Unsere Kolumnistin beschleicht das Gefühl: Der Ton der Kinder in der Sommer-Pandemiepause wird schärfer. Was soll das denn jetzt?
Neulich so, das siebenjährige Kind kommt von der Schule nach Hause, knallt wie üblich den Schulranzen vor die Wohnungstür, zwei Turnschuhe schleudern saltischlagend von verdreckten Sandsockenfüßen in verschiedene Wohnungsecken. Das Kind denkt nicht daran, „wenigstens Brotbox und Getränkeflasche selbstständig in die Küche zu räumen“ (O-Ton ich, täglich seit der Einschulung), greift das iPad, mault nach 30 Minuten, wenn ich das iPad seinen kleinen gierigen Fingern entreiße, zieht sich die Schuhe wieder an, verschwindet für etwa zehn Minuten, erscheint wieder mit einem in Regenbogenfarben prächtig in der Sonne leuchtenden Eiszylinder am Stil.
Kind, beiläufig an mir vorbeischlendernd: „Ich hab mir ein Eis geholt!“
Ich, argwöhnisch: „Aha, von welchem Geld?“
Kind: „Äh, von meinem eigenen.“
Ich: „Soso. Du verfügst schon seit mehreren Wochen über kein eigenes Geld mehr. Deine Bargeldreserven sind erschöpft. Ich muss das jetzt wissen, denn du hast dir vor zehn Wochen einen beträchtlichen Taschengeld-Vorschuss geben lassen, um ein ebenso nutzloses wie unnötiges Billigplastikirgendwas erwerben zu können, zu dessen Kauf du dich im Supermarkt hast verführen lassen. Laut meines Kalendereintrags wird dir erst am Ende der Sommerferien wieder Taschengeld ausgezahlt. Du bist pleite!“
Kind: „Ach ja, richtig. Dann hab ich das Geld irgendwo gefunden.“
Geld fürs Eis, aber dalli!
Das neunjährige Kind wiederum machte in der vergangenen Woche in etwa diese verbale Entwicklung durch:
Montag: „Mama, kann ich Geld für ein Eis haben?“
Dienstag: „Ich kauf mir jetzt ein Eis“.
Ich: „Mit welchem Geld denn?“
Kind. „Äh, mit deinem natürlich“.
Mittwoch: „Kann ich mir jetzt endlich ein Eis kaufen?“
Donnerstag: „Ich werd‘ gleich richtig sauer, wenn du mir jetzt nicht sofort Geld für ein Eis gibst!“
Nachts, in meinen Alpträumen, geht es so weiter:
Freitag: „Wenn ich kein Eis kriege, kannst du warten bis du alt und hässlich bist, bis ich wieder Klavier übe!“
Kioskverbot fürs Kind
Ich bin leider – ich glaube, die Pandemie hat doch ein paar Spuren hinterlassen – viel zu müde und geistig erschöpft, um Widerstand zu leisten. Irgendwann wird es Herbst werden, die Blätter werden fallen und damit auch das Gebot des täglichen Eisverzehrs.
Eine Kollegin erzählte mir die folgende Geschichte: Ihr kleiner Bruder war so kiosksüchtig, dass die Eltern in den Kiosken der näheren Umgebung Fotos ihre Kindes austeilten mit der dringenden Bitte, dieses Kind auf gar keinen Fall zu bedienen. Ich halte das für keine schlechte Idee.
Das vierjährige Kind wiederum ist dem Kapitalismus auf erschreckende Art verfallen und ich frage mich, ob es mit unseren Corona-Laissez-Faire zu tun hat: „Na gut, wir haben ja Corona“, dieser Satz wurde bei uns in der Familie ziemlich oft gesagt in den vergangenen 15 Monaten – bevor Mandala-Bücher bestellt, Comics geschenkt und nichtsnutzige Hefte in Supermärkten und Tankstellen erworben wurden.
Horrorszenario: Das bleibt jetzt so!
Wer sich zu bedürfnisorientierter Erziehung beliest, erfährt: Es gilt, sich von internalisierten Glaubenssätzen zu lösen, die womöglich unbewusst den Umgang mit den eigenen Kindern prägen, Klassiker: „Hat mir ja auch nicht geschadet“. Einer der Geister, die mich verfolgen, ist: „Nicht, dass das Kind sich dran gewöhnt!!!“
„Sie werden Schoko-Knusperflocken fordern und sich bei Kaufverweigerung auf dem Boden wälzen, bis sie volljährig sind!“
In der Praxis bedeutet das: Ich kaufe die Scheiß-Schoko-Knusperflocken, weil ich keinen Bock auf Randale im Discounter habe, sehe zu Hause mit Argwohn dabei zu, wie die Kinder sich die Schüsseln vollmachen, und wälze mich nachts in den Laken mit dem Gedanken: Ogott, nicht dass sie sich daran GEWÖHNEN! Sie werden Schoko-Knusperflocken fordern und sich bei Kaufverweigerung auf dem Boden wälzen, bis sie volljährig sind! Wenn sie diesen Geburtstag überhaupt noch erleben, und nicht vorher an Skorbut gestorben sind. Weil sie nicht jeden Tag ein gelbes, ein rotes, ein orangefarbenes und ein grünes Obst oder Gemüse gegessen haben! Argh!
„Nur eine Kleinigkeit“
Das vierjährige Kind jedenfalls ist mittlerweile daran gewöhnt, jeden Supermarkt- oder Tankstellenbesuch triumphal mit einem nutzlosen Heft mit Plastikmüll in Glitzerverpackung vorne drauf in den Patschehändchen abzuschließen. Zudem plant es nach jeder Kitaabholung einen Besuch im lokalen Spielzeugladen ein („Ich möchte nur eine Kleinigkeit kaufen“) – das klingt nur süß, wenn ich es hier aufschreibe. Ich versuche es dann erstmal damit: „Du kannst etwas aussuchen, aber dann musst du mir das Geld von deinen Ersparnissen geben, denn es ist gerade nicht Geburtstag, so viele Geschenke zwischendurch sind zu teuer“. Das Kind kriegt dann einen Wutanfall, sagt, dass ich scheiße bin, thront eine Viertelstunde schmollend auf dem Fahrradsitz und sagt dann sehr laut und beleidigt: „Na gut Mama!“
„Mein Geld kriegst du niemals! NIEMALS!!!
Nach dem Erwerb eines nutzlosen Plastikirgendwas hastet es, zu Hause angekommen, in die Ecke, wo es seine Schätze hortet, bringt das einzige Geld, das es besitzt (ein zwei-Euro-Stück im Eulengeldbeutel) an einen sicheren Ort und trompetet: „Mein Geld kriegst du niemals! NIEMALS!!!“ Ich versuche kurz, das Prinzip „Abmachung“ zu erläutern. Und gebe irgendwann ausgelaugt und geistig völlig erschöpft auf.
Beruhigung in der Eisdielenschlange
Mein Nervenkostüm schmilzt also derzeit regelmäßig in sich zusammen wie eine blöde Kindereiskugel in der Waffel, an der das Kind IMMER zu langsam leckt – und nicht kapiert, dass man von unten nach oben lecken muss, damit es nicht tropft.
Was mich ein bisschen beruhigt: Die regelmäßige Beobachtung von Eltern vor mir in der Eisdielenschlange, die ihren Kindern drei (drei!!!) Kugeln Eis kaufen: Hurra! Auch andere Familien sind offenbar konsum- und ernährungstechnisch verdorben!