„Jetzt haben sie aber ausreichend Rechte!“, so etwa klingt das, wenn juristische Argumentation auf die Forderung von Frauen trifft, endlich ein lückenloses Sexualstrafrecht zu schaffen. Auf einen ebensolchen Text antwortet die Aktivistin Kristina Lunz.
Was wird jetzt besser?
Am 16. März beschloss das Bundeskabinett
eine Verschärfung des Sexualstrafrechts. Aber ist es jetzt wirklich besser? Nein. Denn nur unter bestimmten Ausnahmen – und
genau hier liegt das Problem – muss das Opfer sich also nicht wehren, damit
eine Vergewaltigung nun auch vor Gericht als solche anerkannt wird. Ein ‚Nein’,
so wie es die Istanbul Konvention des Europarats fordert, reicht weiterhin nicht aus. Das
Credo, dass sexuelle Selbstbestimmung nur dann als Recht anerkannt wird, wenn
es verteidigt wird, bleibt bestehen. „Wie wäre das bei anderen Rechtsgütern? Wenn beispielsweise Eigentum nur dann als schützenswert gelten würde, wenn es auch wehrhaft verteidigt wird?“, fragt die Publizistin Carolin Emcke in ihrer SZ-Kolumne. Muss man etwa seine Tasche wehrhaft verteidigen, damit sie als gestohlen gilt?
Von vielen Verbänden, die am meisten mit
den fatalen Folgen unseres Sexualstrafrechts täglich konfrontiert werden,
hagelte es verständlicherweise Kritik. Beispielsweise sprechen sich der Weiße Ring und der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe
(bff), klar gegen den
Beschluss aus. Ihnen geht es nicht weit genug.
Die
meisten sexuellen Handlungen spielen sich zwischen zwei Menschen ohne weitere Zeug_innen
ab, und folglich steht bei einem sexuellen Übergriff oft Aussage gegen Aussage – die Rechtsprechung ist schwierig. Aber sollte man deswegen darauf verzichten, bestimmtes Verhalten unter Strafe zu stellen? Juristin
Petra Follmar-Otto vom Deutschen Institut für Menschenrechte kritisierte das Gesetz gegenüber tagesschau.de und erklärte zudem: „Das ,Nein‘, die Ablehnung der sexuellen Handlungen, kann sowohl verbal, aber auch durch Gesten oder vielleicht durch Weinen ausgedrückt werden.“ Es gibt viele Formen, ,Nein‘ zu sagen.
Expertinnen fordern schon lange mehr
Auch
der Deutsche Juristinnenbund fordert seit Jahren einen Paradigmenwechsel im
Sexualstrafrecht hin zum lückenlosen Schutz der sexuellen Selbstbestimmung, so dass zum Beispiel auch Grabschen strafbar wird. Viele der Übergriffe, die in Köln geschahen, sind auch nach der Reform straffrei.
Doch die rechtliche Argumentationsebene
ist nicht die einzig relevante. Es geht ebenso um die normative Wirkung von
Gesetzen. Es ist von Relevanz,
dass die meisten Opfer von sexualisierter Gewalt Frauen sind. Die Täter sind
fast ausschließlich Männer, vor allem bei Verbrechen wie Vergewaltigungen. Dieses Machtungleichgewicht muss bei der
Thematisierung des Sexualstrafrechts beachtet werden. Alles andere schafft
Gesetze, die diese verzerrten Dynamiken billigend in Kauf nehmen, nicht
aber abschaffen. Genau deshalb müssen Judikative und Legislative den Stimmen von denjenigen, die Gewalt erfahren, besondere Aufmerksamkeit schenken.
Wie weit soll das Recht gehen?
Auf einen Artikel, den ich über die notwendige weitergehende Reform des Sexualstrafrechts bei Zeit Online veröffentlicht habe, folgte eine Replik vom Rechtswissenschaftler Arthur
Kreuzer, der schreibt: „Das Sexualstrafrecht ist anhaltend ausgeweitet worden – teils angemessen, teils geradezu populistisch und inflationär.“
Dabei nennt er zum Beispiel die Kriminalisierung von Vergewaltigung in der Ehe oder
die Entkriminalisierung von Homosexualität. Dabei verkennt er eine Dynamik: Die erfolgten
Fortschritte sind eine Selbstverständlichkeit auf einem langen, mühsamen Weg
hin zu einer gleichberechtigten Gesellschaft. Niemand muss dafür dankbar sein! Denn wenn innerhalb einer patriarchalen
Gesellschaftsstruktur, die Jahrtausende lang große Teile der Bevölkerung
systematisch unterdrückt hat, die Betroffenen dann Stück für Stück die ihnen
zustehenden Menschenrechte anerkannt bekommen, dann verlangt das keinen Applaus von den Unterdrückten (beim Sexualstrafrecht mehrheitlich Frauen), sondern eine
andauernde kritische Auseinandersetzung mit diesen anhaltenden Machtstrukturen
von denjenigen, die profitieren (in diesem Fall die Täter).
Die Mär von der erfundenen Vergewaltigung
Ich finde bezeichnend, dass der Jurist Kreuzer zwei angebliche Beispiele für Falschbeschuldigungen
thematisiert, anstatt der Erfahrungen von hunderttausenden
jährlich vergewaltigten Frauen. Er schreibt „Prominenten könnten
verschmähte Liebhaberinnen leicht eine Sexualstraftat mit notwendigerweise
folgenden Ermittlungsverfahren anhängen“ und befeuerte damit das sexistische
Klischee, Frauen würden den Vorwurf der Vergewaltigung nutzen, um sich an Männern zu rächen. Das ist nachweislich nur in einem Bruchteil der Fälle der Fall! Als Jurist müsste er das besser wissen. Sein Text ist nahezu exemplarisch für die Machtverteilung in der Gesellschaft: Frauen erfährt Unrecht – und ihnen wird nicht geglaubt.
Wir
leben in einer Gesellschaft, in der sich die Ausübung von Macht disproportional
auf eine bestimmte Gruppe – weiße, meist ältere Männer – konzentriert. Wer sich
also ernsthaft für eine universale Unantastbarkeit der Würde des Menschen einsetzen
möchte, muss also gerade in solch dysbalancierten Gesellschaften den Erfahrungen
und Empfehlungen derjenigen lauschen, die zum größten Teil von den gefährlichen
Folgen dieses Ungleichgewichts betroffen sind.
Privileg ist, wenn jemand denkt, dass
etwas kein Problem ist, weil es für die Person selbst kein Problem ist. Wer
Rassismus begegnen will, muss Menschen nicht-weißer Hautfarbe zuhören, bei
Homophobie Schwulen und Lesben. Und bei sexualisierter Gewalt müssen die Stimmen
von Frauen das größte Gewicht haben. Alles andere wäre eine Farce.
Ich kann manchmal gar nicht
glauben, dass wir 2016 dafür noch kämpfen müssen.
Am diesjährigen Weltfrauentag habe ich daher gemeinsam mit den UN Women – Nationales Komitee Deutschland und Prominenten wie Maria Furtwängler, Natalia Wörner, Jan Delay und Jasmin Tabatabai die Kampagne „Nein heißt Nein“ ins Leben gerufen. Wir brauchen dringend einen Kulturwandel – im Gesetzbuch und in den Köpfen.
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