Darf sich wirklich jeder „Coach” nennen, der einen Wochenendkurs absolviert hat? Gedanken zur 3sat-Wissenschaftsdokumentation „Coachingwahn”
Coaching ist der Megatrend in der Weiterbildung
„Die Arbeitsleistung steigern, Führungskompetenz entwickeln, neue Fähigkeiten einüben: Um berufliche Ziele zu erreichen, gilt Coaching als probates Mittel. Zunehmend beauftragen auch kleine und mittelständische Unternehmen, öffentliche Behörden, Bildungsträger oder Krankenhäuser Coaches. In Deutschland arbeiten derzeit etwa 8.000 Coaches. Der Branchenumsatz liegt in Deutschland pro Jahr bei 450 Millionen Euro. Weltweit werden mit den Fortbildungen jährlich 1,9 Milliarden Dollar umgesetzt. Damit stehen wir nach den USA und Großbritannien weltweit auf Rang drei. Coaching ist der Megatrend der Weiterbildung.”
Der deutsche Fernsehsender 3sat bringt es in der Beschreibung zu seiner Wissenschaftsdokumentation „Coachingwahn” vom 1. Oktober auf den Punkt: An Coaching kommt heute keiner mehr vorbei. Was in den 90er-Jahren als Trend aus den USA kommend hier in Deutschland zunächst auf Skepsis stieß, hat sich heute längst auch in der deutschen Wirtschaft, Bildung und Beratung etabliert. Arbeitgeber wissen Coaching als Problemlöser zu schätzen. Kunden bestätigen, dass Coaching hilft. Bachelor- und Diplomarbeiten beweisen die Wirksamkeit von Coaching empirisch.
Soweit die dargestellten Zahlen und Fakten; soweit, so gut.
Und doch zieht sich durch die „Wissenschaftsdoku” ein fahler Beigeschmack, wie schon der Titel der Sendung mit „Coachingwahn” erahnen lässt: Vermutlich wäre es kein deutsches Bildungsfernsehen, würde der „kritische” Blick auf diese Erfolgsgeschichte fehlen.
Richtig ist zwar, dass Coaching kein akademisches Studienfach ist – das war Psychologie bis vor 150 Jahren auch nicht. Es gilt als Weiterbildung, die meist auf einen bereits vorhandenen akademischen Abschluss folgt. Eine Coachingausbildung dauert im Durchschnitt 200 Stunden, umfasst Theorie- und Praxiseinheiten, kostet circa 5.000 Euro und muss fortlaufend durch Weiterbildungen erneuert werden. Die Gewerbeaufsicht, Industrie- und Handelskammern sowie Verbraucherschutzverbände haben klar definiert, wer sich unter welchen Voraussetzungen Coach nennen und als solcher arbeiten darf. Viele der Berufsverbände für Coaches, wie etwa die “Internationale Coach Federation” (ICF) mit 15.000 Mitgliedern weltweit, die an diesem Wochenende in Berlin ihr 20-jähriges Bestehen feiert, haben sich selbst freiwillig noch strengeren, transparenten und international einheitlichen Qualitätsstandards unterworfen.
Coachingstunden kosten je nach Thema und zugrunde liegender beruflicher Qualifikation des Coaches ab 75 Euro, also weniger als eine Handwerkerstunde (beispielsweise für einen Lern-Coach für Kinder, der das individuelle Lernprofil ermitteln und Lernerfolge durch Ausbau der Lernstärken erzielen soll).
Die in der Dokumentation beschriebene Gefahr, dass sich also jeder nach einem Wochenendkurs für 300 Euro Coach nennen darf und als solcher für teuer Geld arbeitet, besteht wohl kaum. Für den Kunden gilt hier dasselbe wie bei jeder anderen Dienstleistung: „trau, schau wem”.
Um den geneigten Zuschauer in den 45 Minuten Sendezeit nicht mit nüchternen Fakten und Kritik zu langweilen, fügt der Verfasser farbenfrohe Bilder von schamanischen Feuerzeremonien, hypnotischen Pendelbewegungen und Figuren-Aufstellungen ein; Szenen, wie man sich in Deutschland Anfang der 90er-Jahre Coaching vorstellte, als sich allenfalls Therapeuten dieser neuen Methode zuwandten.
Keine Beratung, sondern Unterstützung
Heute wird in nahezu allen Berufsverbänden für Coaches Coaching strikt zu Therapie, Beratung, Training und Lehre abgegrenzt: Der Coach unterstützt und beschleunigt die Steigerung des persönlichen und professionellen Potenzials des Coachees, wobei die Ergebnisse des Coachings allein aus den Entscheidungen und Handlungen des Klienten herrühren (Definition des ICF). Der Coach berät nicht, er vermittelt nicht und er bringt nichts bei. Der Coach ersetzt keine ärztliche Diagnose und arbeitet nur mit gesunden Klienten. Ideen aus der Esoterik oder Scientology sind ausdrücklich nicht Bestandteil von Coaching. Aber Berufsverbände kamen in der Dokumentation nicht zu Wort.
Dennoch hört man den Sprecher im Hintergrund besorgt resümieren: „Prinzipiell kann jeder als Berater tätig werden und deshalb gibt es in der Branche auch viele schwarze Schafe”. Schade, dass sich 3sat mit „Coachingwahn” so wenig Mühe gegeben hat und gedankenlos über „diesen Megatrend der Weiterbildung” schlecht recherchierte Halbwahrheiten, garniert mit Polemik, als “3sat-Wissenschaftsdokumentation” ausstrahlt.
Der Erfolgsgeschichte des Coachings, dem „Coachingwahn”, wird es keinen Abbruch tun.
Im Journalismus ist es wohl wie im Coaching: Entweder man arbeitet professionell, Werten und Qualität verpflichtet – oder eben nicht.
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