Viel wird heute über Elternschaft geschrieben: über neue Väter und Mütter, die entweder Karriere machen oder sich in einem klassischen Rollenmuster wohlfühlen. Barbara findet: Genug davon! Sie würde viel lieber mehr über Formen von Elternschaft erfahren, die erst seit kurzem überhaupt auf den Radar der Öffentlichkeit geraten.
Es gibt ganz neue Formen von Elternschaft zu entdecken
Es wird über Mutterschaft reflektiert, die jetzt bereut wird, gestern noch begeisterte. Alles, was herkömmliche Elternschaft berührt, wird gerade in Deutschland beschrieben und betextet. Liebe Eltern, es war schön euch zu hören, und jetzt seid doch einfach mal still! Denn es ist Zeit mal die wirklich neuen Formen der Elternschaft zu entdecken!
Kinder erziehen ist eine Herausforderung. Eltern schreiben gerne darüber. Zurzeit besonders in Deutschland. Denn hier ist die Elternschaft, mehr als in anderen europäischen Ländern, im Umbruch. Neue Rollen werden aus- und anprobiert. Mütter gehen jetzt arbeiten, Väter bleiben auch mal zu Hause. Wir verabschieden uns gerade von den herkömmlichen Elternrollen. Wir probieren neue Rollenmuster aus. Deutsche Frauen wollen nicht mehr nur die gute Glucke sein, sie outen sich heute als Rabenmutti. Sie gehen arbeiten und verfluchen schon mal die Bälger. Andere verneinen mutig die Mutterschaft. Die Männer in Deutschland hängen auch mal die Rolle des Alleinverdieners an den Nagel. Versuchen sich dafür als sorgenvoller Vati, der die Kinder von der Kita abholt und zum Schwimmunterricht begleitet. Mami ist jetzt mal böse, Papi lieb.
Oder umgekehrt. Und das ist auch gut so. Wir probieren das aus. Wir sind mutig. Wir betreten neues, ungewohntes Terrain. Das Bedürfnis, sich auszudrücken und auszutauschen, ist im Moment besonders groß. Verständlich. Über herkömmliche Elternschaft in neuen Rollenmuster schreiben steht hoch in Konjunktur. Aber irgendwann ist es genug. Jetzt!
Es gibt eigentlich genug Text
Aber nein, ich werde euch jetzt nicht mit meinen Texten zur alten Elternschaft in neuen Rollen quälen. Es gibt eigentlich schon genug davon. Romane, Kurzgeschichten, Kommentare, Reportagen. Die Textwelt ist voll von herkömmlichen Müttern und Vätern in ihren unterschiedlichen Rollen. Sie quillt geradezu über von Elternschaft, ihren alten und neuen Problemen. Fast schon drohen unsere Textkanäle an ihr zu ersticken. Genug ist genug, finde ich. Es ist Zeit, dass Mutter und Vater zur Ruhe kommen, sich zurechtfinden in ihren neuen Rollen. Liebe Eltern, jetzt habt ihr euch eingerichtet, es kann losgehen, ihr könnt eure Kinder aufziehen. Muttis, ihr dürft arbeiten gehen, und wenn ihr doch mal zu Hause seid, dann könnt ihr eure Kinder auch mal hassen. Nein, Papis, ihr müsst euch nicht mehr nur im Büro austoben, macht das lieber mal auf dem Spielplatz, im Schwimmbad, oder, wenn ihr unbedingt wollt, im Europapark. Jetzt geht es darum, den neuen Alltag nicht nur wie eine magische Zauberformel heraufzubeschwören, sondern einfach zu leben.
Und die anderen?
Denn wenn es um die herkömmliche Elternschaft und ihre vielfältigen Rollenmuster still geworden ist, dann kommen vielleicht einmal die anderen zu Wort. Die, die Elternschaft heute wirklich anders leben. Die keine Rollen tauschen, sondern neue erfinden. Was ist mit zwei Männern, die ein Kind erziehen? Was ist mit den gleichgeschlechtlichen Paaren, oder mit Frauen, die Kinder bewusst ohne Partner bekommen wollen? Wo und wie äußern sie sich? Eigentlich möchte ich viel mehr über sie lesen, denn diese Formen der Elternschaft kenne ich nicht. Oder zu wenig.
Wie ist es, mit dem Sperma eines Unbekannten nicht nur ein Kind zu bekommen, sondern auch aufzuziehen? Wie fühlen sich Eltern, die eine befruchtete Eizelle von früheren Befruchtungsversuchen eingefroren haben, und beschließen, diese an andere Paare zu spenden? Wie lebt es sich mit einem Kind, das aus den Zellen völlig fremder Menschen gewachsen ist? Dürfen sich die neuen Eltern Mama und Papa nennen, oder gibt es dafür neue Namen? In der Fachsprache wird von „gespaltener Elternschaft“ gesprochen, aber wie fühlt sich das an, nicht herkömmliche Eltern zu sein, sondern gespaltene? Und wenn die Kinder aus eingefrorenen Zellen entstehen, lässt sich die Geschwisterfolge dann einfach noch nach der Geburtenfolge festlegen?
Wer sich entscheidet, einen eingefrorenen Embryo nicht zurückzunehmen, sondern auftauen und verwerfen zu lassen, begeht der eine Abtreibung? Wie fühlt es sich an, Leihmutter zu sein? Welche Beziehung hat diese Frau zu der Familie? Immerhin ist sie Mitmutter? Oder einfach nur gespaltene Mutterschaft? Und dann kommen noch die ganz neuen Formen der Patchworkfamilie hinzu. Kinder, die jede zweite Woche mal vier Geschwister haben und dann eine Woche wieder nur eines.
Differenz zwischen Sprache und Praxis
Eigentlich ist die Praxis doch schon viel weiter als unsere Sprache. Während wir noch nach Definitionen zu suchen, dabei manchmal wie Babys erstaunt über die uns fremden Formen der Elternschaft herumbrabbeln, hat uns die Wirklichkeit längst überholt. Menschen machen mit oder ohne Medizin das möglich, was uns vor Jahren noch unmöglich oder wenigstens verwerflich erschien. Frauen bekommen ihre Kinder ohne Partner, ein Kind kann mehrere Mütter, Väter haben und in mehreren Familien gleichzeitig leben. Viel wird darüber in Fachforen geschrieben, und es ist an der Zeit, die Diskussion auf alle gesellschaftlichen Ebenen zu erweitern. Ich will mehr darüber lesen, wie Menschen mit diesen wirklich neuen Formen der Elternschaft umgehen. Welche Wege sie beschreiten, auf welche Widerstände sie stoßen. Liebe Eltern, schreibt jetzt doch mal darüber.
Bild: Wikimedia Commons
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