Die Klage der ZDF-Journalistin Birte Meier wegen Entgeltdiskriminierung vor dem Landesarbeitsgericht wurde am 5. Februar 2019 abgewiesen. Warum Lohngleichheit in Deutschland immer noch nicht garantiert ist analysiert Nora Markard, von der Gesellschaft für Freiheitsrechte, im Interview.
Entgelttransparenzgesetz: Scheitern in der Praxis
Bereits 2015 verklagte die Journalistin ihren Arbeitgeber wegen Entgeltdiskriminierung, nachdem sie herausfand, dass sie schlechter bezahlt wurde als männliche Kollegen – trotz vergleichbarer Arbeit und Qualifikation und teilweise sogar mehr Erfahrung. Ihre Klage wurde im Februar 2017 vom Berliner Arbeitsgericht in erster Instanz abgewiesen. Sie ging in Berufung. Und ihre Klage wurde nun auch vor dem Landesarbeitsgericht Berlin abgewiesen.
Der gemeinnützige Verein „Gesellschaft für Freiheitsrechte” (GFF) unterstützt die ZDF-Journalistin auf ihrem Klageweg. Schon 2017 war klar, dass die Klage zum Präzedenzfall in Sachen Entgeltdiskriminierung werden könnte. Zum aktuellen Urteil sagt die GFF: „Wenn ein so gut dokumentierter Fall wie dieser vor deutschen Gerichten scheitert, ist das ein Skandal und eine Zumutung für jede*n Kläger*in.” Wir haben mit Prof. Dr. Nora Markard, Vorstandsmitglied bei der GFF über die Entscheidung des Gerichts, die Lücken im Gesetz, die es deutlich macht und wie ein Gesetz zu wirklicher Lohngleichheit aussehen müsste, gesprochen.
Eine ausführliche Zusammenfassung zur Klage findet ihr hier.
Können Sie kurz zusammenfassen, welches Urteil heute gefällt wurde?
„Das Landesarbeitsgericht Berlin hat heute die Klage einer ZDF-Journalistin abgelehnt, die ihren Rechtsanspruch auf Entgeltgleichheit durchsetzen wollte.“
Was genau wollte die Klägerin erreichen und wie sah das Verfahren aus?
„Die Klägerin hat die Auskunft über die Gehälter ihrer männlichen Kollegen eingefordert. Rechtliche Voraussetzung dafür ist, dass sie genug Beweise für einen Verdacht der Diskriminierung vorbringt. In dem Verfahren hat sie gezeigt, dass zwölf Männer in ihrer Redaktion, die alle die gleiche Arbeit machen wie sie, mehr verdienen als sie. Das ZDF hat im Laufe des Verfahrens immer wieder neue Gründe vorgebracht, warum das gerechtfertigt sei. Diese Gründe passen aber hinten und vorne nicht zusammen. Die Männer verdienen also mehr, es gibt keine überzeugenden Gründe für dieses Missverhältnis, und das hat dem Gericht trotzdem nicht gereicht, um den Verdacht auf Diskriminierung anzunehmen. Hilfsweise hat die Klägerin außerdem noch nach dem neuen Entgelttransparenzgesetz ihren Auskunftsanspruch geltend gemacht. Den kann ja erst einmal jede*r stellen. Er gilt aber nur für Arbeitnehmer*innen, Beamt*innen usw., sogenannte ,arbeitnehmerähnlichen Beschäftigte‘, die fest-frei angestellt sind wie die Klägerin, sind dort nicht ausdrücklich erwähnt. Europarechtlich ist diese Unterscheidung egal, das Gericht hat sich aber an dem engen deutschen Arbeitnehmerbegriff orientiert und die europäischen Standards hier nicht angewendet.“
Was kritisieren Sie als Gesellschaft für Freiheitsrechte an diesem Urteil?
„In Bezug auf das Urteil zur Diskriminierungsklage besagen die europäischen Vorgaben ebenso wie das Bundesarbeitsgericht, dass es für den Auskunftsanspruch reicht, wenn man die Möglichkeit einer Diskriminierung nachweisen kann, dass also nicht ausgeschlossen werden kann, dass Diskriminierung hinter der Lohnungleichheit steht. Das Landesarbeitsgericht hat in diesem Fall aber einen deutlich höheren Standard angelegt. Es wollte offenbar einen Beweis dafür haben, dass sich jemand aktiv etwas Diskriminierendes dabei gedacht hat, die Klägerin schlechter zu bezahlen. Damit hat das Landesarbeitsgericht aber missverstanden, worum es bei Diskriminierung geht: Es geht nämlich auch um strukturelle Diskriminierung. Es reicht, wenn Frauen im Ergebnis schlechter bezahlt werden, auch wenn sich niemand aktiv darüber Gedanken macht. Wenn man diese Standards so hochschraubt, besteht das Recht auf Entgeltgleichheit wirklich nur noch auf dem Papier.“
Es gibt ja ein Entgelttransparenzgesetz. Das greift in diesem Fall aber nicht?
„Genau – jedenfalls nach Ansicht des Gerichts.“
Warum nicht?
„Das Entgelttransparenzgesetz lässt ja selbst schon einiges zu wünschen übrig. Es hätte der Klägerin ja nur Auskunft über den Mittelwert der Gehälter ihrer männlichen Kollegen gegeben. Selbst diesen Anspruch konnte sie aber nicht geltend machen, weil der Gesetzgeber, aus für uns nicht nachvollziehbaren Gründen, die ‚arbeitnehmerähnlichen‘ Beschäftigten nicht ausdrücklich einbezogen hat. Wie gesagt, aus europarechtlicher Sicht sind die aber im Arbeitnehmerbegriff ohnehin erfasst. Außerdem ermöglicht das Entgelttransparenzgesetz ja nur die Auskunft über die Gehaltsunterschiede. Wenn man die Auskunft hat, hat man ja aber noch kein gleiches Gehalt. Jede Frau, die die Auskunft nach dem Entgelttransparenzgesetz bekommt, müsste dann immer noch den gleichen Weg gehen wie die ZDF-Journalistin und würde auf die gleichen Probleme stoßen. Der Gesetzgeber hat die Lohndiskriminierungsprobleme mit dem Entgelttransparenzgesetz nicht im Ansatz gelöst.”
Wie geht es nun weiter?
„Das Gericht hat die Revision in Bezug auf das Entgelttransparenzgesetz zugelassen. Zu diesem neuen Gesetz gibt es bisher ja auch noch keine Rechtsprechung. Wir sind allerdings sehr überrascht, dass das Gericht die Revision im Übrigen nicht zugelassen hat. Wenn hier die europäischen Beweisstandards für Gehaltsdiskriminierung anders angewandt werden, als das bisher der Fall war, müsste man eigentlich davon ausgehen, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und das Bundesarbeitsgericht die Standards noch einmal klären muss. Dann hätte die Revision zugelassen werden müssen. Das Gericht hat der Klägerin hier noch einen zusätzlichen Stein in den Weg gelegt, weil sie nun prüfen muss, ob sie Nichtzulassungsbeschwerde einlegt, um doch noch zum Bundesarbeitsgericht zu kommen. Das müssen wir prüfen, wenn die Urteilsgründe schriftlich vorliegen. Damit rechnen wir in nächster Zeit.”
Und welche Forderungen haben Sie an den Gesetzgeber nach dieser Entscheidung?
„Der Gesetzgeber hat im Entgelttransparenzgesetz den Datenschutz über die Gleichstellung gesetzt. Wer Auskunft anfordert bekommt nur einen Mittelwert, mit dem man keine Gleichstellungsklage beziffern kann. Das ist einfach nicht genau genug. Die zweite Kritik: Diese Auskunft bleibt absolut folgenlos. Es gibt keine konkreten Maßnahmen, die der*die Arbeitgeber*in ergreifen muss. Es gibt keine Möglichkeit, die Gleichstellung einzufordern. Es gibt keine Verbandsklage, das heißt, die Frauen sind weiterhin auf sich gestellt und tragen allein das Risiko einer Klage. Da muss der Gesetzgeber klarere Regelungen schaffen. Ein ganz wichtiger Schritt wäre es, die Gleichstellung eben nicht den Frauen aufzubürden, die sich im laufenden Arbeitsverhältnis gegen ihre*n Arbeitgeber*in wenden müssen, sondern dem*der Arbeitgeber*in eine Pflicht aufzuerlegen, Entgeltgleichheit aktiv herzustellen. Sogar zur Überprüfung werden die Arbeitgeber*innen im Gesetz nur aufgefordert, nicht verpflichtet. Was dabei rauskommt, muss auch nicht veröffentlicht werden. Und überhaupt gilt das Gesetz bei einem Betrieb ab 200 Mitarbeiter*innen, die Aufforderung zur Überprüfung erst ab 500 Mitarbeiter*innen. Ganz viele Frauen arbeiten in kleineren Betrieben. Und die haben von diesem Gesetz einfach gar nichts.”
Nora Markard, Vorstandsmitglied der GFF. Quelle: Steffen Weigelt
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