Warum wir unseren Emanzipationsprozess selbst torpedieren: Das Dilemma zwischen innerer Stärke und Außenwirkung
Seit der Silvester-Nacht und den schockierenden, Ereignissen in Köln (und übrigens nicht nur dort!) ist eine heiße Debatte um das Thema sexuelle Gewalt und Übergriffe auf Frauen entfacht. Völlig zu Recht!
Der Ruf nach vorbeugenden Maßnahmen, Gesetzesverschärfungen, mehr Aufklärung, und vor allem nach mehr Respekt ist überall zu hören, und jede Frau kann nur hoffen und aktiv dazu beitragen, dass der alltäglich stattfindende Sexismus, welcher übrigens nationenübergreifend praktiziert wird, in Zukunft weniger wird.
Die Verkäufer von Pfefferspray können sich wahrscheinlich über den höchsten Umsatz seit langem „freuen“, Selbstverteidigungskurse für Frauen sind regelmäßig ausgebucht, viele engagieren sich in Gruppen und auf Meinungsplattformen und schließen sich zusammen: Für mehr Respekt, für ein emanzipiertes Frauenbild und für eine sexuelle Selbstbestimmung, die ihre eigenen Grenzen definiert. Und das ist gut so.
Dennoch macht es mich zugleich traurig und ratlos, dass es in unserer aufgeklärten emanzipierten Zeit immer noch nötig ist, diese Grenze so vehement zu verteidigen und dass das Besitzdenken vieler Männer, das Reduzieren der Frau auf Herd und ficken häufig immer noch ungebrochen scheint.
Sicher kann man das psychologisch zum Teil damit erklären, dass Männer einen Großteil Ihres Selbstwerts nach wie vor von der Größe und Aktivität Ihres Penis abhängig machen, und dass die Anzahl der von ihnen besprungenen Stuten darüber entscheidet, auf welcher Stufe der „geilen-Hengst-Skala“ er sich befindet. Dies ist natürlich armselig und überhaupt keine Entschuldigung, aber dieses tiermedizinische Problem zu debattieren, macht offensichtlich wenig Sinn.
Wer sind wir eigentlich?
Was mich viel mehr beschäftigt und regelmäßig wütend macht, ist die Tatsache, dass durch Frauen präsentierter Sex auch heute ständig in unserem Alltag zu finden ist, und dass sich nach wie vor so viele Frauen dafür hergeben: Fast keine Werbung, in der nicht eine Frau mit sinnlich geöffneten Lippen (ja, was kann sie damit wohl noch alles anstellen meine Herren?) wegen des beworbenen Produkts in Ekstase verfällt, wo ein lüsterner Blick signalisieren soll, was das Werbeprodukt für einen horizontalen Mehrwert bietet. Gestöhne unter der Dusche verursacht durch ein simples Shampoo, erotischer Augenaufschlag, weil der „caffé“ eben nur mit einer bestimmten Praline schmeckt, sogar Katzenfutter wird von einer heißen Rothaarigen im engen Schwarzen und einem dahin gehauchten Miau um einiges attraktiver. Ach ja, und wenn ich eine bekannte Limonade trinke, ja Baby, dann bin ich auf einmal nicht mehr Manuel Neuer… War ich persönlich auch noch nie.
Dazu kommen noch ganz selbstverständlich die zu jeder Sendezeit gezeigten Werbespots für Sextoys jeder Art (ja natürlich auch für uns Frauen, das muss hier auch erwähnt werden): Mehr Heißhunger, mehr Kribbeln, mehr „ich kann nicht mehr“ – keine Sorge, dieses Level ist schon lange überschritten.
Abends geht der ganze zelebrierte Sexismus in Form diverser Castingshows etc. weiter – allen voran natürlich das unsägliche Germany’s Next Topmodel, wo die offensichtlich von verschiedenen Neurosen geplagte, frisch gebotoxte Heidi Klum ihre willigen „Mädchen“ von einer Demütigung in die nächste peitscht. Ist ja alles nur zu Ihrem Besten, und natürlich ist die „personality“ das Wichtigste – ist doch klar. Aber der Walk muss stimmen, und immer schön sexy gucken, sonst gibt es kein Foto, und Papa Hayo ist enttäuscht. Oh je.
Ja ja, Arsch und Titten geht immer und bringt Quote, und wenn die „Kleinen“ auch noch frisch und minderjährig sind, lacht das Herz und schwillt die Lendengegend des Großteils der männlichen Gattung – dann ist die Welt doch noch in Ordnung.
Warum tun wir das?
Wie soll uns eine stabile Emanzipation und eine auf allen Ebenen respektierte Selbstbestimmung gelingen, wenn wir Frauen uns aus den eigenen Reihen immer wieder selbst sabotieren? Wie können wir uns stark machen, wenn viele bereit sind, sich ohne jeden Stolz auf die körperlichen Schlüsselmerkmale zu reduzieren für ein bisschen Publicity, Geld und das Urteil zweifelhafter Instanzen, total „hot“ zu sein und dabei sexuelle Aufmerksamkeit vielleicht sogar mit Liebe verwechseln?
Damit eins klar ist: Ich will auch gut aussehen, und ich bekomme auch gern Komplemente (ernstgemeinte!) und freue mich, wenn ich gut rüberkomme. Ich gehe auch gern mal shoppen, möchte eine gewisse Kilozahl auf der Waage nicht überschreiten und trage gern Make-up. Aber all das ist nichts, worüber ich mich als selbstbewusste emanzipierte Frau definiere. Ich kann es „aushalten“, ungeschminkt auf die Straße zu gehen und auch mal irgendwo anzuecken. Und ich esse definitiv lieber Kohlehydrate als Salat. Aber das ist natürlich Geschmackssache.
Echte Weiblichkeit hat so viele Facetten, die körperliche ist nur eine davon. Warum reduzieren wir uns so oft auf Äußerlichkeiten und bilden uns ein, dass diese über unser Lebensglück entscheiden und uns liebenswert und erfolgreich machen? Denn genau dieser äußere Schein übt nach wie vor auf das Selbstbild vieler Frauen und die Wahrnehmung durch die Männer eine unglaubliche Macht aus. Welcome to the dark side.
Wir stecken fest
Selbstbewusste Emanzipation versus Bedürfnis nach Perfektion.
Der perfekte Körper, das perfekte Gesicht, die perfekte Handtasche – das perfekte Leben. Wer will das nicht?
Solange die Medien, Modekonzerne, Fitness-Companies und andere Lifestyle-Anbieter die Schiene des Perfektions-Wahnsinns fahren, brauchen wir Frauen eine gehörige Portion Selbstbewusstsein, um uns von diesem Druck und dem dadurch verkörperten Bild frei zu machen. Darauf zu verzichten, sich krass, sexy, leicht und was weiß ich was zu machen, kann Mut erfordern. Und Mut zu haben, ist schwer – besonders für junge Mädchen, die sich noch nicht selbst gefunden haben. Sie sind oft besonders anfällig für jemanden, der ihnen zeigt, wohin es gehen soll, indem er Ihnen vorgaukelt, dass sie mit makellosem Make-up und Größe 34 ein Leben voller Liebe und Reichtum erwartet. Diese helfende Hand wird dankbar ergriffen, auch wenn sie in die emanzipatorische Sackgasse führt.
Und dabei ist doch so offensichtlich, dass dieser ganze Wahnsinn nur ein Ziel hat: Er bringt die Kassen durch den Verkauf der angebotenen Produkte mächtig zum Klingeln. Geld macht ja irgendwie auch sexy oder?
Was tun?
Echte Emanzipation gegen sexistische Klischees erscheint mir wie ein Kampf David gegen Goliath, und ich finde es ehrlich gesagt oft zum Verzweifeln, wie wenig die Emanzipation im Kern des Frauenbildes erreicht zu haben scheint. In Zeiten, in welchen wir Frauen die Wahl haben, wie wir unser Leben gestalten möchten, welchen Job wir machen wollen, ob wir eine Familie gründen etc., schaffen wir es oft trotzdem nicht, uns aus der Sexismus-Falle zu befreien. Wir bedienen noch viel zu oft die gängigen Klischees, da müssen wir nur durch die Städte laufen und aufmerksam die großflächigen sexuell geprägten Werbeplakate betrachten. Was steckt dahinter? Haben wir vielleicht manchmal doch noch die absurde Idee verinnerlicht, dass wir, wenn wir hübsch und willig sind, besonders lieb gehabt werden?
Natürlich sind das nur einige Models, aber die hängen überlebensgroß an jeder Ecke und werfen uns dank Photoshop verheißungsvolle Blicke zu. Sex sells. Wird er wohl auch immer. Aber welches Bild wird von uns Frauen dadurch vermittelt?
Mir ist wichtig, hierbei zu betonen, dass natürlich jede Frau selbst entscheiden soll, wie sie sich darstellt, und wo sie ihre Grenzen setzt – und dass es keinerlei Entschuldigung für Männer gibt, die von der Frau gesetzten Grenzen überschreiten! Auch wenn der Satz oft ins „Lächerliche“ gezogen wird (was auch schon traurig genug ist): Nein heißt nein!
Ich wünsche mir, dass ein nein gar nicht mehr nötig ist, weil die Grenzen von vornherein von Männern respektiert werden – und Gott sei Dank gibt es ja auch viele Männer, die sich von diesem Artikel gar nicht angesprochen fühlen müssen!
Aber ich denke, dass wir Frauen einen großen Teil zu mehr Respekt beitragen könnten, wenn wir uns geschlossen gegen Sexismus in der Werbung und den Medien stellen und uns selbstbewusst so darstellen, wie wir sind: Echte Frauen in jedem Alter, attraktiv, einzigartig, eigenwillig im besten Sinne.
Wenn wir uns nicht mehr reduzieren lassen auf einen schönen Körper, Dauerlächeln und Highheels. Wenn wir das willige sexy Püppchen-Klischee ein für allemal abschaffen und auch bei jungen Frauen gar nicht erst entstehen lassen.
Dann könnte es uns in Zukunft leichter fallen, dem alltäglich vorkommenden Sexismus und sexuellen Übergriffen die Stirn zu bieten.
Das ist natürlich ein sehr frommer Wunsch, aber sich über unsere Selbstwirksamkeit und unseren Einfluss auf unsere Außenwirkung bewusst zu werden, kann ein Anfang sein.