Je mehr wir arbeiten, desto produktiver sind wir? Immer mehr wissenschaftlichen Studien belegen, dass das nicht stimmt. Ein Plädoyer für mehr Nichtstun.
Je mehr Arbeitsstunden, desto mehr Produktivität?
In den 1980er-Jahren trugen manche Apple-Mitarbeiter Pullover mit der Aufschrift: „Working 90 hours a week and loving it”. Vehement hält sich dieser Mythos: Nur wer enorm viel arbeitet, kann auch enorm viel erreichen. Die Menge der Arbeitsstunden scheint unseren Coolness-Faktor zu bestimmen – zumindest, wenn wir in der privilegierten Position sind, in der wir uns unsere Jobs und damit unsere Arbeitszeiten selbst aussuchen zu können. 14-Stunden-Arbeitstage sind schon vor einiger Zeit zum Statussymbol geworden. Aber ist das wirklich immer noch der Traum der modernen Arbeitswelt? Immer mehr Menschen sagen zum Glück: Nein. Und das zu Recht. Denn Arbeit sollte, wenn wir das Glück haben, die Wahl zu haben, nicht alles im Leben sein. Und trotzdem werden viele Menschen, wenn sie 2017 Revue passieren lassen, feststellen, dass sie zu viel Zeit mit Arbeit und zu wenig Zeit mit ihren Familien, Freunden, Partner oder Partnern verbracht haben.
Genau hier greift der oben beschriebene Mythos: Nur wenn ich 14 Stunden gearbeitet habe, kann ich wirklich etwas gerissen haben. Dass das aber totaler Quatsch ist, belegen viele Studien der letzten Jahre: Die Rechnung „mehr Arbeitszeit gleich mehr Produktivität“ geht einfach nicht auf. 14 Stunden Arbeit an einem Projekt machen das Projekt nicht besser als acht Stunden, die wir gut genutzt haben. Es ist also höchste Zeit für ein Plädoyer für weniger Arbeit. Die Journalistin Amanda Ruggeri hat genau das Anfang Dezember für „BBC Online“ getan. Unter der Überschrift ”The compelling case für working less” zeigt sie den aktuellen Stand der Forschung auf, der bestätigt, was eigentlich nur logisch ist: Mehr Arbeitsstunden führen ab einem gewissen Punkt nicht zu mehr Produktivität, sondern zu weniger.
„Die Idee, dass man seine Konzentration und seine Produktivität zeitlich beliebig weit ausdehnen kann, ist falsch. Es ist selbstschädigend”, zitiert Ruggeri den Wissenschaftler und Buchautor Andrew Smart. Diese Ausreizung macht uns, auch das zeigt die Forschung, langfristig gestresst, unglücklich und sogar krank. In Japan ist diese Entwicklung mittlerweile so weit, dass es ein eigenes Wort für den Tod durch Überarbeitung gibt: Karōshi.
Pausen sind essentiell
Außerdem brauchen wir Pausen, um neue Dinge wirklich zu erlernen, fand K. Anders Ericsson, Psychologe und Forscher an der Stockholm University, heraus. Die meisten Menschen können nur eine Stunde ohne Unterbrechung konzentriert arbeiten. Aber wie viele Menschen stehen nach 60 Minuten Arbeitszeit auf, um zum Beispiel einmal frische Luft zu schnappen? So gut wie niemand. Lieber bleiben wir sitzen und surfen, weil wir uns nicht mehr konzentrieren können, mehr oder weniger heimlich durch unsere Facebook-Timeline, immer mit der unterschwelligen Angst, dass wir den Ton nicht ausgestellt haben und plötzlich der jaulende Hund aus dem Video durchs ganz Büro schallt. Oder wir suchen, wie 19 Prozent der Teilnehmer einer britischen Studie unter 2.000 Vollzeit-Büroangestellten, während der Arbeitszeit bereits nach einem neuen Job. Die gleiche Studie kam übrigens zu dem Schluss, dass die Teilnehmer nur zwei Stunden und 53 Minuten ihres Acht-Stunden-Arbeitstages produktiv waren.
Wir leben in einer Zeit, in der wir das Gefühl haben, immer etwas tun zu müssen. Nichts zu tun ist aber genauso wichtig. Erst einmal für unsere Produktivität, denn während der Zeit des Nichtstuns wird der Teil des Gehirns aktiviert, der reizunabhängiges Denken möglich macht, das sogenannte Ruhezustandsnetzwerk. Dieser Teil des Gehirns wird auch aktiviert, wenn wir andere Menschen beobachten, uns selbst reflektieren, eine moralische Bewertung vornehmen oder die Gefühle und das Verhalten anderer Menschen für uns einordnen. Je mehr auf diese Art von Nichtstun verzichten, desto weniger einfühlsam können wir sein, desto weniger weitsichtig können wir Entscheidungen treffen und handeln, desto weniger können wir auf Kollegen und Mitmenschen eingehen, desto weniger produktiv und glücklich sind wir im Job – und im Leben.
Ein Hoch auf das Nichtstun
Und vielleicht könnte es sogar unsere Welt retten. Das glaubt zumindest der niederländische Historiker und Autor Rutger Bregman. Er ist sich sicher: Kürzere Arbeitswochen könnten Unfälle verhindern, den Klimawandel einschränken und zur Gleichberechtigung beitragen. Es lohnt sich also, sich selbst regelmäßige Pausen zuzugestehen, für uns, unsere Chefs, unsere Mitmenschen und unsere Zukunft.
2012 stellten Forscher übrigens fest, dass der Mac-Computer, an dem die stolzen Apple-Mitarbeiter so viele Stunden die Woche gearbeitet haben, vielleicht schon ein Jahr früher fertig gewesen wäre – wenn die Entwickler nur die Hälfte der 90 Stunden gearbeitet hätten.
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