Trump hetzt mit hunderten Dekreten gegen trans Menschen. Deshalb suchte Nyxh mit ihrer Partnerin Alicia Sicherheit – in Deutschland.
Dieser Artikel zuerst in der „Morgenpost“ erschienen.
An dem Tag, an dem Donald Trump zum zweiten Mal zum Präsidenten der USA gewählt wird, schreibt Nyxh ihren Eltern eine lange SMS. Sie schreibt ihnen, dass sie nichtbinär und trans ist, dass ihr neuer Name Nyxh ist, dass sie schon lange nicht mehr christlich ist, dass sie eine trans Frau als Partnerin hat und so schnell wie möglich mit ihr nach Deutschland fliehen möchte. Dann stellt sie ihr Handy aus. Sie will die Antwort nicht sehen – aus Angst vor der Reaktion ihrer Eltern, die von all dem bis dahin nichts wussten.
Am 5. November gewinnt Trump die Wahl ohne tagelange Hängepartie – das Ergebnis steht schnell – auf der Amerika-Karte überwiegt rot, republikanisch. Nyxh kann es erst kaum fassen: „Ich habe bis zum Ende daran geglaubt, dass Kamala Harris gewinnt, die Wochen davor sah es für mich danach aus“, Nyxh hält kurz inne, als sie davon erzählt, schluckt. „Es wäre ein Schritt nach vorne gewesen.“ Trump hingegen bedeutet für die 22-Jährige: unzählige Schritte zurück.
Donald Trump hat bereits im Wahlkampf gegen trans Menschen gehetzt und Transfeindlichkeit zu einem zentralen Thema seiner Kampagne gemacht. Er sprach öffentlich vom „Transgender-Irrsinn“ und kündigte an, den nach seiner Amtsübernahme „zu stoppen“. In Wahlkampfreden verspottete er trans Personen und machte sich über sie lustig. „Es fühlt sich so bedrohlich an, in diesen Zeiten in den USA queer zu sein“, sagt Nyxh. In den USA leben Schätzungen zufolge etwa 1,4 bis 1,6 Millionen Menschen, die sich als transgender identifizieren.
Queer in den USA: „Selbst wenn ich nur die Straße entlanglief, wurde ich beschimpft“
Nyxh wuchs in einem konservativen, christlichen Haushalt in New Mexico auf. „Nur Wüste, nichts Cooles in der Nähe“ – sagt sie und zuckt mit den Schultern. Dabei gilt New Mexico als progressiv. Bei der Wahl 2024 gewann den Bundesstaat Harris, nicht Trump. Trotzdem: Auch in Nyxh Kleinstadt war Diskriminierung allgegenwärtig, erzählt sie. „Selbst wenn ich einfach nur die Straße entlanglief, wurde ich aus Autos heraus mit trans- oder homophoben Beleidigungen beschimpft. Und das, obwohl ich nicht einmal offensichtlich queer unterwegs war.“ Es habe schon gereicht, dass sie nicht in Jeans, Shirt und Cowboyhut herumlief. Heute trägt Nyxh ihre langen, lockigen Haare in einem Zopf und einen grauen Pulli. Ihre Handtasche ist aus Leder, das sich einigen Stellen bereits löst. In großstädtischen Secondhandläden würde die Tasche für unverschämt viel Geld über den Tresen gehen, Nyxh zeigt die Tasche nur ungern.
Bevor Nyxh Alicia, ihre Frau, kennenlernte, heiratete sie bereits mit Anfang 20 eine andere Frau. In traditionellen, christlichen Teilen der USA nichts Ungewöhnliches. In der Beziehung war Nyxh aber unglücklich. „Ich wusste damals nicht, wer ich eigentlich bin.“ Erst nach der Scheidung, als Nyxh mehr Raum für sich hatte, begann sie zu verstehen, dass sie nichtbinär ist. Nichtbinäre Menschen verorten sich außerhalb der klassischen Zuordnung „männlich“ und „weiblich“. Oft zählen sie sich selbst auch zum trans Spektrum, da bei ihnen die eigene Identität nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt.
Nyxh Partnerin Alicia ist eine trans Frau – im Gegensatz zu Nyxh hat sie auch ihre Ausweispapiere korrigieren lassen. Nyxh sagt: „Ich bin in Texas geboren – ich hatte das bis jetzt gar nicht erst versucht.“ Der Bundesstaat Texas gilt als einer der transfeindlichsten Bundesstaaten der USA. „Vor allem wegen Alicia wollte ich nach Trumps Wahl weg. Meine Ausweisdokumente sind noch nicht geändert, ich kann mich notfalls verstecken.“
Alicia hingegen hat ihren Geschlechtseintrag bereits ändern lassen und ist nun Trumps Politik komplett ausgeliefert. Denn die Trump-Administration hat per Dekret festgelegt, dass in allen Bundesdokumenten künftig ausschließlich das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht anerkannt wird. Wenn trans Menschen einen Ausweis mit geänderter Geschlechtsangabe vorlegen, der nicht mit ihrem Erscheinungsbild oder dem Geburtsgeschlecht übereinstimmt, drohen ihnen verstärkte Kontrollen und Diskriminierung.
Wegen Trump nach Deutschland: Nyxh überrascht die Reaktion ihrer Eltern
Obendrein nimmt Alicia Hormone und ob sie die notwendigen Medikamente in den USA weiterhin bekommt, ist aktuell nicht sicher. Donald Trump hat nach seiner Wiederwahl hunderte Dekrete unterschrieben, die die Rechte von queeren Menschen angreifen und unter anderem den Zugang von trans Menschen – insbesondere Minderjährigen – zu Medikamenten und medizinischer Versorgung einschränken.
Nach ihrer Scheidung lernt Nyxh 2023 Alicia über eine Dating-App kennen. Schnell ist klar, es passt. Die beiden werden ein Paar. Nyxh Eltern sollen davon nichts wissen. „Sie sind sehr gläubig und sehr konservativ. Ich habe mich einfach nicht getraut, ihnen alles zu erzählen.“ Bis zu diesem einen Tag Anfang November. In gewisser Weise hat Trump Nyxh dazu gebracht, ihren Eltern ihr neues Leben anzuvertrauen, mit dieser einen SMS. Die Reaktion ihrer Eltern liest die Studentin am nächsten Tag – und ist überrascht: „Sie haben es erstaunlich gut verkraftet. Und: sie wollten ebenfalls nach Deutschland.“ Die Eltern seien zwar konservativ, aber immer schon gegen Trump gewesen. „Mein Vater gefällt Trumps Sozial- und Rentenpolitik nicht“, sagt Nyxh. Einzig, dass Nyxh nicht mehr christlich ist, sei für sie ein großer Schock gewesen: „In ihren Augen komme ich in die Hölle.“
Nyxh Mutter ist ursprünglich aus Deutschland – deshalb hat die 22-Jährige auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Alicia, ihre Partnerin, nicht. Die beiden heiraten kurz nach Trumps Wahl, das wollten sie ohnehin bald, aber so macht alles einfacher. Der Plan steht im Winter. Im März soll es nach Deutschland gehen, zusammen mit Nyxh Eltern.
Aus den USA nach Bremen: So geht es jetzt für das Paar weiter
Über die Hilfe von einem Freund aus Deutschland, den Nyxh online kennengelernt hat, machen sie sich auf Wohnungs- und Jobsuche. Durch ihn finden sie ein WG-Zimmer in Bremen für sich und ihre zwei Katzen – wegen denen sich die Ausreise nochmal um einen Monat verzögert. Es fehlen wichtige Papiere für die Tiere. Die Eltern reisen schon früher los, sie suchen einen kleineren Ort in Deutschland, in dem sie Ruhe finden. Die Mutter hat eine Demenz-Erkrankung. An der ostfriesischen Küste werden sie fündig.
Sieben Monate nach der Wahl sitzt Nyxh im Rhododendron-Park in Bremen auf einer Bank zwischen gelben und lilafarbenen Blumen. Den Ort hat sie für ein Treffen vorgeschlagen: „Es ist so schön und grün hier – ganz anders als in New Mexico“, befindet sie. Deshalb sei das in den eineinhalb Monaten, die sie nun schon hier ist, ihr neuer Lieblingsort geworden.
Ihr Telefon klingelt – die 22-Jährige nimmt ab. „Ich habe mittlerweile einen Job – danke“, antwortet sie. Ihr Deutsch ist flüssig, klingt durch den amerikanischen Einschlag irgendwie fröhlicher als das grummelige Norddeutsch, das sonst hier üblich ist. Sie arbeitet seit ein paar Wochen in einem Freizeitpark als Putzkraft. „Ich bin so froh, etwas gefunden zu haben.“ Alicia dürfe noch nicht arbeiten – erst, wenn mit den Papieren bei der Ausländerbehörde alles funktioniert hat.
Nyxh möchte auch versuchen, bald wieder Informatik zu studieren. Bisher sieht alles gut aus für das Paar – und eigentlich müssen sie sich keine Sorgen machen, schließlich ist Nyxh Deutsche und das Paar ist verheiratet. Trotzdem treibt beide die Angst um, jemals in die USA zurückzumüssen und dort wieder auf Hass und Anfeindungen zu treffen. Deshalb wollen sie in diesem Text auch lieber ohne Nachnamen und Gesicht bleiben.
Transperson Nyxh: „In den USA ist der Hass gegen uns laut“
„Ich möchte nicht mehr zurück. Mir fehlen meine Freunde und mache mir ihr Sorgen um sie, aber der Ort selbst? Da ist nichts, was ich vermisse.“ Die 22-Jährige glaubt, dass es in den USA immer schlimmer werden wird: „Das war erst der Anfang. Amerika ist schon jetzt dystopisch – nicht nur für queere Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund – auch wirtschaftlich.“ Erst habe Nyxh Angst gehabt, dass sie mit ihren Sorgen paranoid ist: „Ich dachte nicht, dass ich recht habe – also dass es so schlimm wird mit Trump. Aber hatte ich.“
In Deutschland fühlt sich das Paar sicherer. „In den USA ist der Hass gegen uns laut“, sagt Nyxh. In Deutschland habe sie das Gefühl, dass es noch viele Chancen gibt, etwas gegen Rechts zu tun. „Ich sehe hier so viele Proteste, allein in Bremen. In den USA muss man dafür in Washington, DC wohnen. Sonst spürt man davon nichts.“ Viele in Amerika würden Trump einfach blind unterstützen – „und meistens sind die am lautesten, die am wenigsten über Politik wissen“, fasst Nyxh zusammen. „Das sind leider viele.“
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