Foto: Jane Hannemann/Bundeswehr

Ursula von der Leyen wird die erste Kommissionspräsidentin der EU: Ein Grund zum Feiern?

Seit gestern Abend steht fest: Mit Ursula von der Leyen bekommt die EU die erste Kommissionspräsidentin ihrer Geschichte. Das ist gut und trotzdem nicht das Wichtigste bei dieser Wahl, befindet unsere Autorin Helen Hahne in ihrer Politik-Kolumne: „Ist das euer Ernst?”

Die EU bekommt ihre erste Kommissionspräsidentin

747 Abgeordnete sitzen im Europaparlament. 374 Stimmen brauchte Ursula von der Leyen, um tatsächlich neue Kommisssionspräsidentin zu werden. 383 Mitglieder stimmten am Ende für sie. Ein denkbar knapper Sieg am Ende einer holprigen Kandidatur. Eigentlich sollte dieses Mal schließlich das Spitzenkandidat*innenprinzip, bei dem die Parteien vor der Europawahl jeweils eine*n Spitzenkandidat*in für das Amt des*der Kommissionspräsident*in benannt haben, entscheiden. Der Europäische Rat konnte sich aber weder auf den einen (Manfred Weber), noch den anderen (Frans Timmermans) einigen. Also machten sie sich auf die Suche nach einem*einer Ersatzkandidat*in. Es wurde Ursula von der Leyen, eine Kompromisskandidatin der größten Fraktionen EVP und SPE. Sie musste erst einmal auf Kurz-Wahlkampftour in den Fraktionen gehen – denn keiner kannte ihr Programm. Während die Spitzenkandidaten vor der EU-Wahl monatelang auf Wahlkampftour waren, hatte von der Leyen nur zwei Wochen von ihrer Kandidatur bis zur Wahl.

Und natürlich kam ihre Wahl nicht ohne sexistische Porträts in der FAS, Bewertungen ihrer Eignung als Frau für so ein Spitzenamt und anderes misogynes Blabla aus – geschenkt. Die SPD machte sich vor allem Sorgen darum, dass die Nicht-Einhaltung des Spitzenkandidat*innenprinzips die Wähler*innen, die dieses Modell an die Wahlurnen gelockt hat, bitter enttäuschen würde und entschlossen sich dieses Mal aber wirklich ein klares Zeichen zu setzen und Von der Leyen nicht zu wählen.

Wofür steht von der Leyen?

Die Linken schlossen eine Wahl von der Leyens direkt aus und die Grünen forderten deutlichere grüne Versprechungen und entschieden sich deshalb ebenfalls gegen die Kandidatin. Und das obwohl sie, vor allem am Wahltag, viele Versprechungen machte, die primär auf die Stimmen der Grünen und der Sozialdemokraten zielten: ein europäischer Mindestlohn und eine EU-Arbeitslosenrückversicherung, transnationale Listen, ein Initiativrecht für das EU-Parlament, 50 bis 55 Prozent weniger Treibhausgase bis 2030, eine paritätisch besetzte Kommission, eine Reform des Asylrechts. Klingt erst einmal gar nicht so schlecht. Aber wirklich konkret ist von der Leyen nicht geworden. Und das ist das Problem. Wie hoch sollen die europäischen Mindestlöhne sein? Was wird noch gegen die Klimakrise getan? Wann gibt es endlich ein funktionierendes europäisches Seenotrettungsprogramm?

Aber von der Leyen hat auch ein wichtiges Zeichen gesetzt, als sie sich trotz der knappen Wahlsituation klar gegen Stimmen für sie von Rechtsaußen positionierte. In ihrer Rede vor dem EU-Parlament sagte sie: „Wer mit mir Europa stärken will, hat mich an seiner Seite. Wer dieses Europa schwächen und spalten will, findet in mir eine erbitterte Gegnerin.” Immer wieder betonte von der Leyen ihr Selbstverständnis als Europäerin.

Die EU muss sich klar positionieren

Die Frage aber, die momentan dringend beantwortet werden muss, ist die danach, was das eigentlich bedeutet, „Europäer*in” zu sein? Steht die EU für eine inklusive oder eine ausgrenzende Gemeinschaft? Kämpft sie gegen den Rechtsruck oder stärkt sie die nationalistischen Tendenzen? Steht die EU auf der Seite derjenigen, die von rassistischen, sexistischen, antisemitischen, homo- und transfeindlichen Tendenzen tagtäglich bedroht werden oder dreht sie sich von ihnen weg? Nimmt sie ihre Verantwortung den Menschen gegenüber wahr, die bei ihr Schutz suchen oder lässt sie sie weiter im Mittelmeer ertrinken? Merkt sie, dass es im Falle der Klimakrise, vor allem mit Blick auf viele nicht-europäische Länder, längst nicht mehr fünf vor zwölf ist und handelt auch danach oder macht sie einfach weiter und wünscht der nächsten Generation viel Spaß mit dem, was übrig sein wird? Die Antworten auf diese Fragen sind viel drängender als eine Debatte um das Spitzenkandidat*innenprinzip oder die Freude über die erste weibliche Kommissions-Präsidentin.

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