Foto: Roberto Tumini

Unvorstellbar schmerzhaft: Wie es ist, den Job zu verlieren

Jessika arbeitete mit großer Leidenschaft als Führungskraft. Dann wurde ihr gekündigt – völlig unerwartet. Dass sie diese Erfahrung aus der Bahn wirft, hätte sie vorher nicht gedacht.

 

Ich schäme mich

Es ist 3:15 Uhr. Ich liege seit fast einer Stunde wach im Bett. Eigentlich müde, aber ich komme aus diesem Gedankenkarussell nicht heraus. Mir ist schon schwindelig vom vielen Denken. Ich würde gern aussteigen, meinen Kopf abschalten, mich einfach umdrehen und schlafen.

Wie oft habe ich in den letzten Wochen Anlauf genommen, um darüber zu schreiben? Wie oft habe ich begonnen und es am Ende doch verworfen? Aus Scham. Aus Angst. Weil ich glaubte, es sei klüger abzuwarten und zu schweigen. In meinem Kopf sind so viele ungeordnete Gedanken, so viele Zweifel und Ängste. Und so viele Gefühle, die mir fremd sind. Ich habe meinen Job verloren und mir war nicht klar, was das mit mir macht.

Mit großer Leidenschaft in den Beruf

Ich hatte bis vor einigen Wochen einen tollen Job. Ich, 31 Jahre alt, verheiratet, Mutter zweier Töchter, mit Haus im Grünen. Mein Jurastudium habe ich während des Hauptstudiums an den Nagel gehängt und mich stattdessen mit zarten 24 Jahren ins Berufsleben gestürzt. Bis vor einigen Wochen war ich der Meinung, dass es das Beste war, was mir passieren konnte, meinen selbst gezeichneten, geradlinig geplanten Lebensweg zu verlassen. Ich begab mich damals auf mir unbekanntes Terrain, hatte keine Ahnung, wohin mich dieser bis dahin ungeplante Abzweig führen würde. Meine Mutter tat das, was alle Mütter tun würden: Sie machte mir die Hölle heiß und war enttäuscht, weil ich mein Studium einfach schmiss. Sie appellierte an meine Vernunft, daran, dass man so etwas nicht mache. Sie hatte sich für ihr einziges Kind etwas anderes vorgestellt. Etwas Besseres. Ich konnte ihre Enttäuschung verstehen und trotzdem argumentierte ich vor ihr – nein vor meiner ganzen Großfamilie (denn in Großfamilien bleibt nichts lange geheim!) – dass die Entscheidung richtig sei. 

Sicher war ich mir natürlich nicht. Wie konnte ich das auch sein? Aber ich biss mich durch. Ich arbeitete hart und lange, oft sieben Tage die Woche. Ich lernte durch Beobachten. Was ich nicht konnte, eignete ich mir an. Ganz doof war ich ja zum Glück nicht. Ich hatte ein gutes Abitur und fast drei Jahre Jurastudium hinter mir. Mein IQ lag weit über dem Durchschnitt. Geschenkt! Als Studienabbrecher zählt das alles nicht. Weder vor anderen, noch wenn ich mir im Spiegel selbst tief in die Augen sah. Ich wurde mehr als einmal ins kalte Wasser geworfen und schwamm um mein Leben, um nicht unterzugehen. Es zahlte sich aus. Ich hatte Erfolg, bekam Verantwortung. Erst ein wenig, dann mehr. Meine Firma wusste, dass sie sich auf mich verlassen kann. Auf meinen Ehrgeiz, meine Loyalität, mein Wissen und nicht zuletzt auf meinen Instinkt. Innerhalb weniger Monate führte ich einen Bereich. Dann ein eigenes Team. Ich wurde schwanger, ging in Elternzeit und musste mir anschließend etwas Neues suchen. 

Ich habe mir etwas aufgebaut

Rückblickend war es ziemlich unbequem, diese Komfortzone verlassen zu müssen, aber ich schwamm wieder um mein Leben und gelangte über Umwege zu einer neuen Firma, in der ich eine eigene Abteilung leitete. Da war ich 28. Dass ich ein Kind hatte, spielte für niemanden eine Rolle. Dass ich mein Studium geschmissen hatte, übrigens auch nicht, denn ich hatte auch ohne diesen Abschluss Erfolg. Ein Jahr später wechselte ich erneut das Unternehmen und leitete einen Bereich, den ich komplett selbst aufbaute. Ich lebte und liebte meinen Beruf. Ich hatte mir in den vergangenen Jahren etwas aufgebaut, auf das ich stolz war. Ich hatte einen tollen Job, war erfolgreich, verdiente den Bärenanteil unseres Lebensunterhaltes und hatte eine Familie im Rücken, die es mir überhaupt erst möglich machte, beides vereinen zu können und mich in meinem Beruf zu verwirklichen.

Zweieinhalb Jahre und ein weiteres Kind später zog es mich weiter. Zu neuen Herausforderungen wie man so schön sagt. Ich wurde abgeworben und sollte meine Erfahrung in einem neuen Unternehmen einbringen. Bis vor einigen Wochen hatte ich einen tollen Job. Zumindest glaubte ich das. Dann teilte man mir während meines Urlaubes um kurz vor Mitternacht, allerdings noch rechtzeitig genug vor Ablauf meiner Probezeit per E-Mail mit, dass ich nicht wieder ins Büro kommen sollte, weil man nachgedacht hätte und ich offenbar nicht die richtige Besetzung für diese Position sei. Ich wurde sofort freigestellt, obwohl ich erst um ein persönliches Gespräch bat. Ich fühlte mich ab jenem Moment wie ein Versager, dabei hielt ich meine Kündigung noch gar nicht in den Händen. Die kam erst zwei Wochen später per Kurier und schlug buchstäblich den letzten Nagel in meinen Sarg.

Eine Kündigung ist schmerzhaft

Bis zu dieser sehr schmerzhaften Erfahrung wusste ich nicht, wie tief das Loch sein würde, in das ich fiel. Als ich während meines Urlaubs besagte E-Mail bekam, fiel ich in eine Art Schockstarre. Ich saß regungslos da und zwang mich, äußerlich ruhig zu bleiben, während ich innerlich wie ein Kartenhaus zusammenfiel. Meine Gedanken kreisten permanent um den Job. Den Job, den ich nun nicht mehr haben sollte. Es fühlt sich beschissen an, seinen Job zu verlieren! So, als hätte man versagt. Nachts habe ich wachgelegen, während mein Kopf wieder und wieder seine Runden im Gedankenkarussel drehte. Ich war die meiste Zeit immer noch erstaunlich gefasst und doch zugleich fassungslos über dies Art und Weise. Wenn ich allein war, überkam mich ein seltsames Gefühl der Leere. Nachts war es am schlimmsten. Dann lag ich da und weinte doch. Leise, um meine große Tochter nicht wachzumachen, die neben mir schlief. Ich versuchte, mich zusammenzureißen, schließlich war es ja nur ein Job. Ich würde schon schnell etwas Neues finden. Das klappte bisher ja immer.

Sind meine Kinder ein Hindernis?

Nur will es irgendwie diesmal nicht klappen. Mit jeder Woche werden meine Zweifel und Sorgen größer. Da sind potentielle Arbeitgeber, die nach meiner weiteren Familienplanung fragen und denen ich mit mehr Mut am liebsten sagen würde, dass sie nicht die richtigen Gesprächspartner für einen Exkurs in meine sichere Langzeitverhütungs-Methode sind. Andere äußern Bedenken, wie beziehungsweise ob ich denn trotz zweier Kinder voll arbeiten könne. Und diejenigen, die meine Kinder gar nicht zum Thema machen, sagen plötzlich auf wundersame Weise nach mehreren erfolgsversprechenden Gesprächen ab.

Was ist nur los? Ich hörte in der Vergangenheit Sätze wie: „Jemand ohne Kinder wäre vielleicht die bessere Besetzung für diese Position gewesen“ oder „Uns war nicht klar, dass eine Mutter nicht zwölf Stunden am Tag im Büro sein kann“. Abgesehen davon, dass ich es die letzten Monate dennoch war – warum dreht sich alles um meine Kinder? Warum werde ich nicht nach dem beurteilt, was ich in den letzten Jahren erreicht habe?

Es mag dumm von mir sein, all das jetzt zu schreiben. Dumm, weil ich mich nackt mache, Gefühle und Emotionen preisgebe, die möglicherweise gegen mich verwendet werden können. Ich muss mich neu bewerben und mir ist durchaus klar, dass potentielle neue Arbeitgeber nach mir googeln, um herauszufinden, ob meine Leichen im Keller durch exzessiven Alkoholgenuss, ein ausgeprägtes Partyleben oder waghalsige Hobbys ums Leben gekommen sind.

Ja, es macht Angst

Liebe Personaler! Schön, dass Sie den Weg hierher gefunden haben! Ich kann Ihnen versichern – weder noch! Allerdings bin ich momentan auch nicht die, die ich die letzten acht Jahre meines erfolgreichen Berufslebens war. Die Erfahrung, die ich zuletzt machte, war schmerzhaft. Sie hat mich aus der Bahn geworfen und macht mich klein. Kleiner, als ich mich vielleicht machen sollte. Sie lässt mich nachts nicht schlafen, weil ich Angst habe. Angst vor dem heutigen Termin beim Arbeitsamt, das mir schon beim telefonischen Erstgespräch wertend den Stempel „Versager“ auf die Stirn drückte. Angst, bis zum offiziellen Beschäftigungsende nichts Neues zu finden. Angst, aus der Not heraus irgendeinen Job annehmen zu müssen, um meine Familie als Hauptverdienerin weiterhin ernähren zu können.

Ich fühle mich verdammt unwohl in meiner Haut. Ich würde am liebsten weglaufen oder mich irgendwo vergraben. Am liebsten würde ich verschweigen, was mir passiert ist. Weil ich mich schäme. Ja, das ist es: Ich schäme mich zutiefst, dass ich meinen Job verloren habe. Stattdessen musste ich beim Arbeitsamt anrufen und diesen Satz über meine Lippen bringen: „Ich möchte mich arbeitssuchend melden.“ Welch herabwürdigendes Gefühl! Alles in mir wehrt sich dagegen.

Es ist fast 6:30 Uhr. Ich bin seit kurz nach 2 Uhr wach. Geschlafen habe ich kaum. Heute ist der Termin beim Arbeitsamt. Bis vor einigen Wochen war ich der Meinung, dass es das Beste war, was mir passieren konnte, meinen selbst gezeichneten, geradlinig geplanten Lebensweg zu verlassen und mein Studium zu schmeißen. Seit einem Monat zweifle ich daran. Ich sehe mich schon mit meiner Akte in die Schublade_ „Kein Abschluss. Kann nichts.“ weggelegt zu werden. Ja, ich fühle mich momentan in der Tat so, als könnte ich nichts. Gar nichts. Ich wäre gern weniger kritisch, hätte gern weniger Selbstzweifel. Vor allem auch weniger Angst und dafür mehr Selbstvertrauen. Ich hätte gern Zeit, um einen neuen, passenden Arbeitgeber zu finden. Zeit, mich zu besinnen und dieses Gefühl, versagt zu haben, aus eigener Kraft wieder abzuschütteln. Ich möchte mir meiner Stärken wieder sicher sein. Ich möchte glücklich sein. Vielleicht auch nur zufrieden. Und ich möchte beruhigt schlafen können. Ich hätte niemals geglaubt, was es mit mir macht, wenn ich meinen Job verliere.

Jessikas Text erschien zunächst auf ihrem Blog Herz & Liebe. Wir freuen uns, dass sie auch hier ihre Erfahrung teilt.

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