Zwei Frauen, links eine ältere, rechts eine jüngere, blicken zufrieden in die Kamera.
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Ageism: Warum denken wir in Generationen, anstatt uns zu verbünden?

Ageism ist verbreiteter als man denken mag, nicht nur im Job, sondern auch in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen. Unsere Autorin Fiona Rohde schreibt über Klischees und Stereotype, (Un-)Worte wie „Pflegelast” und den Wunsch, in Würde zu altern.

Ich war Ende 30. Vor mir stand eine jüngere (damalige) Vorgesetzte, um mir Feedback zu meiner Arbeit zu geben. Es gab viel Lob und dann noch einen kleinen Zusatz: „Wenn man schon lange im Job ist, fehlt manchmal vielleicht ein wenig die Frische und Energie, die jüngere Kolleg*innen mitbringen.“ Ich war vielleicht acht Jahre älter als sie. Mit Herzblut in meinem Job. Und jetzt sprachlos. Jung also gleich Energie gleich neue Ideen? Alt gleich Phlegmatismus? Eine für meine damalige Vorgesetzte logische Schlussfolgerung.

Sollte ich jetzt Gründe aufzählen, warum ich durchaus Energie, Elan und Freude an meinem Job habe, obwohl ich älter bin als meine Kolleg*innen? Oder die kleine Kröte erstmal runterschlucken? Ich habe damals irgendetwas dazu gesagt, das klang wie eine Rechtfertigung.

Nach diesem Gespräch habe ich länger nicht mehr darüber nachgedacht. Und dann beobachtete ich mehr solcher Sätze um mich herum im Job. Und ich verstand, dass hier eine sozial akzeptierte Altersdiskriminierung am Start ist. Manchmal getarnt als kleiner Scherz. Oft aber auch bei wichtigen Entscheidungen und Einschätzungen.

Fakt ist: Ageism ist verbreiteter als man denken mag. Vor allem im Job, wo Bewerber*innen z.B. ab einem bestimmten Alter schon bei der Sichtung der Bewerbungen aussortiert werden, statt ihre berufliche Erfahrung als mögliche Bereicherung zu sehen. Laut einer Studie im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist Ageism die zweithäufigste Form der Diskriminierung im Job. Ältere Mitarbeitende gelten als „rückwärtsgewandt, gebrechlich und weniger produktiv“. Aber auch junge Menschen erfahren Ausgrenzung und Vorurteile im Job aufgrund ihres Alters, wie der Global Report on Ageism der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigt. Viel zu jung. Zu wenig Erfahrung. Noch zu grün hinter den Ohren. Auch das ist Altersdiskriminierung – wenngleich seltener damit assoziiert.

„Klischees und Stereotype sind fest verwurzelt in unserer Gesellschaft“

Was die Studie der Antidiskriminierungsstelle noch zeigt: Ageism begegnet uns nicht nur im Job, sondern auch in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen. So lehnt die Mehrheit der Befragten (53 %) diese Aussage ab: „Alte Menschen tragen zum Fortschritt unserer Gesellschaft entscheidend bei.“ Stattdessen fand die Aussage „Die meisten alten Menschen können sich nicht mehr auf Veränderungen einstellen und sind daher Jüngeren unterlegen“ mit 58 % viel Zuspruch (40 % stimmten eher zu, 14 % voll und ganz). Und „immerhin ein Drittel der Befragten (32 Prozent) stimmte der Aussage zu, dass alte Menschen Platz machen sollten für die jüngere Generation, indem sie wichtige berufliche und gesellschaftliche Rollen aufgeben.“

So existiert übrigens eine Höchstaltersgrenze bei Ehrenämtern. In Brandenburg kann man mit 63 nicht mehr Bürgermeister*in werden und in Thüringen ist bei der freiwilligen Feuerwehr schon mit circa 60 Schluss. Und das vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und dass die Menschen immer älter werden.

Das Fazit der Studie, so die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman: „Klischees und Stereotype über ältere Menschen sind fest verwurzelt.“

Wir achten darauf, niemanden zu diskriminieren, zum Beispiel jemanden, der einen BMI von mehr als 24 hat. Aber wenn man alt ist, wird man gerne zum Ziel groben Schubladendenkens und zotiger Witze. Warum wird ein hohes Alter bei uns seltener mit Dingen wie Erfahrung und Wissen verbunden als mit fehlender Belastbarkeit und Schwäche? Alte Menschen als Bremse für Innovation und Veränderung – in so einem Gedankenkontext werden Worte wie „Rentnerschwemme“, „Überalterung“ und „Pflegelast“ erdacht. „Ältere Menschen werden eher als Nutznießerinnen von Sozialleistungen und weniger als Trägerinnen von Rechten gesehen“, sagt dazu Claudia Mahler, unabhängige Expertin für die Rechte älterer Menschen der Vereinten Nationen und wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Menschenrechte.

Oder wie formulierte es Christina Focken in einem Artikel für die TAZ: „Der Wunsch, würdevoll zu altern (…) ist absurd. (…). Weil das Altern in unserer Gesellschaft ausschließlich mit einem Pfeil daherkommt, der in die Richtung von Verfall und Verlust zeigt“. Eine düstere Prognose, die letztlich alle Menschen betrifft. Zumindest die, die das Glück haben, alt zu werden.

Ageism – open your mind gilt nicht für alle

Ein Schauplatz für Ageismus in Perfektion sind oftmals auch gesellschaftspolitische Diskussionen in den sozialen Netzwerken. Hier wird immer noch oft in Altersklassen gedacht und argumentiert. Stichwort Boomer Bashing.

Wie oft hört man Lobpreisungen auf die junge Generation. Und zweifelsohne ist vieles davon mehr als verdient. Aber leider wird derartiges Lob oft garniert mit einem kleinen Diss gegen die Generationen davor. Weil sie bestimmte Dinge nicht erkannt haben. Und hier passiert es nicht selten, dass alle, die nicht zu einer bestimmten Generation gehören, in einen Topf geschmissen werden. Letztlich egal, ob jung oder alt.

Aber ist es OK, wenn Dinge per se mit einem Geburtsjahr verargumentiert werden? Wenn man jemanden in eine Gruppe von Menschen presst, sortiert nach Alter? Das fühlt sich an, als würde man ausgeschlossen. Wegsortiert. Gerade wenn es um feministische Werte geht, wie Toleranz, Offenheit und Fairness, irritiert das zum Beispiel sehr. Die Offenheit für Veränderung und der Wille, diese Gesellschaft zu einer besseren zu machen, sind nicht das Eigentum einer bestimmten Generation!

Es ist schade, wenn die vorherigen Generationen für das, was sie erreicht haben, belächelt werden. Natürlich mögen die feministischen Errungenschaften unserer Mütter und Großmütter klein aussehen, weil sie aus heutiger Sicht nicht weit genug gingen. Nicht intersektional waren. Zu sehr fokussiert auf cis und weiß und heteronormativ. Aber wir brauchen auch nicht die Einwilligung unseres Ehemannes, um arbeiten zu gehen und ein Konto zu eröffnen. Aus gutem Grund. Weil die Beseitigung dieser Bevormundung eben damals von diesen Frauen erkämpft wurde.

Warum erkennen wir das nicht an, setzen einen Haken dahinter und gehen gemeinsam weiter? Warum bekämpfen sich Menschen so häufig gegenseitig, obwohl sie doch das gleiche oder ähnliche Ziel haben? Statt den Schulterschluss zu wagen, wo das doch das naheliegendste ist? Alles andere macht wenig Sinn, wenn man sich die riesige Aufgabe vor Augen führt, vor der unsere Gesellschaft immer noch und wohl noch lange Zeit steht.

Die studierte Politikwissenschaftlerin Gilda Sahebi hat kürzlich in einem Text für Edition F die „Aufteilung von Menschen in konstruierte Gruppen“ beklagt. Hier die „Ehrlichen“, dort die „Unehrlichen“. Hier die „Fleißigen“, dort die „Faulen“. Hier die, die „leisten“, und dort die, die „nicht leisten“. Sie wünscht sich eine Gesellschaft, in der sich die Menschen verbinden, statt sich auseinanderzutreiben. Genauso sehe ich das auch in Bezug auf die Generationen.

Oft geht es in hitzigen Diskussionen um ein nicht sehen und nicht zuhören wollen. Oft um Nuancen. Manchmal um Whataboutism. Dabei sind wir uns im Kern der Sache doch eigentlich einig. Wir brauchen eine gerechtere Welt, ohne Ungleichheiten und Diskriminierung. Es ist nicht richtig, Menschen aufgrund ihres Alters auf dem Weg dorthin auszugrenzen, statt sie mitzunehmen. Das Auseinanderdriften von Gesellschaften wird weltweit derzeit schon zur Genüge in Bestform erprobt.

Gemeinsam, statt gegeneinander. Anders wird es nicht gehen. Oder eben erst in 134 Jahren.

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