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Mädchen oder Frau – irgendwo in der Mitte meines Lebens.

Ich habe mich gefunden, irgendwo in der Mitte meines Lebens. Mich mit mir angefreundet und meine neue Sanftheit begrüßt. Ich bin weicher geworden. Meine Gefühle sind es und auch mein Körper. Das mag ich gern. Auch wenn an manchen Tagen die Hose genau dort zwickt. Dann fühle ich mit meinen Fingern nach, streichle über die kleinen Rundungen, die vor zehn Jahren noch nicht waren. Das Mädchen verschwindet langsam von außen und gibt der Frau in mir mehr Raum.

 

Ich bin eine Frau und keine Schublade, und doch kategorisiere ich mich bei Umfragen in eine Gruppe. Nämlich in die der 35 bis 44 Jährigen. Umfragen zu Bundestagswahlen, Umfragen zum Einkaufsverhalten, in sozialen Netzwerken und statistischen Erhebungen aller Art. Ich gehöre der dritten Kategorie, der Mitte an. Ich befinde mich im Zentrum meines Lebens. Macht mir das Angst? Manchmal. Doch ganz oft erfreue ich mich an mir selbst. Ich habe mich (fast) gefunden. Ich bin vielmehr Frau, als Mädchen. Und das fühlt sich gut an. Ich trage weniger Lidschatten und mehr roten Lippenstift. Meine Schuhe werden flacher, aber eleganter. Und an Highheel-Tagen fühle ich mich fraulicher, weil ich keinen Minirock zu zwölf-Zentimeter Absätzen trage, sondern eine schmal geschnittene Hose zu weich fallendem Oberteil. Kein Ausschnitt bis zum Bauchnabel, sondern Seide auf nackter Haut. Keine bunten Haare, sondern eine Frisur, die zu mir passt. Ich habe mich gefunden, irgendwo in der Mitte meines Lebens. Mich mit mir angefreundet und meine neue Sanftheit begrüßt. Ich bin weicher geworden. Meine Gefühle sind es und auch mein Körper. Das mag ich gern. Auch wenn an manchen Tagen die Hose genau dort zwickt. Dann fühle ich mit meinen Fingern nach, streichle über die kleinen Rundungen, die vor zehn Jahren noch nicht waren. Das Mädchen verschwindet langsam von außen und gibt der Frau in mir mehr Raum. Ein Gespräch fällt mir ein, welches ich vor wenigen Wochen mit einem Freund in unserem Lieblingsrestaurant geführt hatte. Oliver. Oliver ist sechsundvierzig. Seit einem Jahr Single und entdeckt die Frauen für sich neu.

„Weißt Du, am Anfang habe ich mich an die dreißigjährigen gehalten, weil ich mich selbst noch so jung fühle. Ich habe geflirtet, gedatet und hatte Sex mit ihnen. Ich habe sie zum Essen ausgeführt und mit ihnen die Nächte durchgetanzt. Das war okay. Ich wollte wieder das Leben in mir spüren. Noch einmal jung sein und frei. Doch irgendwann wurde es anstrengend.“ 

Er schüttelt den Kopf und blickt überlegend auf den Tisch vor uns, in den Cappuccino, als könne er im Schaum dessen eine Erklärung und weitere Worte finden.

„Es war an einem Sonntag, wir lagen noch im Bett, erhitzt und…“

„Stop!“ werfe ich ein. „Erspare mir die Details.“

„Okay.“, lacht er, „Ich wollte dich nur ein wenig aus der Fassung bringen. Du guckst mich so ernst an.“

„Nein.“, meine ich mit einem Grinsen, „Das ist mein interessiertes Gesicht. Erzähl weiter.“

Sich noch eine kleine Pause gönnend, löffelt Oliver den Schaum von seinen Cappuccino, als müsse er die darin gefundenen Worte kosten, bevor er weiter spricht.

„Wir lagen im Bett. Und ich wollte tatsächlich kuscheln. Ich wollte den Duft ihrer warmen Haut atmen, die kleinen Tröpfchen Hitze von ihrer Oberlippe küssen und die Nacht, den Morgen nachfühlen. Doch sie wollte aufstehen. Duschen. Neues Make-up auflegen, ein Parfüm benutzen, um dann mit dem Rennrad 30 km über die Straßen zu flitzen. Sie war voller Energie und ich irgendwie der alte Sack, der sich nach Ruhe sehnte.“

Ich überlege kurz, wie meine Sonntage aussehen. Ausschlafen. Kuscheln. Mit meinem Mann und Kaffee im Bett. Spaziergänge mit unserem Hund. Couch. Unaufgeregt, aber wunderschön. Der einzige Tag der Woche, der keine Verpflichtungen mit sich bringt. Nur die Ruhe zu Sein. Ich verstehe Oliver gut.

„Sag mal, wie alt war denn deine Eroberung?“, frage ich mehr zur Bestätigung meiner Gedanken, als aus Neugierde.

„Achtundzwanzig.“

Ich nicke mir selbst zu.

„Oliver, ich möchte dir nicht zu nahe treten, aber das war wohl ein selbst gewähltes Übel.“

„Ich weiß.“, nickt nun auch er. „Das war auch mein letztes Mal. Nicht der Sex sondern die Altersgruppe.“

Meine Augenbrauen ziehen sich fragend zusammen.

„Na die Gruppe der 25 bis 34 Jährigen.“, deutet er meine Mimik richtig.

Aha! Mein Gesicht entspannt sich und nun schaue ich zur Abwechslung in seinen Cappuccino um eventuell weitere Erklärungen zu finden. Diese folgen umgehend.

„Ich bin jetzt bei den 35 bis 44 Jährigen angelangt, also sogar mehr im oberen Drittel. dein Alter und darüber.“, gibt er mir seine Anschauung kund.

Das sitzt. Mein Gesicht krampft schon wieder und zeigt Spuren von Unmut. Doch diese glättet Oliver gleich mit einer schmeichelhaften Erklärung.

„Schau an, du bist eine Frau. Eine Frau, in der immer ein Mädchen wohnen wird, aber du siehst aus und gibst dich wie eine Frau.“

Soweit, so gut.

„Das finde ich extrem sexy!“

Jetzt ist er auf der richtigen Spur.

„Du weißt, was du willst. Weißt, wer du bist. Hast Erfahrung und bist dir deiner Selbst sicher.“

Ich lache. Ja. An manchen Tagen mehr und an anderen weniger. Eben deswegen ist es sicher, dass ich eine Frau bin.

„Du sitzt mit mir hier, in unserem Lieblingsrestaurant, nach einem guten Essen, das Glas Wein in der Hand, während ich Cappuccino-Thesen auspacke. Und ich habe nicht das Gefühl, dass du im Anschluss noch die Nacht bei elektronischer Musik durchtanzen möchtest. Du genießt den Augenblick.“

Oliver kennt mich gut. Denn der einzige Ort, zu dem ich heute noch hintanzen werde, ist in das Bett und in die Arme meines Mannes. Und ich gebe ihm Recht. Das sah vor einigen Jahren noch anderes aus. Meine Samstage sahen anders aus. Shopping, Vorbereitung für den Abend und die Nacht. Freunde. Alkohol. Zigaretten und Party. Nur die Sonntage waren ähnlich. Jedoch ohne meinen Mann und unseren Hund. Wann hatte das aufgehört, das Leben auf dem Discofloor? Als ich meinen Mann kennenlernte oder während ich älter wurde? Oder ging beides einher? Irgendwann hatte mich das Gefühl verlassen, etwas zu verpassen. Ich hatte schon viel erlebt und gesehen, was sämtliche Tanztempel und Jungmänner der Stadt betraf.
Und wie wäre ich heute als Single? Würde ich weiter Schuhe und Nächte durchtanzen? Vielleicht. Viel eher würde ich Zeit mit Freunden verbringen, mit meiner Freundinnen-Framily, mit Freunden wie Oliver. Aber das mache ich auch so. Nur eben weniger. Vielleicht hätte ich viele Dates mit Männern um die dreißig um irgendwann festzustellen, dass dies nicht meine Altersgruppe ist. Das Single-Frollein gibt es schon ein paar Jahre nicht mehr, nicht mehr die aufregenden ersten Küsse an der Hauswand lehnend und die Zeit vergessend. Nicht mehr die zaghaften Annäherungs- und Deutungsversuche. Nicht mehr das Warten auf eine SMS. Nicht mehr die Schmetterlinge im Bauch. Und ganz ehrlich? Ich möchte nicht mehr tauschen. Ich habe das alles erlebt. Es war großartig. Ich denke gern zurück. Erinnere mich. Lächle still in mich hinein. Aber da, wo ich heute bin, ist es wundervoll. Die Küsse meines Mannes schmecken warm und vertraut. Sie schmecken nach Liebe. Und manchmal lehnen wir dabei an einer Hauswand. Manchmal ist es nur der flüchtige Kuss zur Begrüßung, doch dieser ist genauso ehrlich, wie der, bevor wir gemeinsam einschlafen oder der, voller Leidenschaft…
Und die SMS? Wurde durch Whatsapp ersetzt. Sie kommt weniger oft, als vor ein paar Jahren. Dafür lässt er mich nicht warten. Weder auf eine Nachricht, noch auf seine Liebe.

Und Oliver? Er hat eine Frau kennengelernt. Sie ist 41 Jahre jung. Selbstständige Galeristin, geschieden, kinderlos. Sie liebt lange Sonntage im Bett. Hat ein kleines Bäuchlein, wie er mir verriet, und ist extrem sexy.

„Wie meinst du das?“, frage ich ihn nachhakend. „Was hat ein kleines Bäuchlein mit Sexiness zu tun?“

„Das ist ganz einfach, sie steht dazu. Sie zieht ihren Bauch nicht ein, wenn wir uns durch die Laken wälzen. Sie versucht nicht, einen Arm unter ihre Brust zu klemmen, damit diese voller und praller aussieht. Sie genießt einfach. Sie nimmt und gibt. Sie ist voller Leidenschaft. Sie trägt Seidenblusen und darunter nichts als Spitze. Keinen Polster-BH aus der H&M-Wäscheabteilung. Am letzten Wochenende waren wir in der Oper. Sie trug eine enge schwarze Hose, diese wunderschöne Seidenbluse und Langschaftstiefel mit herrlich hohen Absätzen. Weißt du, welche ich meine? Die, wo der Schaft bis über das Knie reicht.“

Ja, ich weiß was er meint. Und bin nicht erstaunt.

„Und am Sonntag“, erzählt mir Oliver verträumt weiter „saß sie mir in Baggy-Jeans und Kapuzenpullover gegenüber, die Haare verwuschelt, fast ungeschminkt, während sie genüsslich in ihr Croissant beißt und mir von ihren Kunden in der Galerie erzählt.“

Ich glaube, Oliver ist ein wenig verliebt. Und ich freue mich, dass es eine Frau ist, in die er verliebt ist. Eine Frau auf Augenhöhe. Eine Frau, die nicht perfekt sein muss, um sich gut zu fühlen. Eine Frau, die weiß, was sie will. Eine Frau in der Altersgruppe 35 bis 44.

Doch was kommt eigentlich danach? Wie fühlt sich die Kategorie 45 bis 59 an? Und was passiert mit 60 und älter? Ich weiß es noch nicht. Aber ich freue mich darauf. Ich bin neugierig. In meiner Vorstellung sehe mich als eine Version von Meryl Streep mit etwas mehr Lippenstift.

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