Foto: meike neitz

Es ging doch auch mal ohne Smartphone?!? Von Digital Detox und Erinnerungen an eine Kindheit im glücklichen Offline

Ist es nicht verrückt, dass wir mit unseren 30-something schon von “früher” reden? “Weißt du noch, damals, als wir uns nachmittags noch Briefe geschrieben haben, obwohl wir uns jeden Tag in der Schule sahen?” Frage ich meine beste Freundin. Ich nenne uns nicht die “Generation Y” sondern die Zwischen-Offline-und-Online-Generation.

Freut ihr euch nicht auch, euch noch zu der Generation zählen zu dürfen, die noch weiß wie es war ohne Handy, ohne Internet?

Ein kleiner Rückblick und ein Selbsversuch in digitaler “Detox”

 

Es gibt viele Gründe, warum ich sehr froh bin, ein Kind der 1980er
Jahre zu sein. Ich nenne uns nicht die „Generation Y“ – sondern die
Zwischen-Offline-und-Online-Generation.

Dazu zählt zum Beispiel, dass völlig verquerte Klamottentrends noch im
schmerzbefreiten, Analogkamera-Alter an mir zu sehen waren. Ist es
nicht eine beruhigend, dass die damaligen stilistischen Fehltritte noch nicht
 digital festgehalten wurden, sondern schön vom Fotoladen entwickelt, in
 irgendwelchen gut versteckten, persönlichen Foto-Schatztruhen und
Tagebüchern vor sich hin archivieren? Sie werden nur gelegentlich, bei
dringendem Erheiterungsbedarf von Familie und Freunden hervorgekramt.

Nun stelle man sich einmal vor, man wäre in der heutigen Zeit aufgewachsen.
 Kein Wunder, dass die heutigen Teenage-Girls und Justin-Bieber-Boys
unter einem so hohen Fashiondruck aufwachsen- denn schließlich werden die
Outfits des Tages mitunter rasendschnell durch das world wide web
gefegt.
Analoge Fotorollen zum Entwickeln wegzugeben und diese schöne Spannung, die entwickelten Bilder erst Tage später abholen zu dürfen, das kennt die Digitalgeneration kaum. Der Fotoausdruck limitiert sich heutzutage auf dringende Oma-Geschenke oder zur Bilderrahmen-Fütterung- und ist natürlich in bester Fast-Food Manier sofort mitnehmbar.

So komme ich zum Kernthema dieses Artikels: Ich bin so froh, ein Kind der
Zwischengeneration zwischen Online und Offline zu sein. Ich möchte die
Erfahrung nicht gemisst haben, an einem riesengroßen Kastencomputer
meine erste Hotmail-E-Mailadresse eingerichtet zu haben. Ich erinnere
mich gerne an die Zeit zurück, in der meine Freundinnen mich auf FESTNETZ
anriefen um sich für die kommende Woche mit mir zu verabreden. Wie
kurios, dass ich heute (!) noch die wichtigsten Festnetznummern meiner damaligen Schulfreunde auswendig weiß. Wer kann das heutzutage noch von Handynummern sagen?!  Die heutige whats-app Funktion übernahmen damals meine Eltern und Geschwister per Notizblock.

Auch sind die niedergeschriebenen Relikte aus der Vergangenheit ein wertvolles Juwel: Ich hatte eine innerstädtische Brieffreundin, mit der ich mir jahrelang über die Distanz von 3,3 km Briefe schrieb. Wer hat heutzutage die kindlichen Konversationen überhaupt noch auf Papier statt lediglich in der chat-history?
Nach langer Mobilgerät-Resistenz kam die Zeit, als meine Freunde der Meinung
waren, ich könne mich dem Zahn der Zeit nun wirklich nicht mehr
entbehren und mir an meinem 18. Geburtstag ein Motorola-Handy schenkten, das sicherlich mindestens zwei Kilo wog, den Durchmessereines Dudens hatte und man durchaus auch als effektives Selbstverteidigungsinstrument einsetzen konnte. Vorsichtig ging die Zeit der SMS und der ständigen Erreichbarkeit los.

Nun sind wir jedoch immerhin noch früh genug dran gewesen, uns mit den
Weiten und Tiefen des Internets in einem noch einigermaßen lernfähigen
Alter auseinanderzusetzen. Auch wenn sich die Generation meiner Eltern (>60) redlich bemüht, so fanden doch viele nie richtig den digitalen Anschluss. Ich erschrak mich gehörig, als meine Mutter nach einem Jahr im Besitz ihres „Schmartphones“ , in dem Nachrichten hauptsächlich in GROßBUCHSTABEN und ohne Leer- bzw. Satzzeichen gesendet wurden, zum ersten Mal die Emoji-Funktion  entdeckte und einen wahren Sturm an Smileys, Daumenhochs und andere bis dato unentdeckte Emoticons im Familienchat auf uns niederprasseln
ließ.

Heute, ein paar digitale Jahre später, erschreckt mich doch immer wieder die
Abhängigkeitsbeziehung, in der wir uns mit unseren Smartphones und dem
Internet, das zum Epizentrum unseres Alltags geworden ist, befinden. Wie
 oft gucke ich pro Tag auf mein Handy? Gibt es überhaupt noch einen Teil
 meines Lebens, den es nicht erobert und für sich eingenommen hat? Kaum
einen. Keinen.

Wie sehr schätze ich daher die Erinnerungen an die sehr glückliche offline-Kindheit und an die wenigen, gänzlich abgeschalteten Freiminuten in der Woche. Auch wenn es nun fast schon zu spät ist- aber wie schön erholsam sind eigentlich Flüge, aufgrund der Tatsache dass es KEIN Internet gibt? Ich würde mir wünschen, dass dies so bleibt. Und auch wenn die Bahn ein gern gesehener
Angriffspunkt für ihre digitale Innovationslahmheit ist: Wie viel Schreib- und Lesearbeit ich auf einer Intercity-Zugfahrt von Hamburg nach Köln schaffe, ist legendär. Warum? Weil kein Internetgesurfe von der Arbeit ablenkt.

Als meinem Freund und ich unsere Smartphonie mal wieder zu sehr gegen den
Strich ging, beschlossen wir kurzerhand, ein geplantes langes Wochenende
 in Schottland zu einem „digital detox“ zu machen. Ausgestattet mit ausgedruckten Google-Maps Seiten, Airbnb- und Hoteladressen und einem Reiseführer machten wir uns auf den Weg. Natürlich verliefen wir uns beim
Sightseeing trotzdem, aber quatschten dadurch so viel Edinburgher an,
wie wir es sonst nie getan hatten. Statt den obligatorischen Selfies
suchten wir uns die am fotografie-talentiertesten aussehenden Touristenkollegen an und ließen uns von ihnen ablichten. Familie und
Freunden hatten wir gesagt, wir seien erst in drei Tagen wieder erreichbar und tatsächlich stellten wir fest, dass es auch wunderbar ohne whats-app Reisemeldungen in die Heimat ging. Facebook ist ebenfalls kein Überlebensnotwendigkeit. Wir hatten plätzlich ganz ungefilterte Aufmerksamkeit lediglich füreinander. Statt spotify hörten wir abends und im Mietauto die best-of-scotland playlists der lokalen Radiosender.

Ich muss nicht sagen, wie schön dieses Wochenende war und wie wunderbar
festzustellen, dass es auch noch ohne geht. Fast so wie früher.  Allen,
die es noch nicht ausprobiert haben, kann ich eine Digitale Detox sehr
empfehlen.

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