Ihr mögt Kunst, wisst aber manchmal nicht, wie das Ganze anpacken? Damit seid ihr nicht allein. Dieser Artikel gibt euch das nötige Handwerkszeug, um auch mit auf den ersten Blick unverständlicher Kunst klar zu kommen. Dazu braucht ihr nicht unbedingt einen Magister in Kunstgeschichte. Eine gute Herangehensweise ist die halbe Miete.
Kunst gibt keine Antworten, sondern stellt Fragen
Die Kunstprofessorin Doris Titze
beschreibt, wie das Betrachten zeitgenössischer Kunst zur Quelle des Ärgers
werden kann, wenn der Betrachter Antworten verlangt, von der Kunst aber keine
bekommt, sondern diese noch mehr Fragen stellt. Das können wir nun als die Gehässigkeit zeitgenössischer Kunst auffassen. Oder aber wir nutzen diese
besondere Eigenschaft von Kunst, um selbst etwas schlauer zu werden. Wenn wir
das ästhetische Objekt nämlich als Werkzeug für neue Erkenntnisse auffassen,
kann es unser gedankliches Repertoire bereichern.
Das übliche Szenario
In der Regel beurteilen wir Werke mehr oder weniger
bewusst nach zwei Kriterien und das noch bevor es seine ganze Wirkung auf uns
entfalten kann.
„Gefällt es mir oder
nicht?“
Können wir dieses Kriterium nicht mit der nötigen
Befriedigung bejahen, verwerfen wir das Werk und wandern zum nächsten, das uns
besser gefällt oder mit dem wir mehr anfangen können. Auf den persönlichen
Geschmack zu hören würde ich euch dringend empfehlen, wenn ihr Kunst für euer
Wohnzimmer kauft. Auch ich habe Werke, die mich
geradezu anfallen und ich liebe sie. Bei einem Ausstellungsbesuch
sollte es jedoch nicht vorrangig um ein Gefallen oder Nicht-Gefallen gehen.
„Was soll es darstellen?“
Die zweite gängige Frage lautet, was das denn sein soll.
Diese Frage hat uns erst die klassische Moderne und die mit ihr einhergehende
Abstraktion eingebracht. Als Kunst noch durchgängig realistisch und
gegenständlich war, war sie einfacher zu beantworten. In diesem Zusammenhang
sollten auch die Assoziationen erwähnt werden. Mit dem Abstrakten konfrontiert,
entstehen im Kopf des Betrachters oft Heerscharen an Bildern. Mit diesen
Deutungen versucht der menschliche Intellekt das einzuordnen und zu
deuten, was er zunächst nicht versteht. Zu meinen eigenen abstrakten Arbeiten bekomme ich von Betrachtern
regelmäßig jede Menge gegenständliche Assoziationen zu hören, die mir im Leben
nicht selbst eingefallen wären.
An und für sich sind sowohl die Frage des Geschmacks als
auch der Wunsch nach Deutung vollkommen in Ordnung und legitim. Meist stellen
wir sie jedoch zu früh, verbunden mit einer Bewertung und verstellen uns damit
den Weg, das Werk wirklich zu verstehen. Auch Assoziationen sind super. Wir
sollten uns bloß dessen bewusst sein, dass sie unsere eigenen, und als solche
erst einmal subjektiv sind.
Die fünf Schritte
Am besten funktioniert Kunst, wenn wir unsere Wertungen
und Deutungen erst einmal hintenan stellen. Das könnte dann so aussehen: Nehmt
euch ein Werk vor, das euch besonders anspricht. Dann beobachtet und analysiert
es gelassen in folgenden fünf Schritten. Es gibt dabei kein Falsch oder
Richtig. Vielmehr geht geht es um die reine Beobachtung.
1. Bleibt objektiv
Die größte Herausforderung liegt darin, über gewohnte Denkmuster
hinauszuwachsen. Also nehmt euch genügend Zeit und versucht im Hinblick auf das
Werk vollkommen objektiv und offen zu bleiben.
2. Beschreibt die Farbe
Welche Farben sind im Werk enthalten? Welche Qualität haben sie? Gibt es
Kontraste? Sind sie knallig und springen euch an? Oder sind sie dezent und
zurückhaltend?
3. Beschreibt die Form
Welche Formen sind im Werk vorhanden? Ist alles eckig und wild? Oder fließt
alles harmonisch ineinander?
4. Erforscht euer Gefühl
Welche Stimmung herrscht eurer Meinung nach im Werk? Wie wirkt es auf euch und
was macht es mit euch? Fühlt ihr euch eingehüllt? Oder macht es euch aggressiv?
Habt ihr spontane Assoziationen zum Werk?
5. Eine Prise Hintergrundwissen
Lest euch ein wenig gesellschaftliches und kunstgeschichtliches
Hintergrundwissen an. In welcher Gesellschaft lebt/e der Künstler oder die Künstlerin? Was
beschäftigt/e ihn oder sie? Das muss kein ganzes Fachbuch sein, oft reicht der
Ausstellungsflyer, ein Artikel im Art Magazin
oder Wikipedia. Ihr könnt auch an einer Führung teilnehmen. Die meisten Museen
bieten regelmäßig kostenlose Führungen an, die im Museumseintritt enthalten
sind. Oder sucht euch eine nette Begleitung, die sich etwas auskennt. Ich
selbst spicke Ausstellungsbesuche gerne mit ein paar Eckdaten und Anekdoten
über den Künstler. Das macht das Werk greifbarerer und begeistert sogar
Menschen, die von sich aus nicht ins Museum gegangen wären.
Für Bilder und Skulpturen funktioniert diese Art der
Kunstbetrachtung im Grunde immer. Mit etwas Übung könnt ihre es auch für
Installationen, Konzeptkunst und andere Genres anwenden. Eines aber ist sicher,
ihr werdet ein ganzes Stück über euch selbst hinauswachsen. Deshalb: An die
Kunstwerke, fertig los!
Meine ganz persönlichen Kunsttipps findet ihr hier und
noch mehr davon auf Facebook und
auf Twitter. Dieser Artikel erschien bereits auf meiner Seite Kunsthochzwei.
Mehr bei EDITION F
Carla Chan: „Die Realität ist mir zu langweilig, um sie einfach nur wiederzugeben“. Weiterlesen
Ezgi Polat: „Wer etwas mit der Kunst erreichen will, darf sich nicht verformen lassen und nicht aufgeben“. Weiterlesen
Große Kunst: Wie man mit kreativer Arbeit Geld verdient. Weiterlesen