobhopping assoziiert. Der Personalmanager drückt zum Schluss noch die Enter-Taste und der Prozess ist beendet.
Der Unterschied macht‘s
Während sich seit Jahrzehnten die Mitarbeiter in der Produktion längst mit
Industrierobotern arrangiert haben, weisen nun regelmäßig Studien aus, dass in
den kommenden Jahren die Bürotätigkeiten durch Roboter und Big Data in Gefahr sind.
Bisher werden Algorithmen mit Hilfe bekannter Daten angelernt. Entspricht man nicht den Parametern, findet man keine Beachtung. Unternehmen arbeiten bereits an selbstlernenden Systemen, die autonom aus großen Datenmengen eigenständige Schlüsse ziehen. In den nächsten Jahrzehnten, so Experten, sind Millionen Wissensarbeiter weltweit durch Wegfall ihrer Jobs betroffen.
Doch es gilt innezuhalten. Noch hat keine Maschine eigenständig eine Idee
entwickelt, angeregt oder in der Interaktion umgesetzt. Bis heute ist das
menschliche Gehirn in der Komplexität von Denken und Handeln nicht vollständig erforscht. Umfassende und schwierige Themen zu verstehen und zu lösen, ist immer noch den Menschen vorbehalten. Das sind die Jobs, die nicht dem Automatisierungswahn unterliegen: Tätigkeiten, in denen die soziale Intelligenz im Umgang mit Menschen gefragt ist oder solche, die Kreativität erfordern. Aber auch Berufe, die in komplexen Umgebungen das richtige Handeln erfordern und verlangen, auf Unvorhergesehenes reagieren zu
können.
Gesprächspartner Mensch oder Roboter?
Um Personalentscheidungen frei von Vorurteilen, Klischees oder Benachteiligungen zu treffen, müssen nicht gleich Roboter interviewen. Wer
möchte schon von einer Maschine eingestellt werden? Automatisierte Verfahren erscheinen dann sinnvoll, wenn es darum geht, einen rational strukturierten Prozess zu erreichen, und um eine Auswahl rein nach Bauchgefühl zu vermeiden. In den meisten Unternehmen werden immer noch Berufscharaktere gepflegt, die darauf konditioniert sind, das Bekannte gut zu können, statt an Neuem und Unbekanntem zu arbeiten. Die oft erwähnte Diversität bleibt nur eine Verschleierung eines hohen Maßes an Homogenität in der Personalauswahl. Für Vielfalt im Unternehmen bedarf es mehr:
Querdenker, Menschen mit „krummen“ wie mit geradlinigen Lebensläufen,
Branchenkenner und Seiteneinsteiger, junge Absolventen und
Berufserfahrene. So ein Mix entsteht nur, wenn Stereotype und Vorurteile in der Vorauswahl in Zukunft immer mehr verschwinden.
Digitalisierung ist kein Allheilmittel
Frei von jeglicher menschlicher Kommunikation wird der Mensch als bedeutendste Ressource in den Unternehmen einem Algorithmus überlassen. Der ideale Mitarbeiter jedoch wird mit Kreativität und Individualität gefunden. Dieser Prozess ist nicht frei von Einsatz und Leistung – für beide Seiten. Einstellungsgespräche sollten situations- und verhaltensbezogen geführt werden. Das Mehraugenprinzip bei der Einstellung ist besser und objektiver als die Entscheidung eines Einzelnen. Auswertungs- und Bewertungsschemen können den Entscheidungsprozess unterstützen. Datenbasierte Verfahren sollten das Management von Personal nicht ersetzen, sondern bei der Arbeit dienen. Wer automatisierte Anwendungen einsetzt, sollte sie im Vorfeld testen, nicht nur auf Funktionalität, sondern besonders im Hinblick auf eine Kundenbeziehung.
Einige Unternehmen gehen sogar einen Schritt weiter und überprüfen regelmäßig die Vita der abgelehnten Bewerber – ob man einen idealen Kandidaten übersehen hat. Eine Mühe, die sich lohnen kann. Technologie allein ist noch nicht die Lösung für den digitalen Wandel, sondern es ist vielmehr ein Werkzeug. Zu Recht stellt der Wissenschaftsautor Ulrich Eberl fest: Im Kern geht es um das Selbstverständnis, wer wir sind, was wir wollen und was uns künftig von intelligenten Maschinen unterscheidet.
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