Kaum eine Branche ist so dynamisch und schnelllebig wie die Unternehmensberatung. Die Autorin Charlie Kant gibt in ihrem Buch Einblicke in einen Alltag, in dem keine Zeit für Hobbys oder Familie ist, jedoch für Calls und Meetings bis nach Mitternacht.
Beautiful Beraterleben
Jahrelang war die Autorin Charlie Kant im Haifischbecken der Unternehmensberatung tätig. Mit Humor und Selbstironie erzählt sie in ihrem Buch „Wie lang ist die Extrameile: Eine Unternehmensberaterin misst nach“ von der harten Realität als Unternehmensberaterin. Auf knapp 280 Seiten können wir von ihr lernen, was den „High Performer“ vom „Low Performer“ unterscheidet, wie man Headhunter auf sich aufmerksam macht und auch, wie man zum Anti-Berater wird. Unter mehreren Anekdoten wirft Charlie Kant einen Blick hinter die Kulissen und reflektiert den, wie sie so schön sagt, „ganz normalen Berater-Wahnsinn“. Wir stellen euch einen Auszug aus ihrem Buch vor:
Wer geht die Extrameile?
Ich fand Fragen nach dem „Warum“ schon immer interessant. Wieso leben wir Menschen nicht in der Luft oder unter Wasser? Weshalb mag ich keine Schokolade, kein Lakritz und keinen schwarzen Tee? Warum heben Hündinnen beim Pinkeln seltener ihr Bein als Rüden? Generell beschäftigen mich die merkwürdigsten Dinge: Welche Lehne im Kino gehört mir? Was für ein Tier ist Kassler? Wieso leuchten Sonnenuntergänge rot? Alles mehr oder weniger relevante Fragen, die ich mir mehr oder weniger häufig stelle. So auch diejenige, die mir zum allerersten Mal an meinem ersten Arbeitstag in den Kopf kam: „Wieso entscheiden sich Menschen dafür, bei einer Unternehmensberatung zu arbeiten?“
Welchen Typ Mensch zieht die Beratung an? Allgemeinplätze wie „ehrgeizige, leistungsorientierte und karrierebewusste Menschen“ wären nur ein Teil der Wahrheit. Irgendwoher muss der Antrieb ja schließlich kommen, damit man freiwillig und täglich im Hamsterrad seine Runden dreht. Mein persönliches Motiv war: Ich wollte ein gutes Einstiegsgehalt, eine steile Lernkurve, Abwechslung und nicht zuletzt wollte ich … mir selbst beweisen, dass ich „smart“ genug für den Job eines Consultants bin. Außerdem betreiben Unternehmensberatungen ausgezeichnetes Impression Management, indem sie sich auf allen InternetForen für Berufseinsteiger tummeln, Elite-Werbung bei Studienstiftungen und Förderprogrammen betreiben und kostspielige Events für StudentInnen veranstalten. Sie schwingen ihre Recruiting-Angeln sehr geschickt und werfen dicke Köder aus. Um im Anglerjargon zu bleiben, könnte man sagen, die Unternehmensberatungen holen die Blinker und Spinner heraus, um damit die Hechte aus dem Karpfenteich zu fischen! Denn sie wissen: Um die OverAchiever anzulocken, würden Fischfetzen und Kunstfliegen als Köder nicht ausreichen. Doch wenn die Over-Achiever dann in das Haifischbecken überführt werden, hält man sie auf FischfutterNiveau. Denn die eigentlich großen Fische – die Haie – sind: die Kunden. Von den Consultants wird bloß erwartet, die Extrameile bis nach Mitternacht zu gehen, nicht aufzumucken und die Kunden zufriedenzustellen.
Die unsicheren Über-Erreicher
Doch genug der Fischanalogien. Vor einigen Jahren machten Beratungen damit Schlagzeile, dass sie für ihre Consultants intern den Begriff „Insecure Over-Achiever“ verwenden. Diese „unsicheren Über-Erreicher“ sind fester Bestandteil des Geschäftsprinzips erfolgreicher Unternehmensberatungen. Ihr Profil? Insecure Over-Achiever nehmen jede Aufgabe an und führen sie „on time and Clientready“ aus. Sie lieben Struktur und klare Karrierepfade, halten sich jedoch zugleich ihre Wege offen, um das Gefühl zu behalten, etwas „Besseres“ warte jederzeit auf sie. Insecure Over-Achiever sind wie gemacht für den kontinuierlichen Druck und das herausfordernde Umfeld, das in der Consultingbranche herrscht, da sie gerne Tag und Nacht sowie an den Wochenenden zur Verfügung stehen, denn sie lechzen nach der Anerkennung von Vorgesetzten, Kollegen und Kunden. Und der springende Punkt ist: Sie haben selbst dann noch Angst, nicht den Erwartungen entsprechend zu delivern. Weil sie wie Süchtige auf der Suche nach ihrem eigenen Wert sind.
Ein Ex-Berater, der acht Jahre lang bei einer der Top-Unternehmensberatungen gearbeitet hatte, erklärte mir seine Theorie: Seiner Meinung nach seien es insbesondere junge Leute aus der „Arbeiterklasse“, die es in die Beratung zieht. Er erklärte, dass die unsicheren Über-Erreicher unter zu wenig Anerkennung von ihren Eltern und der Gesellschaft im Allgemeinen litten. Und dass sie deshalb ein Leben lang danach strebten, dieses Loch zu füllen. Ähnlich der permanenten Unrast und dem Hunger des ehemaligen Tellerwäschers, der auch dann unstillbar bleibe, wenn er inzwischen in teuren Restaurants speist. Doch was nützt es zu psychologisieren? Die Fische beißen weiterhin an und stören sich nur geringfügig daran, wenn sie herausfinden, dass sie ausgenutzt werden. Denn für sie fühlt es sich nicht danach an. In ihren Augen schwimmen sie, die Hechte, neben den Haien dem warmen Golfstrom entgegen. Und „insecure“ hin oder her – besser, als ein „bequemer Under-Performer“ zu sein und mit den Karpfen zu schwimmen, ist es allemal!
aus: „Wie lang ist die Extrameile: Eine Unternehmensberaterin misst nach“, Schwarzkopf Verlag, 1. April 2018, 274 Seiten, 14,99 Euro
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