Viele Magazine für Mädchen und junge Frauen vermitteln immer noch ein gruseliges Geschlechterbild. Die Bloggerin, Slam-Poetin und Aktivistin Nhi Le setzt sich dafür ein, dass sich das endlich ändert. Ein Interview.
„Die Flirttipps in Mädchen-Zeitschriften haben sich in den letzten 20 Jahren nicht geändert”
Blickt man in Zeitschriften, Magazine oder deren Onlineauftritte für Mädchen und junge Frauen, wird es oft gruselig: Flirt-, Diät- und Selbstoptimierungstipps, die direkt aus der Hölle zu kommen scheinen. Vor allem Mädchen sollen immer noch vor allem eins: anderen gefallen. Das kann fatale Folgen für das Selbstbewusstsein und Selbstbild haben – und muss sich deshalb dringend ändern. Die Bloggerin, Slam-Poetin und Akitivistin Nhi Le, die auch für das öffentlich-rechtliche „Funk“-Format „Jäger und Sammler” arbeitet, setzt sich genau dafür ein. Dafür verbindet sie Fachwissen (ihre Bachelor-Arbeit hat sie sich dem Thema „Selbstbild und Sexualität in Mädchen- und Frauenzeitschriften” gewidmet) mit unterhaltsamen Formaten, die sich direkt an die jungen Mädchen wenden. Wir haben mit ihr über grausame Flirttipps und fehlende Diversität, aber auch über positive Beispiele und die Vision von einem richtig guten Mädchen-Magazin gesprochen.
Nhi Le wird auch bei der am 14. und 15. April in München stattfindenden Journalistinnen-Konferenz des DJV „Frau macht Medien” zu diesem Thema sprechen. Hier findet ihr das Programm für die komplette Konferenz.
Du hältst immer wieder Vorträge zum Frauenbild in Frauen- und Mädchenzeitschriften. In deinem Video „Hauptsache sexy” hast du die Absurdität der Ratschläge, die oft schon an junge Mädchen vermittelt werden, offengelegt. Auch auf der Journalistinnen-Konferenz wirst du einen Vortrag zu diesem Thema halten. Welche vermeintlich längst überholten, aber dennoch stetig reproduzierten Ratschläge erscheinen dir am alarmierendsten?
„Es kommen viele überholte Punkte zusammen, aber am schlimmsten sind wohl Flirttipps und alles, was unter der Kategorie ,Jungs’ geschrieben wird. Da dreht sich alles darum, die Aufmerksamkeit von Jungs auf sich zu ziehen, notfalls auch mit toxischen Mitteln, die Formen von Stalking: ,Finde heraus, wo er sich rumtreibt!’ oder ungewollten Körperkontakt: ,Berühr ihn unauffällig’ vorschlagen. Ich habe meine Bachelorarbeit zum Thema geschrieben und da auch den Forschungsstand untersucht. Diese Arten von Flirttipps werden schon seit mehr als 20 Jahren gegeben. Da macht es keinen Unterschied, ob man eine Ausgabe von Mitte der Neunziger oder von heute in der Hand hält. Es geht immer darum, seinen Selbstwert über die Interaktion mit Jungs zu generieren. Auch wenn dann in einer Ecke ,Verstell dich nicht’ steht, passt das nicht zu dem, was seitenweise vorher vorgeschlagen wird.
Ansonsten geht es natürlich immer darum, wie man sich selbst zu optimieren hat: Essen, Mode, Make-Up, Lifestyle. Es geht immer schöner und besser, gleichgesetzt mit vermeintlich glücklicher. So geht es ja auch in den Frauenmagazinen weiter.”
Welche Rolle spielt Social Media dabei, den Druck auf Mädchen und junge Frauen zu verstärken?
„Social-Media-Plattformen sind einer der größten druckausübenden Faktoren. Menschen posten ja vor allem ihre beste Seite, gerade auf Instagram ist alles perfekt, sodass schnell suggeriert wird, wie das optimale Leben auszusehen hat. Das kommt nicht nur von Mitmenschen, sondern vor allem von Youtube-Stars, die ihren Lifestyle ja täglich präsentieren. Hinzu kommen gefährliche Challenges wie Thigh Gap oder die A4 Challenge. Auch die Beliebtheit von Fitness-Instagram übt Druck aus.”
Welche Chance bieten die Sozialen Medien vielleicht auch dabei, ein anderes Bild davon zu zeichnen, wie wir zu sein haben?
„Durch das Internet ist es einfach geworden, irgendwas zu posten, es gibt keine Bedingungen, die man erfüllen muss und jede*r bekommt eine Plattform. Die hat mal mehr, mal weniger Publikum. So ist es auch möglich, dass Alternativen zum gängigen Schönheitsideal gezeigt werden oder man überhaupt hinterfragt, was zum Beispiel Schönheit bedeutet.”
Die Zeitschriften für Mädchen und junge Frauen sind oft nicht nur sexistisch, sondern auch kaum bis gar nicht divers geprägt. Die meisten Menschen, die diese Magazine lesen, werden von ihnen gar nicht abgebildet. Warum ist das so? Und wie kann sich auch das ändern?
„Es stimmt, dass die gängigen Mädchenzeitschriften fast ausschließlich weiße Mädchen abbilden und das nicht die Gesellschaft widerspiegelt und sich Leserinnen, die nicht groß, weiß und schlank sind, gar nicht wiederfinden. Das Problem ist vielschichtig: Man merkt beispielsweise, dass Redaktionen da einen eher engen Horizont haben, wen sie zeigen und über wen sie schreiben. Ich würde meinen, dass das auch daran liegt, wie Redaktionen aufgestellt sind. Eine Lösung wäre es, dass auch Redaktionen diverser werden, dafür mehr Zugang zu derartigen Positionen herrscht und so weiter. Auf einer Metaebene muss sich natürlich das Bewusstsein ändern. Wenn ich problematische Inhalte wie beispielsweise die oben genannten Flirttipps nicht gut finde, dann werde ich sowas wohl auch nicht abdrucken. Aber dafür muss erstmal ein Bewusstsein für die Problematik entstehen und das ist anscheinend ein längerer Prozess.”
Die amerikanische Teen Vogue ist wohl gerade das meistgenannte Beispiel dafür, wie eine feministische, diverse und inklusive Zeitschrift für junge Menschen aussehen kann. Warum gibt es bisher kein deutsches Beispiel? Oder gibt es eins?
„Die Teen Vogue ist wirklich ziemlich einzigartig, was das Angebot einer konventionellen Zeitschrift angeht. Plötzlich ging es nicht mehr nur um Mode, sondern immer mehr um Politik und Zeitgeschehen in einem guten Mix! Es ist nicht so, dass ähnliches in Deutschland nicht gewollt wird, aber ich glaube, dass man mit einigen Punkten in den USA ganz anders umgeht. Sexismus und Rassismus gibt es in den USA genauso wie in Deutschland, aber während man dort wenigstens drüber diskutieren kann, wird Thematisierung hier als ,Gutmenschentum’ abgetan. Das sieht man aktuell ganz gut daran, wie man in den jeweiligen Ländern mit #metoo umgeht.
Es gibt in Deutschland kein vergleichbares Angebot eines großen Verlages, allerdings haben ein paar Aktivistinnen jetzt das Online-Magazin brause*mag gegründet, das genau diesen Ansprüchen an ein gutes Mädchen/Junge-Frauen-Magazin gerecht werden soll.”
Hast du eine Vision, wie ein gutes Magazin für junge Mädchen aussehen würde?
„Ein gutes Magazin für Mädchen und junge Frauen würde auf die verschiedensten Interessen eingehen und somit auf ,selbstverständliche’ Art klarmachen, dass es mehr als Mode, Beauty und Liebe gibt. Die drei Aspekte können natürlich vorkommen, aber sie sollen nicht so einschränkend über allem schweben.
Sexuelle Aufklärung müsste völlig anders aufgestellt werden. In den gängigen Mädchenzeitschriften gibt es nur heterosexuelles Begehren. Aspekte wie Sensibilität für Gleichberechtigung, Missbrauch oder Einvernehmlichkeit fehlen oftmals völlig. Das müsste alles thematisiert werden.
Die Maxime wäre, die Zielgruppe selbst zu bestärken. In den Mädchenmagazinen geht es wie gesagt vor allem darum, wie man möglichst anderen und vor allem Jungs gefällt. Gerade aber in der Pubertät braucht man Bestärkung, weshalb es um das Mädchen und darum gehen sollte, wie man sich erstmal selbst gefallen kann.”
„Ich will keine Zukunftsprognosen abgeben, da wir gegenwärtig viele Probleme haben, aber ich habe Hoffnung, wenn ich sehe, welch tolle Journalistinnen und Medienschaffende es hierzulande gibt und woran sie arbeiten.”
Das Motto der diesjährigen Journalistinnen-Konferenz lautet: „Rasender Stillstand” – du bist mittlerweile schon einige Jahre journalistisch und aktivistisch tätig. Wo stehen wir? Entwickelt sich die Medienlandschaft tatsächlich weiter oder werden wir immer wieder von einem Backlash zurückgeworfen? Gibt es Hoffnung auf eine bessere Zukunft?
„Im Zuge des Rechtsrucks werden auch immer mehr antifeministische Artikel veröffentlicht, das ist mir gerade in großen namhaften Zeitungen aufgefallen. Wie in jedem anderen Bereich, haben Frauen eher schlechteren Zugang zu besseren Positionen und Möglichkeiten. Sexismus im Berufsfeld wird ebenfalls wenig Gehör geschenkt. Wie werden Journalistinnen behandelt, wenn sie beispielsweise Interviews führen oder vor der Kamera arbeiten? Der Hashtag #aufschrei hatte ja auch einen sexistischen Vorfall zwischen Interviewerin und Interviewtem als Hintergrund.
Ich will keine Zukunftsprognosen abgeben, da wir gegenwärtig viele Probleme haben, aber ich habe Hoffnung, wenn ich sehe, welch tolle Journalistinnen und Medienschaffende es hierzulande gibt und woran sie arbeiten.”
Welchen (journalistischen) Projekte kannst du jungen Menschen (insbesondere Mädchen) empfehlen?
„Da es im Print nichts direkt für eine junge Zielgruppe gibt, könnte man dort nur zu Magazinen für ein älteres Publikum greifen. Im Netz ist wie gesagt brause*mag gestartet, wenn man gut darin ist, englische Texte zu lesen, sind Teen Vogue, Bustle oder Bitch Magazine zu empfehlen. Im Bereich politische Bildung habe ich mit dem Straßengezwitscher e.V. einen Videopodcast über Politik direkt für junge Menschen gestartet. Funk hat auch viele tolle Videoformate. Ich empfehle außerdem, auf Twitter tollen Medienschaffenden und Frauen im allgemeinen zu folgen. Da bekommt man einen guten Überblick und selbst wenn man nichts tweeten möchte, funktioniert das ganz gut als Reader, um Perspektiven zu erfahren und auf interessante Links zu stoßen.
Ansonsten ist es mir noch wichtig zu ermutigen, einfach selber zu machen und zu schreiben: Liebe Mädchen und junge Frauen, eure Ideen, eure Gefühlswelten und Geschichten sind wichtig und sollten gehört werden. Fangt also selber an zu schreiben und laut zu werden.”
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