Foto: Maximilian Salzer Fotografie

Madeleine Alizadeh: „Sich offen und verletzlich zu zeigen, hat etwas Befreiendes!“

Madeleine Alizadeh aka Daria Daria ist Podcasterin, Instagrammerin, Kolumnistin und hat ein eigenes Fair-Fashion-Label. Wir haben mit ihr über Nachhaltigkeitskonzepte, Anfeindungen im Netz und darüber gesprochen, warum es so gut tut, sich in den sozialen Netzwerken authentisch zu zeigen.

 

„Konsument*innen haben eine irrsinnige Macht!“

Madeleine Alizadeh, die viele von Instagram, ihrem Podcast „A Mindful Mess“ oder auch noch als Bloggerin kennen, hat über die Jahre einen Wandel weg vom Lifestyle hin zu gesellschaftskritischen Themen durchlaufen. Begonnen hat das, so erzählt sie, mit einer Dokumentation, die ihr die Augen über jene Fast Fashion öffnete, die sie selbst bis dahin gerne kaufte und als schöne Outfits mit ihren Leser*innen teilte.

Was dann kam, wie sie Nachhaltigkeit selbst lebt und wie schwierig das öffentliche Bekenntnis zu diesen Themen manchmal sein kann, hat sie im Interview erzählt. Außerdem spricht sie darüber, was sie aus ihrem Burnout gelernt hat und welche skurrilen Reaktionen ihr aktueller Verzicht auf Alkohol hervorruft.

Deinen Blog hast du im Jahr 2010 gestartet – damals ging es vor allem um Lifestyle-Themen. Du sagst, du hast immer ein starkes soziales Bewusstsein gehabt, hast das aber früher nicht mit deinem Konsum von Fast Fashion zusammengebracht. Was denkst du, warum das so war und was war dann der ausschlaggebende Punkt, dass sich das änderte?

„Wir Menschen sind Meister*innen der Verdrängung! Das beginnt bei der Gesundheit und hört bei Mode noch lange nicht auf. Im Unterbewusstsein wissen wir ja, dass ein T-Shirt für fünf Euro nicht super ökologisch und ethisch hergestellt sein kann, doch wir verdrängen es. So auch ich. Außerdem habe ich die Verbindung nicht so stark oder klar gesehen, wie ich es jetzt mit mehr Wissen tue. Natürlich war mir das Billiglohnland ein Begriff, aber dass der Wirkungsradius von Fast Fashion viel weitreichender ist, war mir nicht so klar. Der ausschlaggebende Punkt war die ZDF-Dokumentation ‚Gift auf unserer Haut‘, die bei mir den großen ‚Bang‘ auslöste.“

„Im Jahr 2016 kam dann der Crash, das Burnout.“

Kurz nach dieser Veränderung bist du eine Zeitlang von der medialen Bildfläche verschwunden – über den Grund hast du auch gesprochen: Du hattest ein Burnout und musstest für dich mehr Abgrenzung zu deinen Follower*innen und deiner Rolle als „Influencerin“ finden. Was ist das Wichtigste, das du aus dieser Zeit mitgenommen hast? Wie gelingt diese Abgrenzung?

„Als ich 2013 beschloss, keine Fast Fashion mehr zu bewerben und mich sozusagen auf polarisierendem Terrain bewegte, war mir nicht klar, was das auch im Negativen bedeuten kann. 2015 wurde ich dann auch politisch als Helferin für Geflüchtete und abseits der ‚Du trägst Nikes, du lügst’-Kommentare kam dann auch noch fremdenfeindlicher Hass dazu. 2016 kam dann der Crash, das Burnout. Es hat sich angeschlichen, wie eine Flamme, die erst stark brennt und dann immer schwächer wird. Irgendwann ist die Flamme aus und nix geht mehr! Ich habe dann die Kommentare deaktiviert, versucht mich abzuschotten und digitales Detox zu betreiben. Mitgenommen habe ich vor allem, dass die Gesundheit an oberster Stelle steht, dass man zwischendurch die Tür unbedingt zumachen und nicht Everybody’s Darling sein muss. ‚Nein’ zu sagen war eines der wichtigsten Learnings der letzten Jahre.“

In einer aktuellen Podcast-Folge sprichst du darüber, dass jemandem wie dir, der sich mit Nachhaltigkeit auseinandersetzt und sie auch lebt, ein Flug oder anderer Konsum extrem vorgehalten wird, anderen, die sich nicht damit auseinandersetzen aber gar nicht. Wann schlägt dir diese Kritik entgegen und was nervt dich so daran? Dass nach Idealen bewertet wirst?

„Diese Kritik schlägt mir immer wieder und bei den kleinsten Dingen entgegen! Das geht sogar so weit, dass Menschen in meinem Umfeld – mein Partner, Freund*innen und Familie – kritisiert werden, wenn Leser*innen sie irgendwo aus einem Plastikbecher trinkend sehen. Mich stört daran nicht so die Idealisierung, aber das Maß, mit dem gemessen wird. Denn das Maß scheint immer Auslegungssache und fluide zu sein – das ist nicht fair. Es sollte darum gehen, was ein Mensch im Großen und Ganzen leistet, ohne hier eine Nadel im Heuhaufen zu suchen.“

Du sagst auch: Um etwas zu verändern, braucht es radikale Ansätze, aber gesamtgesellschaftlich muss man gemäßigt anfangen, weil sonst nicht genug mitmachen. Wie sähe denn dieser gemäßigte Ansatz in Bezug auf den Modekonsum aus?


„Da gibt es ganz viele Ansätze. Es kann bedeuten, zum Beispiel Basics fair und in Öko-Qualität, oder auch nur noch Second Hand einzukaufen. Es kann aber auch einfach bedeuten, nur noch halb so viel Fast Fashion zu konsumieren. Für jedes produzierte Gut werden Ressourcen aufgebraucht, das heißt eine Halbierung dessen würde eine Halbierung der Ressourcen bedeuten. Man kann hier sehr kreativ und individuell sein, einfach schauen, was zum eigenen Lifestyle und Budget passt.“

Nun designst du ja auch selbst Mode und hast eine eigene Marke – wie stellst du sicher, dass deine Kleidung wirklich nach deinen eigenen Vorstellungen – also fair – hergestellt wird?

„Auf der einen Seite gibt es ‚technische‘ Maßnahmen wie Zertifikate. Die stellen die Rahmenbedingungen und Monitoring sicher. Was aber auch unabdingbar ist: Vertrauen. Ab einem gewissen Zeitpunkt muss ich dem Hersteller vertrauen, ihm oder ihr glauben, dass die Standards auch eingehalten werden. Denn 24/7 vor Ort sein ist unmöglich und hätte was von Überwachung, was entmündigend und weniger basisdemokratisch ist.“


Was denkst du, wie viel Macht haben Konsument*innen ?

„Konsument*innen haben eine irrsinnige Macht. Wir sehen 3.000 bis 13.000 Mal am Tag Werbung. Wenn wir aufhören, blind zu kaufen und uns neue Konzepte des Wirtschaftens – zum Beispiel Gemeinwohlökonomie – ansehen und anwenden, können wir das System umdrehen.“

Apropos bewusstes Leben: Vor einigen Wochen hast du auch bewusst aufgehört, Alkohol zu trinken. Wie kam es zu der Entscheidung und wie nimmst du Alkohol als akzeptierte gesellschaftliche Droge war?

„Die Entscheidung kam recht spontan, da gab es keinen speziellen Auslöser. Ich habe während meines Yoga-Teacher-Trainings keinen Alkohol getrunken und fühlte mich danach so gut, das wollte ich rekonstruieren. Jetzt, nach über zwei Monaten, fällt mir auf, wie selbstverständlich Alkohol als Droge und Zellgift ist. Auch, wie sehr es Menschen triggert, wenn man sagt ‚ich trinke nix’. Von Rechtfertigungen oder übergriffigen Fragen wie ‚bist du schwanger?’, und Fragen wie ‚Aber irgendwann trinkst du schon wieder, oder?’ ist da alles dabei.“

„Ich sehe mich auch nicht als Influencerin, sondern als Mensch.“

Auch dein eigenes Medienverhalten hinterfragst du immer wieder – wie geht das mit einem Leben als sogenannte „Influencerin“ zusammen? 


„Ich denke nichts ist Schwarz/Weiß. Ein differenzierter Zugang und regelmäßige Reflektion ist immer, in jedem Lebensbereich, notwendig. Ich sehe mich auch nicht als Influencerin, sondern als Mensch.“

Du bist auch jemand, der sich als eine der wenigen auch ganz natürlich und auch in lustigen Situationen auf Instagram zeigst – also dich in allen Lebenslagen. Hand aufs Herz: Fiel dir das am Anfang schwer?

„Ja klar fiel mir das schwer! Sich offen und verletzlich zu zeigen hat eine gewisse Hemmschwelle, es hat aber auch was Befreiendes! Als würde man aus einer Zwangsjacke ausbrechen (lacht). Ich denke, jeder Mensch muss sich hier langsam herantasten. Natürlich hilft es auch anderen Menschen zu folgen, die offen und nicht perfekt mit sich umgehen. Das macht Mut.“

„Menschlichkeit werden wir auch nur Mensch zu Mensch, auf Augenhöhe, aufrechterhalten können.“

Was würdest du sagen, warum es so wichtig ist, nicht nur im Netz zu diskutieren, sondern auch im echten Leben zusammen zu kommen?

„Es geht um Balance, um Yin und Yang. Es gibt nicht eine treibende Kraft, genau so wie es keine einzige Wahrheit gibt. Genau so sehe ich das mit Medien: Wir müssen alle Plattformen nutzen, um einen differenzierten, ausgeglichenen Austausch zu finden. Außerdem bringt jedes Medium unterschiedliche Vorteile mit sich. Im Internet florieren globale, virale Avancen, offline kann man dafür weitaus konstruktiver diskutieren. Die Komponente Menschlichkeit werden wir auch nur Mensch zu Mensch, in echt, auf Augenhöhe, aufrechterhalten können.“

Hast du eigentlich noch Lampenfieber, wenn du öffentlich sprichst? 

„Immer!“

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