Als Kind waren Hobbys das Normalste der Welt. Bis die Karriere in den Blickpunkt rückte und selbst unsere Freizeit sinnvoll und nachhaltig genutzt werden sollte. Ein Plädoyer dafür, Hobbys einfach Hobbys sein zu lassen.
Als Hobbys noch das Normalste der Welt waren
In meiner Kindheit gehörten Hobbys genauso zu meinem Alltag wie Ketchup zu Spaghetti. Ich bin gerne schwimmen gegangen, habe gebastelt, Blockflöte und Versteck-Fangen gespielt oder Scoubidou-Bänder geflochten. Hobbys waren das Normalste der Welt. Man hatte die Möglichkeit, seinen Vorlieben nachzugehen, neue Talente an sich zu entdecken – und glücklicherweise wurde man dabei sogar noch von den Eltern unterstützt.
Doch je älter ich wurde, desto weniger spielten Hobbys eine Rolle. Ballett und Blockflöte wurden uncool, man hatte keine Lust mehr, sich ans Klavier zu setzen und Note für Note zu üben oder sich dabei ertappen zu lassen, sich nach der Schule in seinen Bücherregalen zu verkriechen.
Wenn ein Hobby zum „Druck-Macher“ mutiert
In meiner Schulzeit hatte ich eine gute Freundin, die Turmspringen erst als Hobby betrieb und es dann immer ernster nahm, was darin endete, dass sie fünfmal die Woche zum Trainieren in die Schwimmhalle ging. Verabredungen wurden zu einem Puzzlespiel, jeder Termin wurde um das Training gelegt oder, falls ein Zusatztraining anstand, gerne mal spontan abgesagt. Zum ersten Mal wurde mir in solchen Situationen bewusst, dass Hobbys nicht nur Freizeit sein, sondern auch in Druck und Wettkampfsituationen ausarten können.
Je älter ich wurde, desto mehr hatte ich das Gefühl, dass Hobbys nur als Gegenspieler der Arbeitszeit funktionieren. Nur, wer zu viel Freizeit hatte, konnte einem Hobby nachgehen. Und das bedeutete im Umkehrschluss: Man arbeitet nicht genug. Schließlich darf man bloß keiner Tätigkeit nachgehen, die einen weder für potenzielle Arbeitgeber interessanter macht noch die Skills vertieft und keinen Zweck erfüllt außer der Tätigkeit selbst.
Auch mir ist es nicht leicht gefallen, meine Hobbys aufrechtzuerhalten, doch ich habe mein Bestes getan. Sport, Lesen, das kreative Chaos – das findet, seitdem ich Vollzeit arbeite, alles seltener statt, aber ja, diese Hobbys gibt es in meinem Leben.
Hobbys sind wieder in!
Während der Autor Michael Wolf in seinem ze.tt-Artikel die These aufstellte: „Das Hobby stirbt aus!“, habe ich zum ersten Mal das Gefühl, dass gerade genau das Gegenteil passiert. Auf Instagram kommen täglich gefühlt hunderttausende Töpfermeister, Lettering-Künstler, Embroidery-Experten und ,Plantlover‘ dazu.
Laut Google Trends hat sich die Anzahl der Google-Suchanfragen nach den Begriffen „Stitching“, „Keramik“ und „Aquarell“ innerhalb der vergangenen fünf Jahre verdoppelt. Die Suchanfragen nach dem Begriff „Lettering“ sind um 25 Prozent gestiegen. Auf Instagram zählt der Hashtag #embroidery über sechs Millionen Posts, #pottery zählt knapp vier Millionen und #knitting sogar neuneinhalb Millionen Posts.
Hobbys sind wieder in – aber nicht irgendwelche, sondern vor allem diejenigen, die Fingerfertigkeit erfordern und unseren viereckigen Augen eine Auszeit gönnen von den Bildschirmpixeln, die uns Tag ein, Tag aus bestrahlen.
Und das ist wichtig. Können wir also bitte die Annahme, dass selbst unsere Freizeit durchgehend sinnvoll investierte Zeit sein soll, aus unseren Karriere-getriebenen Köpfen verbannen?
Wenig Freizeit führt zur Depression
Denn das lohnt sich, sagte der Professor Yoshitaka Iwasaki, der an der University of Alberta den Zusammenhang von Hobbys, Stressbewältigung und Persönlichkeit erforscht, gegenüber Zeit Campus.
„Wer sich die ganze Zeit nur auf die Uni und die Arbeit konzentriert, wird depressiv.“
Dabei nimmt er auf eine Studie Bezug, die er vor einigen Jahren mit kanadischen Studenten durchführte. Iwasaki forderte sie dazu auf, zwei Wochen lang Tagebuch zu führen und darin besonders stressige Aufgaben sowie ihr Freizeitverhalten zu dokumentieren. Die Untersuchung ergab, dass ein aktives Freizeitverhalten Stress reduzierte und die Konzentrationsfähigkeit der Studenten steigerte.
Ein Zwang bleibt
Vor einer Sache, das zeigen die Millionen von Hashtags auch, machen unsere neuen fingerfertigen Hobbys allerdings keinen Halt: unserem Selbstvermarktungszwang, der selbst die ruhigen Offline-Stunden wieder in eine Online-Aktivität umkehrt. Denn dann befinden wir uns wieder am Anfang des Teufelskreis’: wir posten, wir lassen uns inspirieren, dann lassen wir uns wieder einschüchtern und befinden uns da, wovon wir eigentlich Abstand nehmen wollen: von dem Drang, aus einer scheinbar entspannenden Situation wieder einen Wettkampf zu machen, der die Leichtigkeit des Hobbys wieder schwinden lässt.
Also, für alle, die jetzt noch immer an der Sinnhaftigkeit von Hobbys zweifeln: Wer ein Hobby hat, hat nicht zu wenig Arbeit, sondern weiß schlichtweg, seine Kräfte sinnvoll zu investieren.
Falls ihr auf der Suche nach einem neuen Hobby seid, haben wir hier ein paar kreative und inspirierende Instagram-Empfehlungen für euch:
Quelle: Instagram | @Tessa_Perlow
Quelle: Instagram | @ohsoyay
Quelle: Instagram | @florainthegarden
Quelle: Instagram | @mayandberry
Mehr bei EDITION F
Ein Hobby für graue Tage: die coolsten Malbücher für Erwachsene. Weiterlesen
Der Job ist nur noch ein Hobby: So sieht das Arbeitsleben 2035 aus. Weiterlesen
Trotz Stress – warum wir unsere Hobbys niemals aufgeben sollten. Weiterlesen