Foto: Erephas - Flickr – CC BY 2.0

Schweigt nicht, denn erst dann verändert sich etwas!

Kesha, Gina-Lisa und die von Brock Turner vergewaltigte Studentin aus Stanford haben eines gemeinsam: Ihre Geschichten verändern die Art, wie über sexualisierte Gewalt diskutiert wird.

 

Das Ausmaß

Für mich heißt es, Zähne zusammenbeißen, die Tränen verkneifen und weiter lächeln. Immer, wenn ich diese Artikel lese, die von dem handeln, was mir auch passiert ist, und das ist in letzter Zeit nicht grade selten.

Für mich heißt es, diese eine Nacht wieder zu durchleben, diese 20 Minuten, die mit vorkamen wie eine Ewigkeit. Wie ein dunkler Tunnel, nur dass am Ende kein Licht ist, das da niemand wartet. Ein Tunnel der Dunkelheit, der nie endet.

In den Medien würden sie mich vielleicht eine „Überlebende“ nennen, eine „Kämpferin“ oder einfache ein Opfer. Aber eigentlich bin ich nur Leyla. Ich war Leyla, ein glückliches, naives kleines Mädchen. Manchmal vielleicht zu naiv, was mir später noch viele schlaflose Nächte bereitet hat. Dabei fing alles ganz harmlos an, ein Kompliment, eine nette Berührung. Flirten hätten es wohl Außenstehende genannt, nur das selbst zu flirten nicht okay gewesen wäre. Das weiß ich heute. Verhältnis zu Schutzbefohlenen nennt man das. Was juristisch hart klingt, war für mich an Anfang eigentlich bloß Freundschaft. Es war ein Mann, der mich verstand, mir zuhörte und bei dem ich mich wohl fühlte. Ich hatte in der Schule nie wirklich viele Freunde, da war ich froh um einen, der mich wertschätzte, der für mich da war. Das ich damals 14 war, sage ich nur zu euch, auch wenn es eigentlich nicht wichtig gewesen wäre. So jung, so unterfahren, so naiv. Dabei war ich doch sonst immer einer der helleren Köpfe, einer, der alles schnell verstand und einer, der auch sonst hätte sowas vorher sehen müssen. 

Die Folgen

„Hätte“, ja, ich hätte es wohl wissen können, vielleicht wollte ich es damals auch nicht sehen, hab die Augen verschlossen und mir immer wieder eingeredet, es sei schon okay. Das auch da schon eine Grenze weit überschritten war, ist mir erst jetzt bewusst. Ist mir bewusst, wenn ich nachts nicht einschlafen kann, wenn mich Albträume plagen, wenn ich grundlos weine, wütend bin oder einfach nicht weiter weiß. Lange war ich leer, ich weiß nicht wie ich es anders beschreiben soll. Aber es war einfach nichts in mir. Ich habe gelebt, Tag ein, Tag aus, aber gefühlt habe ich nichts. Ich hab mein Leben gesehen aus einer dritten Perspektive, als würde ich mir selber zuschauen. 

Heute weiß ich, dass es reiner Selbstschutz ist. Schutz des Gehirns, Schutz meines Körpers, damit ich den Schmerzen Stand halten kann.

Die Gesellschaft erwartet immer, dass man stark ist, dass man damit schon fertig wird. Oft genug liest man, dass diesen „Opern“ und „Überlebenden“ nicht geglaubt wird.

Der Polizei trauen?

Fragt ihr euch jetzt, ob ich zur Polizei gegangen bin? Das Schwein angezeigt habe? Er seine rechte Strafe bekommen hat?

Wie gerne würde ich „Ja!“ rufen, es in die Welt hinaus schreien. Aber das wäre gelogen, und gelogen und mich verstellt habe ich schon lange genug. Ich war zu feige und ich hatte Angst, panische Angst. Selbst heute, knapp fünf Jahre später kann ich noch nicht darüber reden und was würde die Polizei jetzt noch anders machen? Gar nichts.

Die Art, wie über sexualisierte Gewalt geredet wird, hat sich verändert. Menschen teilen ihre Geschichten, ihnen wird öfter geglaubt. Und das ist auch gut so! Wir müssen darüber reden, wir müssen ehrlich sein und auch die Menschen zu Wort kommen lassen, die unter dieser Gewalt gelitten haben. Deswegen schreibe ich hier, damit sich etwas ändert. Damit man die Augen öffnet, auf Signale schaut und Hilfe bietet. Damit es nicht wieder passiert, damit ich nicht wieder passiere. Ich bin Leyla, ob ich stark bin weiß ich nicht, auch nicht, ob ich wirklich überlebt habe. 

Aber eins weiß ich, und das ist die Tatsache, dass so etwas nie wieder geschehen darf! Niemandem.


Titebild: Erephas – Flickr – CC BY 2.0

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