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„Er sieht sich selbst nicht als aggressiven Menschen“

Unsere Community-Autorin schrieb uns infolge des am 23. August 2022 erschienenen Interviews mit Stefanie Knaab über häuslische Gewalt. Sie berichtet von seelischer Gewalt in ihrer eigenen Beziehung, von ihrer Verzweiflung – und von der Hoffnung. Die Community-Autorin möchte anonym bleiben.

Liebe EDITION F Redaktion,

ich möchte mich bei euch bedanken für das Interview mit Stefanie Knaab, die mit ihrem Verein „Gewaltfrei in die Zukunft e.V.“ eine App entwickelt hat, die von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen ermöglicht, unbemerkt und geschützt Hilfe zu finden.

Ich kann nicht gut beschreiben, was bei mir innerlich passiert ist, während ich diesem Gespräch in eurem Magazin gefolgt bin. Als Betroffene von psychischer Gewalt fühle ich mich normalerweise sehr isoliert. Und es ist so, wie Stefanie Knaab sagt: Ich habe immer Schuldgefühle. Und dieses Gefühl kommt nicht nur von dem Mann, mit dem ich zusammenlebe. Es kommt auch von meiner Umgebung, die mit Verständnislosigkeit reagiert oder die mir zeigt, dass sie mich nicht ernst nimmt. Also wird das alles immer hermetischer. Es findet hinter verschlossenen Türen statt. Ich bin damit allein.

Mein Alltag ist schwierig. Ein großes Problem ist, dass mein Mann ein ganz anderes Bild von sich selber hat. Er sieht sich nicht als gewalttägigen Menschen. Das ist auch der Grund, aus dem er richtig ausrastet, wenn ich ihm sage, dass ich Angst vor ihm habe. Ich spiegle ihm etwas, das ihm nicht gefällt. Dadurch werde ich für ihn zur Bedrohung – und hier beginnt wohl der Teufelskreis.

Nein, er sieht sich selbst nicht als aggressiven Menschen. Und er schlägt mich auch nicht. Aber er schreit, er ist wütend, er manipuliert, er nimmt mir mein Selbstvertrauen, er macht sich vor anderen über mich lustig und er gibt mir die Schuld für alles, auch für seine fast täglichen Ausbrüche. Es liegt an meinem Verhalten, sagt er.

„Er gibt mir die Schuld für alles, auch für seine fast täglichen Ausbrüche.“

Community-Autorin

Mit anderen Menschen darüber zu sprechen, ist sehr schwer. Ich habe es im weiteren Familienkreis versucht, aber da kommen vor allem Rechtfertigungen. Er sei nun mal temperamentvoll. Oder ob ich nicht versuchen könne, ihn weniger zu provozieren. Ich weiß nicht genau, wie das gemeint ist.

Aber mir ist klar, dass ich ihn provoziere, sobald bei mir die Tränen kommen. Dann wird er noch wütender, dann behauptet er, ich weine, um ihn zu einer Entschuldigung zu bewegen. Aber ich weine, wenn ich nicht mehr kann. Dann sackt mein ganzer Körper zusammen und alles muss raus. Ich gehe in einen Raum, den ich abschließen kann, damit er es nicht sieht.

Ich lebe in dieser Verzweiflung.

Und wahrscheinlich ist es gut, dass ich noch weinen kann, wenn ich traurig bin. Traurig darüber, dass da jemand ist, der seine Wut nicht mehr unter Kontrolle hat.

Manchmal reicht auch meine Anwesenheit als Provokation. Dann sitze ich einfach da. Und dann ist es ein ganz kleines Detail, das ihn zum Überkochen bringt.

Ich möchte das alles nicht. Und wahrscheinlich sagen viele, wie es in dem Interview auch heißt: „Warum geht sie denn nicht einfach weg?“ Abgesehen davon, dass das Weggehen mit Kindern nicht einfach ist: Darum geht es nicht.

Vor einiger Zeit habe ich ein Buch von Christel Petitcollin gelesen, „Ich denke zu viel“. Ich glaube, dass ich mit einem narzisstischen Menschen zusammen bin. Ich glaube, dass ich gegen seinen Hass nichts tun kann. Weil er sich allein von der Art ableitet, wie ich bin. Das heißt nicht, dass ich schuld bin. Christel Petitcollin schreibt: „Narzissten wünschen niemandem etwas Gutes. Sie sind misstrauisch, griesgrämig, feige (…) Manipulatoren haben sich darauf spezialisiert, anderen ihr Leben zu stehlen. Sie treten deren Werte mit Füßen. Sie können nicht anders als alles zu beschmutzen und kaputtzumachen, worin sich die Liebe zum Leben spiegelt.“ – Während ich diese Zeilen las, war ich verwirrt, schüttelte stark den Kopf und nickte irgendwie gleichzeitig: Ich erkannte ihn darin teilweise wieder – und zugleich verstand ich nicht, wie es überhaupt dazu gekommen war, zu dieser Verbindung.

Stefanie Knaab sagt in dem Interview, dass sie in ihrer eigenen toxischen Beziehung alle schlimmen Ereignisse auf Zetteln und in Notizbüchern aufgeschrieben hat. Dass sie sich diese Zettel in besseren Zeiten vorgelesen hat, um sich daran zu erinnern und damit aus dem Teufelskreis auszubrechen. Ich versuche das auch, um irgendwann den Schritt gehen zu können. Ich halte gerade noch an irgendeiner Hoffnung fest, wünsche mir eine harmonische, funktionierende Familie (von außen gelten wir als solche. Wir haben beide gute Jobs, sind beide erfolgreich. Ohne meinen Job wäre ich verloren, denn dort begegnen sich alle auf Augenhöhe und wenn mich jemand kritisiert, dann tut er*sie das konstruktiv). Aber wenn sich nichts ändert, dann sind es vielleicht diese Notizen und etliche Sprachaufnahmen, die mich dazu bewegen werden, den wichtigen Schritt zu gehen.

Bitte schreibt weiter darüber. Sprecht über häusliche Gewalt – über die physische und die psychische, über die soziale und die wirtschaftliche Gewalt. Bringt das Thema in die Mitte der Gesellschaft. Es ist wichtig. Wichtiger als die Behauptung, wir hätten schon so viel erreicht in Sachen Gleichberechtigung und Feminismus. So viel, wie wir denken, ist es nicht. Es ist so, wie Stefanie Knaab sagt:

„Jede vierte Frau in Deutschland und jede dritte Frau in Europa erfährt häusliche Gewalt in ihrem Leben, alle 45 Minuten verletzt ein Mann eine Frau schwer, das heißt: Wir alle kennen Betroffene, aber auch Täter. Und wir müssen offen über dieses Thema sprechen, um es zu entstigmatisieren.“

Stefanie Knaab

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