Foto: Anne Hufnagl / www.romanticshoots.de

Kunst kommt von „Guck mal, so sind Künstler eben“

Ich bin die Projektionsfläche für das, was Menschen sich unter einer Künstlerin vorstellen.

 

Künstlerin? Ich doch nicht.

Kunst, das ist „das schöpferische Gestalten von Werken, für das jemand Begabung und ein bestimmtes Können braucht“. Eine Künstlerin oder ein Künstler braucht – heute wie früher – jedoch viel mehr als nur eine Begabung und ein bestimmtes Können. Sie brauchen einen Hang zur Selbstdarstellung, ein Publikum, Reichweite, ein Image, vielleicht einen Mäzen, und, wenn sie von ihrer Kunst leben wollen, auch ein Produkt, das sie verkaufen können.

Seit meinem 18. Lebensjahr arbeite ich als Fotografin, gestalte also schöpferisch Werke, für die ich eine Begabung und ein bestimmtes Können brauche – per Definition schaffe ich Kunst. Als Künstlerin habe ich mich lange jedoch nicht begriffen. Künstler, das sind Van Gogh oder Beethoven, David Bowie und Jim Rakete. Ich mache nur, was mir so einfällt. Als vor einigen Jahren aber der Siegeszug des Internets begann, da war ich plötzlich irgendwie dabei. Mit einer Webseite natürlich, vor allem aber mit Profilen in allen großen sozialen Netzwerken. Auf einmal gab es da ein Publikum, eine Reichweite – und direkte Reaktionen auf meine Kunst. Noch direkter aber auf etwas, was ich so nicht auf dem Schirm hatte: auf mich.

Image und Selbstdarstellung – die eigentliche Kunst

Mehr noch als meine Fotografien schien die Leute die Person hinter den Bildern zu interessieren. Schrieb ich etwas Privates, Erlebnisse, Gedankengänge oder schlicht, was ich zu Abend aß, gab es Likes und Sterne und Reaktionen. Fotos von mir bei meiner Arbeit, bei einer Ausstellungseröffnung oder im Urlaub bekamen in kürzester Zeit erst ebenso viele, bald dann mehr Likes als meine Arbeiten. Nicht, dass sich die Leute nicht für meine Kunst interessierten – Aufträge aus dem Internet wurden immer häufiger. Die eigentliche Kunst aber, das begriff ich schnell, war die Pflege meines Images und meiner Selbstdarstellung im Internet.

Sei du selbst – bloß künstlerischer

Nach einer anfänglichen Phase des Ausprobierens, was wohl im Internet besonders gut für die Vermarktung der eigenen Person funktionieren könnte, entwickelte ich eine eher pragmatische Strategie: „Sei Du selbst – bloß künstlerischer“. Es funktionierte für mich nicht, mich großartig zu verstellen, um geheimnisvoller oder kreativer zu wirken. Stattdessen schrieb und bloggte und fotografierte ich, wie ich im Prinzip wirklich war – allerdings mit einem „künstlerischen“ Filter darüber. Ich entwickelte ein Gespür dafür, was Menschen glauben, wie ein Künstler eben so ist – aus Gesprächen, Reaktionen auf mich, aus Biografien anderer Künstler und dem Austausch untereinander. Ich bin die Projektionsfläche dafür, was Menschen sich unter einer Künstlerin vorstellen.

Zwischen Klischee und Wahrheit

Nicht jedes Klischee, das Menschen mit Kunst und Künstlern verbinden, muss man auch bedienen, um als Künstler anerkannt zu werden. Permanente Rauschzustände, Manien, attraktive Mittellosigkeit, keine Kompromisse in der eigenen künstlerischen Arbeit – all dies habe ich beispielsweise ausgespart. Andere Klischees wiederum sind so nah an der Wahrheit, dass man sie sich ohne zu übertreiben zu eigen machen kann. Das ständige Kreativsein, das Streben nach neuen Werken. Ein seltsamer Musikgeschmack, gepaart mit der Sexyness einer stilvoll tätowierten Endzwanzigerin, die ruhelos ein Foto nach dem nächsten schießt – das bin schon ich, und das zeige ich. Mittlerweile sogar gerne.

Gebucht wird, wer sich zeigt.

Dass Menschen gerne Kunst kaufen von Leuten, zu denen sie einen Bezug haben, ist ein alter Hut. Und heute stellt man diesen Bezug eben über das Internet her. Musiker, Designerinnen, Maler, Schauspielerinnen, Fotografen – die Erfolgreichsten der aktuellen Generation zelebrieren sich online. Und Millionen Menschen nehmen Teil.

Millionen sind es bei mir noch nicht – dafür bräuchte ich etwa weitere 427 Jahre mit Tweets, Instagram-Fotos und Blogbeiträgen. Oder einen Fußballer, der sich heiraten lässt. Aber es sind eben doch mehrere tausend Leute, die täglich verfolgen, was ich online so poste. Und die sich dann denken: „Ach guck, so sind sie eben. Die Künstler.“

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