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„Gewalt hat die Funktion, Frauen kleinzuhalten“

Jede vierte Frau in Deutschland erlebt physische oder psychische Gewalt durch den (Ex-)Partner. Rund um Feiertage wie Weihnachten kommt es zu einem Anstieg der Fälle von häuslicher Gewalt. Unsere Autorin schildert den Fall der 27-jährigen Anna.

Hinweis: Dieser Text enthält Schilderungen von psychischer und körperlicher Gewalt eines Täters gegen seine Partnerin. Am Ende des Textes findest du Stellen, an die du dich wenden kannst, wenn du selbst betroffen bist.

2009, im Frühjahr. Anna ist 16, als sie ihn kennenlernt. „Anfangs war alles normal. Nach kurzer Zeit merkte ich, dass es nicht richtig harmonisch mit ihm ist“, erinnert sie sich. Die extreme Eifersucht ihres Freundes und psychischer Druck sind ab diesem Zeitpunkt ihr ständiger Begleiter. Acht Jahre lang.

Wenn sie sich mit Leuten aus ihrem Freund*innenkreis trifft oder abends feiern geht, ist Ärger vorprogrammiert. Deshalb zieht sie sich immer mehr zurück, trifft ihre Freund*innen kaum noch. „Er meinte immer, er mag meine Leute nicht“, sagt sie. „Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass er mich für sich allein will. Ich habe mich extrem eingeengt gefühlt. Er wollte mich jeden Tag sehen, hat mir ständig unterstellt, dass ich Geheimnisse vor ihm habe.”

Eifersucht, Kontrolle und Beleidigungen nahmen zu

Die Eifersucht entwickelt sich in eine extreme Richtung. Er misstraut ihr, liest ihre Nachrichten, kontrolliert ihre Accounts auf Facebook und Instagram und ändert ihre Zugangsdaten. Kontrolle versucht er auch auszuüben, wenn sie sich nicht sehen: „Sobald ich online war, fragte er mich aus, was ich mache.“ Es führt so weit, dass er ihre Accounts löscht.

Besonders die letzten drei Jahre zeichnen sich durch einen harten Umgangston seinerseits aus. Er beleidigt sie am laufenden Band, sobald er verärgert ist. Fette Sau, Schlampe – diese Worte haben sich in das Gedächtnis der 27-Jährigen gebrannt. Doch Anna schafft es, sich von ihm zu lösen. „Es hat mir einfach gereicht. Es war zu viel, ich war dauerhaft angespannt und gestresst. Er hat mir alles miesgemacht. Ich hatte keine Lust mehr auf die ständigen Streitereien und Diskussionen.”

Er will sie nicht gehen lassen

Doch der Ärger und Stress lassen auch nach der Trennung nicht nach. Als sie mit ihm Schluss macht, will er nicht gehen und sie nicht gehen lassen. Er hält sie fest, drängt sie in eine Ecke. „Ich mach dich fertig“, sagt er zu ihr. Damals ist sie 23, er ein Jahr älter. Nur ihre Schwester ist zu Hause, sie ruft die Polizei. „Mir war das so peinlich. Er hat einen Platzverweis bekommen.“ Und sie blaue Flecke vom Festhalten.

Er lügt nicht. Das kommende Jahr entwickelt sich für Anna und ihre Familie zu einem Alptraum. „Jeden Tag stand er mit seinem Auto in unserer Straße, um zu schauen, wann ich ein und aus gehe.“ 150 Mails am Tag, Beleidigungen, Drohungen: “Ich steche dich ab. Ich vernichte dich. Ich mache dir dein Leben zur Hölle.” Auch ihre Eltern ruft er an, ununterbrochen, bis in die Nacht. „Ich hatte Angst vor ihm“, sagt sie.

Letzter Ausweg: Anzeige bei der Polizei

Der Psychoterror nimmt kein Ende. Auf der Lernplattform ihrer Universität lädt er in ihrem Namen Dokumente hoch. „Darin stand, dass ich ein Schwein bin, eine Lügnerin. Ich habe mich so geschämt.“ Er schreckt auch nicht davor zurück, ein falsches Profil von ihr auf einer Dating-Seite anzulegen.

Sie fühlt sich nicht nur verfolgt, er verfolgt sie. Ihr letzter Ausweg: eine Anzeige bei der Polizei. „Ich wusste mir nicht mehr anders zu helfen. Die Polizei wies ihn dann auf sein Fehlverhalten hin.”

Doch selbst das hält ihn nicht davon ab, Anna aufzulauern und psychisch unter Druck zu setzen. Acht Monate hält dieser Zustand an. „Es war die Angst, die mich so lange in der Beziehung gehalten hat“, sagt sie heute. Seit mehreren Jahren hat Anna einen neuen Freund: „Durch ihn fühle ich mich gestärkt. Ich kann mich in seiner Gegenwart entspannen.“ Doch die Spuren bleiben. „Einmal wollte er mich trösten und in den Arm nehmen. Aber ich wollte das nicht. Ich habe mich sofort an früher erinnert und eingeengt gefühlt, obwohl er mir nichts Böses wollte.”

„Gewalt, egal in welcher Form, hat die Funktion, Frauen kleinzuhalten.“

Lena Mußlick, Landesverband Frauenberatung Schleswig-Holstein

Mit ihrer Offenheit will Anna andere Frauen ermutigen. „Viele Menschen denken, dass es einfach ist, sich aus einer Beziehung wie dieser zu lösen. Doch das ist es nicht.“ Das weiß auch Lena Mußlick vom Landesverband Frauenberatung Schleswig-Holstein (LFSH), ein Dachverband von 33 feministischen Frauenberatungsstellen und Frauennotrufen.

Diese beraten gewaltbetroffene Frauen und deren Angehörige sowohl akut und auch noch nach Jahren. Mit der Kampagne „Männlichkeit entscheidest du” will der Verband auf das gesellschaftliche Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern aufmerksam machen: „Gewalt, egal in welcher Form, hat die Funktion, Frauen kleinzuhalten”, sagt Mußlick.

Kein Einzelfall: Jede vierte Frau wird Opfer von Gewalt

Jede vierte Frau hat in Deutschland schon einmal physische oder psychische Gewalt durch den Partner oder Ex-Partner erlebt. Mehr als 90 Prozent der Täter sind männlich. Unter psychischer Gewalt versteht man die systematische emotionale Schädigung einer Person in einer Beziehung.

„Es geht um Macht und Kontrolle der Partnerin. Das Ziel eines gewaltausübenden Partners ist es, die Frau in ihrem Selbstwertgefühl zu schwächen und ihre Autonomie zu begrenzen“, erklärt Mußlick. Es erfordere viel Mut, sich aus einer solchen Beziehung zu lösen. Von Annas Geschichte zeigt sich die Expertin beeindruckt. „Es ist sehr mutig, dass sie sich getrennt hat und darüber hinaus offen über das Thema spricht“, sagt sie.

„Trennungsphasen sind besonders schlimm. Wenn sich die Frau der Situation entzieht, spürt er den Kontrollverlust. Durch Stalking versucht er, die Kontrolle wiederzubekommen”, sagt die Expertin. 24 Prozent aller Frauen in Deutschland haben seit dem 15. Lebensjahr eine Form von Stalking erlebt, überwiegend durch den Ex-Partner oder Partner. Das sagt eine EU-weite Erhebung der Agentur für Grundrechte aus dem Jahr 2014. Im Vergleich dazu sind es nur vier Prozent aller Männer.

Keine Frage des Bildungsstands

Gewalt in einer Beziehung gegen Frauen zieht sich durch alle Schichten. Verschiedene Studien zeigen, dass kein Zusammenhang mit dem Bildungsstand oder dem kulturellem Background und der Anwendung von Gewalt besteht.

„Die Täter handeln zum Teil sehr bewusst. Die Gewalt findet hinter verschlossenen Türen statt. In der Öffentlichkeit haben sie sich oft unter Kontrolle.” Wichtig sei, die Männer nicht zu Opfern zu machen. „Es geht schnell in eine Täter-Opfer-Umkehr. Die Täter tragen die volle Verantwortung für ihr Handeln“, betont Mußlick. Wichtig sei auch, sich vom Auftreten des Mannes nicht täuschen zu lassen. „Wenn eine Frau andeutet, dass sie Gewalt erfährt, hat sie einen guten Grund dafür”, sagt Mußlick.

Hier bekommen Frauen Hilfe, die Gewalt in der Beziehung erleben oder erlebt haben:

Ein wichtiger Hinweis von Lena Mußlick: Keine falsche Scham. Frauen sollen sich nicht scheuen, sich an eine Beratungsstelle zu wenden. Ein „komisches Bauchgefühl“ reiche aus, auch wenn sich die Frau nicht sicher ist und ihre Gefühle nicht einordnen kann. Auch Angehörige erfahren hier Hilfe und Unterstützung.

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