Foto: Anja Poeschke

Eine Burg, ein Wort – Schönheit

Meine Auszeit verlege ich gern ins Mittelalter. Da kann ich den Begriff der Auszeit auch wahrnehmen.

 

Den heutigen Nachmittag gönne ich mir allein. Ich suche mir
eine nahe gelegene Sehenswürdigkeit. Und zwar eine Burg. Ich habe derzeit einen Drang danach, Burgen zu besuchen. Ich verinnerliche die Geschichten, die diese Bauten in sich tragen, von denen die Bilder erzählen. Diese Neugier, was eine auserwählte Burg an Schätzen verbirgt. Die Schönheit, die sich innen auftut. Reichtum, Geschichte, Gerüche…

Ich gebe mir die Adresse in das Navigationssystem ein. Ich
fahre los, mein derzeitiges Lieblingsalbum läuft. Das Wetter wird besser. Es
gab heute Regen und sehr grauen Himmel. Es ist Juni, das Wetter herrlich
erfrischend, dieses Jahr ist es nicht zu heiß.

Der Weg

Der Weg führt mich über die schnellste Route. Meistens ist
dies ja die Autobahn. Da ich auf dem Hinweg stets ungeduldig das Ziel erreichen möchte, weil meine Neugierde auf das begehrte Objekt stark ist, nehme ich auch die schnellste Route.

Die Anfahrt führt noch einen Rest durch verträumte Ortschaften, bis ein Waldgebiet kommt, was eine Burg erahnen lässt. Ich bin gerademal
20 Minuten unterwegs. Und ich hatte keine Vorstellung davon, wie schön es hier ist. Ich schalte die Navigation aus, denn ich befinde mich auf einer sich inzwischen stark schlängelnden Straße.
Wie eine Mäander legt sich der Weg vor mir ab. Ich bin mir des Weges sicher,
auch trotz weniger werdenden Hinweisschildern und Autos. Es kann nur der Weg zur Burg sein, denn eine Burg liegt ja in der Regel hoch. Sie liegt als
Schutz erhaben über dem Land, das sollte also der richtige Weg dahin sein. Kein Mensch hier, das Musikalbum läuft leiser, damit ich die Vögel zwitschern höre, beide Autoscheiben herunter gelassen.

Der Wald ist majestätisch. Die Sonnenstrahlen durchziehen
die satt grünen extrem hohen Bäume. Farn gibt ein fast neongrünes Licht ab. Ich rieche und höre die Natur und vernehme nur das Motorengeräusch meines Autos.

Der Ort

Ich erreiche den Ortseingang. Da ist sie. Die Burg liegt am
Ende der sich vor mir auftuenden Straße. Zwei Bäume verdecken  Ihren Schützling. Ich kann nur Türme und das Dach sehen, aber die Schönheit erahnen. Die Steine pflastern den Weg. Der Himmel erstrahlt mit satten weißen Wolken in königlichem Blau.

Ich parkiere außerhalb der Ortschaft, wie mit einem
Hinweisschild empfohlen wird. Ich ziehe meine Regenjacke über. Der Himmel lässt seine Wolken etwas hängen, da kommt noch Regen. Meine Schuhe werden der Nässe nicht standhalten. Es ist schwül. Der leichte Wind tut sehr gut.

Ich hänge meine Kamera um den Hals und mache bereits vom Tal
vor mir einen Schnappschuss. Herrlicher Himmel. Etwas wild. Ich laufe 2 km. Der Ort ist klein. Ich gehe einen Feldweg, vorbei an den ersten Wohnhäusern
des Ortseinganges, gefolgt von einem hübschen Schulgebäude aus dem Jahr 1902 im Stil der Neurenaissance.

Das Ziel

Die Kirche ist nah, die Burg ist zu erahnen. Den höchsten
Punkt habe ich erreicht. Ein Paar wäscht sich am Brunnen die Gesichter und sie strecken die Beine aus. Vermutlich sind sie den Waldlehrpfad hinauf gekommen, der ist recht streng. Ich schaue hinter der Mauer herunter. Die Kirche lasse ich heute aus. Ich besuche gern eine Kirche im Sommer, wenn es mir zu heiß wird. In einem Kircheninneren kann ich mich stets wunderbar kühlen. Heute naht noch Regen, eine Kirche lockt mich nicht.

2 Kilometer, schnell und ungeduldig abgelaufen, aber schon vom
Dorfkern beeindruckt. Da steht sie vor mir – das begehrte Objekt, die
Schönheit, die Perle inmitten des beeindruckenden Waldes. Oberhalb vor mir ragt sie heraus, im Wettkampf mit einigen Baumwipfeln.

Da ist wieder das Gefühl, was ich so begehre. Die Neugier
wird gleich gestillt, die Kamera hält nicht mehr still und nimmt heute ganz sicher über 100 Bilder mit heim. (Zwei andere Burgen eröffneten mir an einem Tag 455 Motive.)

Ich laufe durch das stolze Tor. Mauern, Steinernde Wände, Holz….endlich spüre ich die Erhabenheit dieses Geschöpfes. Es ist ein Gebäude, aber es spricht Geschichte – das kann nur ein Geschöpf sein. Farbige Malerein, goldige Fenstergitter.

Die Burg zeigt Ihr Gesicht

An der Kasse zahle ich meinen Eintritt und laufe in die nächste offene Tür hinein. Stimmen aus einer Lautsprecheranlage ertönen. Ich
befinde mich im Mittelalter, in einer Küche, wo gekocht wird. Kinderlachen,
Geschirr klimpert, das Gemälde vor mir beeindruckt mit einer Geschichte aus der Küche, wie sie damals gewesen sein könnte. Gewürze und Kräuter erfüllen den Raum, vermischt mit dem typisch modrigen Geruch, der in solch alten Gemäuern immer wieder parat steht, um Besucher in diese Welt einzuhüllen. Ein Geruch, der verfolgt und spüren lässt, wie alt alles ist.

Ich verharre lang, ich höre Uhrenticken, ich bin allein. Schöne Fenster. Ein
Paar läuft bereits die Stufen hoch, sie haben es eiliger.

Ich gehe eine schmale Treppe in die erste Etage hinauf.
Arbeitszimmer und Schlafgemach, diverse andere verwinkelte Zimmer, ein Archiv, welches ich nicht betrete aufgrund der Enge. Die Menschen aus dem 17.
Jahrhundert, aus dem die Geschichten in dieser Burg stammen, waren wesentlich kleiner. Mich beeindrucken bereits erste Berichte, die ich an den Tafeln lese.

Es gibt viele schöne Kachelöfen, Geschirr und ein Waffenlager,
Ritterausrüstungen und Reisetruhen, Betten, viel zu klein für mich, Webe- und
Spinnzimmer, Wohnzimmer, Schachspielzimmer, Gemälde  von Menschen.

Ich lese viel und verinnerliche einige Geschichten.

Ein Gewitter macht es komplett

Ich laufe wie ein neugieriges Kind jeden Treppenaufgang  ab und finde mich vor dem Turmaufgang wieder.
Ich schaue etwas verunsichert hinauf, es heißt, auf der Wand gemalt „Nach dem Turm und den Gefängnissen“. Ein Dachboden, ich muss mich etwas ducken. Das Holz knarrt. Ein Schlafbereich, spärlich eingerichtet. Tiere wurden nachgestellt, die im Dachboden wohnten. Ich hätte nachts zum Schlafen kein Auge zugetan.

Ich wage mich, nicht besonders zutraulich, ganz hinauf, denn
ich möchte die Burg bis nach oben schaffen. Mein Ziel erreichen und zufrieden
sein. Dazu brauche ich Mut, denn es kommt ein Gewitter auf und ich bin dort
allein. Der Museumswärter kommt die letzte Steige von oben herab. Ich
erschrecke mich jedoch nicht (dies hat die nach mir knirschende Treppenstufe
bereits getan…). Und der Museumswärter hatte einen extra wohlwollenden Gang, dass ich mich nicht erschrecken muss.

Er bittet mich, wenn ich mein Foto gemacht habe,den letzten Fensterladen zu schließen. Ich schaue heraus und wundere mich nicht mehr, weshalb. Ein wolkenbehangener, furchteinflößender Himmel zog über
die Türme. Das tiefe Blau und die weißen hübschen Wolken verschwanden. Dies
passt genau zur Räumlichkeit, in der ich mich befinde. Wind kam auf, der Regen
platzt auf die Dächer. Ich höre die Tropfen, allein oben im Dachboden. Schaurig
schön, weil es das Ambiente perfekt macht. Und doch bin ich zügig daran, das Fenster mit dem Fensterladen zu verschließen. Ich bewundere die Schließtechnik. Wie nett von dem Mueseumswärter, mir das letzte Fenster für einen Blick nach draussen offen zu lassen. Ich  berühre das schöne Holz aus dem die kleinen Gefängnistüren gemacht wurden.

Ein Donnerschlag, ich höre auch die im Erdgeschoss feiernden Gäste nicht mehr. Ich wähle den schnellsten Gang hinunter.

Die restlichen Räumlichkeiten führen mich sicheren Weges in ein helles Licht und schließlich erreiche ich den inzwischen verregneten, aber
tröstenden Innenhof. Ich möchte verweilen. Aber das Wetter ist nicht einladend. Und doch lasse ich von diesem Flair ungern los.

Es gab schon schönere Innenhöfe von anderen prahlenden Burgen. Ich
sollte es für heute genießen, wie es ist.

Ich laufe hinab zum Rosengarten. Doch der Regen wird so
stark, dass ich den gar nicht mehr betreten darf, das Gartentor ist bereits
verschlossen.

Mein Heimweg

2 Kilometer Rückweg zum Parkplatz. Meine Schuhe haben nicht
durchgehalten, ich fühle das Wasser. Ich laufe ohne Schirm, etwas zügig, aber
glücklich und beeindruckt. 134 Fotos in der Kamera. Für den Heimweg wähle ich einen anderen Weg über Land, ohne Autobahn. Das passt hier nicht mehr rein. Ich bekomme als Belohnung eine kleine Brücke über einem reißenden Fluß.

Ich lasse die Autoscheiben herunter, fahre 30 km/h. Eine mit Pferden bespannte Kutsche passte hier besser ins Bild. Ich höre die Natur, ich höre das Vogelzwitschern und die Regentropfen. Die Bäume stehen erhaben am Straßenrand und erzählen leise Geschichten. Das Tal liegt tief unter der sich schlängelnden Straße. Ich versuche, einen Blick auf die Burg von dieser Seite aus zu erhaschen, aber auch hier umschließen die Bäume ihren Schützling.

Der Himmel gibt nochmals sein majestätisches Blau, die weißen Wolken strahlen erneut, das Gewitter ist vorbei gezogen.

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