Foto: Marcela– Flickr – CC BY 2.0

Warum es so wichtig ist, eine Haltung zu haben

Kann es uns egal sein, dass Menschen sich gegen ein weltoffenes Deutschland stellen und sich in anderen Parteien nicht mehr wiederfinden? Betrifft es *uns* nicht, wenn die AfD in Parlamenten sitzt? Dass Deutschland sichtbar nach rechts rückt, betrifft uns alle.

 

Stehst du für etwas ein?

Irgendwann hat diesen Satz jede Journalistin und jeder Journalist einmal gehört und dann in einem Gespräch oder Vortrag zitiert: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache – auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazu gehört.“ Das sagte der TV-Journalist Hanns Joachim Friedrichs vor knapp 20 Jahren, kurz bevor er 1995 verstarb. Es ist unter Medienschaffenden viel darüber diskutiert worden, was das genau für die Objektivität in der Berichterstattung bedeuten soll, wie starr ihre Neutralität definiert ist, wann die Grenze zum Aktivismus überschritten wird – oder ob es nicht sogar schon immer aktivistischen Journalismus gab und dieser auch eine Legitimation hat.

Denn eines dürfte klar sein: Unumstößliche Wahrheiten gibt es nicht. Was der Mehrheit der Menschen als Unrecht erscheint oder mir persönlich, sieht eine andere Person vielleicht gänzlich anders, vielleicht wird dieses Unrecht auch nicht rechtlich erfasst. Daher ist es immer eine Frage der Haltung, an welchem Maßstab ich mich als Person – auch als Journalistin – orientiere. Ein Beispiel: Wenn ich mit am aktuellen Sexualstrafrecht orientieren würde, könnte ich Grapschen in der U-Bahn nicht als Unrecht bezeichnen – denn es ist keine Straftat. Ich denke nicht, dass ich in dem Moment, in dem ich schreibe, dass Grapschen nicht erlaubt und unter Strafe gestellt werden sollte, als Aktivistin schreibe. Ich denke auch nicht, dass wenn ich schreibe, dass die Ungleichbezahlung von Männern und Frauen etwas ist, dass wir als Gesellschaft beheben sollten, ich dabei aktivistisch handele. Mein Maßstab ist dabei eine kritische Analyse von gesellschaftlichen Strukturen und ihren Wirkungen sowie mein persönliches Unrechtsempfinden. Ich nenne das eine Haltung.

Hanns Joachim Friedrich sagte übrigens auch: 

„Cool bleiben, ohne kalt zu sein.“

Dafür, eine Haltung zu haben, wurde vor Kurzem die ZDF-Journalistin Dunja Hayali von der AfD-Vorsitzenden Frauke Petry kritisiert: Hayali erscheine „zunehmend mehr als politische Aktivistin denn als professionell arbeitende Journalistin“, begründete Petry ihre mehrfache Absage, an Hayalis Sendung teilzunehmen und ihr ein Interview zu geben. Petry kritisierte, dass die Journalistin sich in Vereinen engagiere, die gegen Rassismus eintreten. Hayali hat aber außerdem in ihrer Arbeit bei AfD-Politikern und Sympathisanten immer wieder kritisch nachgefragt, um neben den vermeintlichen einfachen Wahrheiten, die die AfD in ihrer Kommunikation in den Vordergrund stellt, mehr über ihr politisches Programm zu erfahren und die Zuschauer der Sendung somit gründlicher zu informieren.

Ich nehme den Journalismus an dieser Stelle als zwiegespalten wahr, viele Medien sind bemüht, über das Programm der AfD aufzuklären, wie etwa dieser Text von Kai Biermann bei Zeit Online, der sich (zum Glück!) nicht liest wie eine trockene Analyse, sondern aus der sich eine Haltung des Autors herauslesen lässt. Die andere Seite der medialen Berichterstattung ist, dass es besonders in Fernsehformaten oft nicht gelingt, AfD-Vertreterinnen und –Vertreter kritisch zu interviewen und sich Szenen ergaben wie der Sonntagabend, an der AfD-Landespolitiker Bernd Höcke über den Ledersessel im Jauch-Studio eine Deutschlandfahne hängte – und sowohl der Moderator als auch die anderen Gäste völlig hilflos wirkten. 

Wer kommt zu Wort?

Die AfD und in den Vormonaten auch Pegida bekommen aktuell sehr große Bühnen, die andere gesellschaftliche Stimmen nicht bekommen. In wie vielen politischen Talkshows kamen eigentlich geflüchtete Menschen zu Wort oder andere Menschen, die im Alltag Rassismus erfahren? Auch diese journalistische Gewichtung ist eine Haltung – und auch eine Frage der medialen Verantwortung.

Ich finde, dass wir die AfD, den Hass und den Terror von Rechts, die Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, die Lügen, die verbreitet werden und die Gleichgültigkeit demgegenüber nicht ernst genug nehmen.

Als die ersten Prognosen für die Wahlergebnisse für die Bundesländer Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg am Abend des 13. März veröffentlicht wurden, setzte bei mir bereits eine Art Enttäuschungsmanagement ein: Ich wusste, dass vor allem die Spitzenpolitiker von CDU und SPD sich die für sie positiven Ergebnisse herauspicken würden, um sich auf die Schulter zu klopfen, und mit Selbstkritik sparsam sein würden, wenn überhaupt. 

Bei diesen Erfolgen der AfD hatte ausnahmslos keine Partei gewonnen – allesamt hatten sie verloren, versagt darin, Wählerinnen und Wähler von Alternativen zu überzeugen.

Der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel nahm in einem 20-minütigen ZDF-Interview nach der Wahl keine einzige Vorlage der Moderatorin Bettina Schausten und ihres Kollegens Peter Frey an, um zu erklären, was die SPD habe besser machen können – stattdessen erklärte er den Wahlsieg von Malu Dreyer (SPD) in Rheinland-Pfalz zu einem Erfolg der SPD. Aber wie erklärt er dann, dass die SPD in den beiden anderen Bundesländern sogar hinter der AfD landete? Zur AfD erklärte Gabriel dann lediglich, dass sie ihm Sorgen mache, man sich kümmern müsste, und er hoffe, nicht mit Frauke Petry in einer Talkshow sitzen zu müssen. 

Der CDU-Generalsekretär Peter Tauber sagte nach der Wahl: „Der Wahlkampf fand in schwierigen Zeiten statt.“ Bei der FDP auf der Website lese ich: „Die Freien Demokraten dürfen sich zu den Gewinnern der Wahlen in den drei wichtigen Ländern Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt zählen.“ Linksparteichef Bernd Riexinger schrieb immerhin, es bräuchte einen „gesellschaftlichen Aufbruch gegen den Rechtsruck“ und die Grünen-Abgeordneten Ekin Deligöz und Dieter Janecek machten in einem Positionspapier transparent, was sie aus der Wahl lernen müssten. Eine Sorge über die starken Wahlergebnisse der AfD klang bei diesen fünf Parteien zwar an, erstickte aber in der Selbstversicherung, eigentlich alles richtig zu machen.

„Alles wird gut“ ist ein starkes Mantra, aber wie genau das gelingen soll, sagt keine der Parteien – und vermutlich weiß es auch keine. Denn ohne Selbstkritik und Bereitschaft wirklich lernen zu wollen, warum Wähler sich abwenden, wird das nichts. Ich glaube jedoch, dass die Parteien sich stärker mit der AfD auseinandersetzen müssen. Im Gegensatz zu den Piraten, wird sie sich nicht von selbst erledigen. Das kann niemandem egal sein, der in einer offenen Gesellschaft leben will – nicht einmal mittelfristig.

Was juckt mich die AfD

„Eine AfD zu ertragen und zu ignorieren ist ein Privileg, das Schwarze und People of Color nicht haben“, schrieb der Politikwissenschaftler Ozan Keskinkılıç am Abend der Wahl als öffentlichen Post auf seinem Facebook-Account und machte wie so viele andere Aktivisten darauf aufmerksam, dass der Rassismus, der vielen Menschen in Deutschland Angst macht als „Einbildung“ und „Übertreibung“ abgetan werde, während man die Ängste der so genannten „besorgten Bürger“ gegenüber zuwandernden Menschen ernst nehme. Kurz gesprochen und da schließe ich mich an: Wer die AfD und Rechtsextremismus ignoriert und hofft, dass sich der Zuspruch auswächst, nimmt in Kauf, dass Menschen in Deutschland tagtäglich Hass erfahren und nicht frei leben können. Auf dieses Unrecht muss ich hinweisen, auch als Journalistin, denn eine sorgsame Analyse muss hier zum Schluss kommen: Einzelne können die AfD ertragen, viele andere nicht.

Als in dieser Woche die Eilmeldungen über die Bombenanschläge in Brüssel durch meinen Newsfeed rasten, machte ich mir keine Sorgen, dass der Terror „nun näher käme“, wie man so oft liest. Ich mache mir vor allem Sorgen, dass sich die Stimmung gegen muslimische Menschen und gegen Geflüchtete weiter verschärft, dass Menschen in Deutschland innerlich zumachen und weiter darüber diskutiert wird, auch Deutschland und Europa äußerlich stärker abzuriegeln. Ich mache mir Sorgen, dass rechte Parteien immer stärker werden, dass sich die Grenzen des Sagbaren noch mehr verschieben, dass sich politische Debatten auf innere Sicherheit und Zuwanderung als Problem verengen und wir darüber den Blick auf die vielfältigen politischen Konzepte verlieren, die möglich sind. Mit der Angst verharren wir, wollen vielleicht sogar lieber noch einen Schritt zurück. Gesellschaftlicher und sozialer Fortschritt werden dann schwieriger. Wir stimmen aber, wenn wir zur Wahl gehen, über sehr viel mehr ab, als über Asylpolitik und Überwachung.

Ja, natürlich ist das ein No-Brainer. Die recht unterschiedlichen Ergebnisse in den Bundesländern haben klar gezeigt, dass die Wählerinnen und Wähler sehr genau wussten, wem sie ihre Stimme geben. Ob aufgrund einer charismatischen Persönlichkeit oder dem Wunsch, die Ministerpräsidentin bzw. –präsidenten zu bestätigen, aus Protest, für oder gegen die Flüchtlingspolitik oder einem ganz anderen Bereich – Menschen setzen sich mit Parteien, ihren Programmen und ihren Politikern auseinander.

Woran Parteien arbeiten müssen

Politische Präferenzen ändern sich nicht, wenn man Menschen als Dumpfbacken beschimpft, die eigene Politik lobt und sich wundert, dass trotz vermeintlich tollen Konzepten die Kreuzchen auf dem Wahlzettel ausbleiben.

Wo können also Organisationen (nicht nur Parteien) ansetzen, was müssen sie verändern, wenn sie Unterstützung für ihre Ideen gewinnen möchten und Medien ebenso, wenn sie Politik erklären wollen?

– Tolle Konzepte muss man erklären und vermitteln. (Kommunikationsproblem)

– Weniger tolle Konzepte muss man verbessern, zum Beispiel im Dialog. (Diversitätsproblem, Partizipationsproblem, Das-war-schon-immer-so-Problem, Wir-wissen-was-gut-für-euch-ist-Problem)

– Weniger tolle Konzepte von anderen kann man kritisieren, wenn man bessere Konzepte aufzeigen kann. (Kommunikationsproblem, Die-sind-aber-blöd-Problem)

– Konzepte müssen zugeordnet werden können. (Kommunikationsproblem, Abgrenzungsproblem, Morgen-bin-ich-anderer-Meinung-Problem)

– Konzepte müssen von Menschen erklärt werden – von möglichst unterschiedlichen. (Diversitätsproblem, Personalproblem, Nachwuchsproblem, Macht-abgeben-Problem).

– Menschen und Themen müssen ihre Zielgruppen erreichen (können). (Kommunikationsproblem, Wen-oder-was-finden-Journalisten-wichtig-Problem)

Was du selbst tun kannst

Welche Rolle du dabei spielst, wenn du weder politisch aktiv bist noch in den Medien arbeitest? Du kannst mitreden, mitmachen, mitorganisieren – auch, ohne gleich Mitglied einer Partei zu werden. Nora hat hier dazu Anfang der Woche ausführlich geschrieben – und es gibt sehr viele Möglichkeiten mitzuteilen und darüber zu diskutieren, wie du dir das Leben vorstellst, was schon super ist, was richtig blöd und was sich dringend ändern muss – und wie. Ich glaube, dass gute Ideen sich durchsetzen können – unabhängig davon, ob gerade gewählt wird. 

Dafür müssen sich aber vor allem diejenigen bewegen, die diese Ideen haben und wollen, dass sie Wirklichkeit werden. Nein, die AfD, die Rassisten und der Hass werden nicht von allein verschwinden.


Titelbild: Marcela – Flickr – CC BY 2.0

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