Foto: Jay Wennington | unsplash

Rechte Hetze im Netz und die Gefahr der Filterbubble

Patrick Gensing ist Journalist und Blogger mit dem Schwerpunkt Rechtsextremismus. Jetzt hat er ein neues Buch darüber geschrieben, welche Gefahr von rechter Hetze im Internet ausgeht und wie sehr sie noch unterschätzt wird.

 

Die unterschätze Gefahr im Netz

Dass soziale Medien wie zum Beispiel Facebook das Nutzerverhalten messen und dann nur noch die Inhalte ausgeben, die den Interessen entsprechen, ist bekannt. Hierbei geht es aber nicht nur um Freunde und lustigen Newsseiten, es kann auch politisch relevant werden. Denn es geht eine Gefahr davon aus, dass so etwa Sympathisanten der rechten Szene immer neue Gruppen und Seiten vorgeschlagen werden, die fremdenfeindlichen Hass verbreiten. Patrick Gesing hat sein viertes Buch veröffentlicht, das die Hintergründe zur Gefahr der rechten Hetze im Netz beleuchtet und wie sie sich auswirkt. Wir veröffentlichen einen Auszug:

Filterblase als Wohlfühloase

Die Netzwerke tragen selbstverständlich keine Schuld an politischem Fehlverhalten; sie sind nicht Ursache für Ressentiments, aber sie machen diese deutlich sichtbar. Die Möglichkeiten der Netzwerke spielen den Strategien von Populisten in die Hände, sie wirken als Beschleuniger sowie Verstärker: Facebooks Servicefunktion, mit der es seinen Nutzerinnen und Nutzern potenzielle Freunde, Gruppen und Seiten anzeigt, die den jeweiligen persönlichen Interessen und Meinungen entsprechen, hilft maßgeblich bei dem Einstieg in die rechte Szene. Hat Facebook beispielsweise durch Klicks auf eine «Bürgerinitiative» gegen ein Flüchtlingsheim oder das Teilen von entsprechenden Inhalten einen Nutzer erst einmal in diesem politischen Milieu verortet, wird eine automatisierte Spirale in Gang gesetzt: Das Netzwerk bietet den jeweiligen Nutzern immer neue Personen und Seiten an, die politisch passen sollen.

Das soziale Netzwerk schafft so eine individuell zugeschnittene Wohlfühloase. Es werden Inhalte vorgeschlagen, die gefallen und potenzielle Freunde, die ähnliche Meinungen vertreten. Auf diesem Weg finden sich Gleichgesinnte leicht zusammen; Meinungen, die die eigene infrage stellen, werden ausgeblendet. In den Filterblasen herrscht zumeist Konsens: Man bestärkt sich gegenseitig in der gemeinsamen Haltung und Weltsicht. Ein Phänomen, das längst nicht auf die rechte Szene beschränkt, hier aber besonders ausgeprägt ist weil sich selbst gewählte Isolation und eine Ideologie, die ein glasklares Freund-Feind-Denken umfasst, perfekt ergänzen.

Eine Welt wie sie mir gefällt

Wer weder die eigene Meinung überprüfen noch die eigene Perspektive reflektieren möchte, sondern ausschließlich nach Bestätigung sucht, wird mit solchen maßgeschneiderten Filterblasen bestens bedient. Die eigene Weltsicht kann hier zur absoluten und unumstößlichen Wahrheit mutieren. Diese neuen Mikroeinheiten der Öffentlichkeit erinnern an Gruppen von politischen Sektierern: Wer dazugehören möchte, sollte nicht widersprechen, sondern die jeweils vorherrschenden Meinungen sowie Normvorstellungen teilen und wiederholen. Viele Facebook-Gruppen werden zu fanatischen Meinungsfestungen, zu Trutzburgen der Irrationalität ausgebaut, in denen man sich häuslich einrichtete und von denen aus zum Sturm auf alle geblasen wird, die als Gegner identifiziert und markiert werden.

Solche Prozesse der absoluten Abschottung müssen zwangsläufig Folgen haben. Wer sich nur noch mit Gleichgesinnten umgibt, die sich ständig mit bereits
vorselektierten Informationsfetzen befeuern, verändert seine gesamte
Wahrnehmung. Fast jeder kennt wohl solche Prozesse in abgeschwächter Form von sich selbst: Wer ein bestimmtes Fachgebiet neu für sich entdeckt, wird dafür sensibilisiert bestimmte Dinge wahrzunehmen, die man zuvor unbewusst als nicht bemerkenswert wegsortiert hat. Wer sich mit Architektur beschäftigt, sieht Gebäude und Städte plötzlich mit ganz anderen Augen; wer sich mit Medienwissenschaft befasst, verändert den Blick auf Nachrichtensendungen oder TV-Formatebڋ und wer viel Zeit in rechtsradikal-geprägten Filterblasen verbringt, in denen sich Gleichgesinnte rund um die Uhr mit Inhalten über angeblich schwerkriminelle Ausländer sowie vermeintliche Lügen von Politik und Medien aufstacheln, wird zwar nicht sensibilisiert, aber fokussiert seinen Wahrnehmungsfokus auf alles, was mit diesem Thema zu tun haben könnte. Plötzlich erscheinen die kleinsten Nebensächlichkeiten existentiell wichtig. Jeder halbwegs passende Informationsfetzen wird unabhängig vom Kontext oder Glaubwürdigkeit der 4uelle zu einem Baustein, um die eigene Weltsicht zu manifestieren und zu sichern.

Daher wird vielen exzessiven Kommentatoren das ständige Wiederholen von unbelegten Behauptungen nicht langweilig, weil jede weitere vermeintliche Untermauerung für die eigene Weltsicht das Gefühl von Gewissheit und damit Sicherheit vermehrt. Je unsicherer jemand ist, desto öfter muss er sich vergewissern, Recht zu haben. Dabei können solche Menschen ins Irrationale abdriften. Sie glauben nichts mehr, was ihnen nicht passt und halten den gesamten politischen Betrieb sowie die unabhängige Arbeit von Journalisten und Medien für eine Inszenierung und Lüge. Dinge zu hinterfragen, stellt die Basis des kritischen Denkens da. Aber alles, was man nicht hören will, als Lüge zu diffamieren, hat nichts mit kritischem Denken zu tun. Es entwickeln sich Parallelwelten. Ein Beispiel: Daniel H., nach eigenen Angaben «Pegida»- und AfD-Anhänger, ist überzeugt, die Landtagswahlen am 16.März 2016 seien manipuliert worden zu Ungunsten der AfD.
Diesen Verdacht begründet H. auf Facebook folgendermaßen:

„Die ganze scheisse stinkt gewaltig!!! Wer Bitte wählt die grünen ???? Wer die CDU??? Man kann mir viel erzählen aber das die grünen 30 haben das kann nicht sein nie und nimmer. Eher afd 40 grün 10 CDU würde ich 20 geben aber das was die uns ernsthaft als Ergebnisse nennen. Ist lachhaft.”

Tatsächlich sind solche Kommentare lachhaft, doch dokumentiert dieser anschaulich und beispielhaft die vollkommene Unfähigkeit, zwischen subjektiver Perspektive bzw. der Stimmung in der eigenen Filterblase auf der einen und einer komplexen gesellschaftlichen Realität auf der anderen Seite zu unterscheiden. Fehlen Belege für die eigene Weltsicht, müssen Verschwörungslegenden gestrickt werden – so wie hier die Idee, mehrere Landtagswahlen mit Tausenden Beteiligten seien massiv manipuliert worden. Eine sachliche Diskussion mit jemandem zu führen, der auf Basis solcher Kategorien „argumentiert”, ist unmöglich.

Patrick Gesing: Rechte Hetze im Netz – eine unterschätzte Gefahr (Rowohlt Rotation), Mai 2016, 51 Seiten, 1,99 Euro (eBook)

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